Protokolle 19–24 (2012–2014)

Protokolle der 19. bis 24. Tagung aus den Jahren 2012 bis 2014:

Durch Ankli­cken des ent­spre­chen­den Links kön­nen Sie das Pro­to­koll der zuge­hö­ri­gen Tagung aufrufen.

19. Tref­fen an der Uni­ver­si­tät Tübin­gen am 5. und 6. Mai 2012
20. Tref­fen an der Uni­ver­si­tät Hei­del­berg am 3. und 4. Novem­ber 2012
21. Tref­fen an der Uni­ver­si­tät Ham­burg am 1. und 2. Juni 2013 
22. Tref­fen an der Uni­ver­si­tät Tübin­gen am 2. und 3. Novem­ber 2013 
23. Tref­fen an der Uni­ver­si­tät Halle-Wittenberg am 24. und 25. Mai 2014 
24. Tref­fen am Japanisch-Deutschen Zen­trum Ber­lin am 22. und 23. Novem­ber 2014 

favicon0219. Tref­fen an der Uni­ver­si­tät Tübin­gen am 5. und 6. Mai 2012:

Anwe­send waren in Tübin­gen: Tomo­no­ri Aka­shi (Bochum/Fukuoka), Klaus Anto­ni (Tübin­gen), Ulrich Bran­den­burg (Zürich), Micha­el Faci­us (Ber­lin), Yoshi­mi von Fel­bert (Mün­chen), Ursu­la Fla­che (Ber­lin), Harald Fuess (Hei­del­berg), Eva Habe­re­der (Tübin­gen), Unsuk Han (Tübin­gen), Till Knaudt (Hei­del­berg), Robert Kramm-Masaoka (Tübin­gen), Tho­mas Niess (Augs­burg), Seon-Young Lee (Tübin­gen), You Jae Lee (Tübin­gen), Anna Rihl­mann (Tübin­gen), Anke Sche­rer (Köln), Lars Schla­ditz (Erfurt), Jan Schmidt (Bochum), Nata­scha Schrö­ter (Ham­burg), Sei­ya Tak­e­mu­ra (Ham­burg), Caro­la Wan­ke (Hei­del­berg), David Weiß (Tübin­gen), Johan­nes Wil­helm (Wien), Shiro Yuka­wa (Bonn);

Vor den Vor­trä­gen gab es eine Vor­stel­lungs­run­de, bei der alle Teil­neh­men­den knapp aus ihren aktu­el­len Pro­jek­ten berich­ten konn­ten. Lars SCHLADITZ (Erfurt) pro­mo­viert zur Ver­flech­tungs­ge­schich­te des japa­ni­schen Wal­fangs in der 1. Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts aus umwelt­ge­schicht­li­cher Per­spek­ti­ve. Till KNAUDT (Hei­del­berg) pro­mo­viert zum The­ma Stu­den­ten­be­we­gung, Anti­im­pe­ria­lis­mus und Links­ter­ro­ris­mus. Er berich­te­te von einem For­schungs­auf­ent­halt in Hawaii am Takazawa-Archiv, das umfang­rei­che Bestän­de zur japa­ni­schen Stu­den­ten­be­we­gung beher­bergt. Caro­la WANKE (Hei­del­berg) am Insti­tut für Ost­asia­ti­sche Kunst­ge­schich­te pro­mo­viert zu femi­nis­ti­scher Kunst in Japan. Aktu­el­le medi­en­ge­schicht­li­che Pro­jek­te von Shiro YUKAWA (Bonn) bewe­gen sich unter ande­rem im Bereich Film im kolo­nia­len Kon­text und Medi­en­po­li­tik in Man­chu­kuo. Yoshi­mi VON FELBERT (Mün­chen) schreibt aktu­ell an ihrer Dok­tor­ar­beit über Japan­rei­se­be­rich­te von der Meiji-Zeit bis zum 2. Welt­krieg. Sei­ya TAKEMURA (Ham­burg) ver­fasst eine Mas­ter­ar­beit zu Jen­seits­bil­dern in der japa­ni­schen mit­tel­al­ter­li­chen Lite­ra­tur. David WEISS (Tübin­gen) hat gera­de sei­ne Mas­ter­ar­beit zur früh­ge­schicht­li­chen Mytho­lo­gie ein­ge­reicht und plant nun eine Pro­mo­ti­on im glei­chen The­men­be­reich. Tomo­no­ri AKASHI (Bochum/Fukuoka) pro­mo­viert zur Ein­füh­rung des moder­nen Gefäng­nis­we­sens in Japan. Jan SCHMIDT (Bochum) pro­mo­viert zur Revi­si­on des Ein­flus­ses des 1. Welt­kriegs auf Japan. Er stell­te sei­nen Plan vor, eine euro­päi­sche For­schungs­grup­pe zur japa­ni­schen Medi­en­ge­schich­te zu grün­den und freut sich über wei­te­re Inter­es­sen­tin­nen und Inter­es­sen­ten. Johan­nes WILHELM (Wien), arbei­tet aktu­ell zur Kata­stro­phe in Tôho­ku. Anke SCHERER (Köln), arbei­tet zur japa­ni­schen „con­ve­ni­ence cul­tu­re“ und kul­tu­rel­len Kon­zep­ten der „con­ve­ni­ence“ und bricht dazu bald zu einer For­schungs­rei­se nach Japan und Tai­wan auf. Ursu­la FLACHE (Ber­lin), Fach­re­fe­ren­tin für Japan an der Staats­bi­blio­thek Ber­lin berich­te­te über aktu­el­le Dienst­leis­tun­gen und Ent­wick­lun­gen der Fach­be­stän­de. Sie stell­te in Aus­sicht, dass der Zet­tel­ka­ta­log zu älte­ren japan­be­zo­ge­nen Bestän­den bis zum Ende des Jah­res zu etwa 80% digi­tal in NACSIS ein­ge­speist sein wird. Sie weist zudem auf die lau­fen­de Digi­ta­li­sie­rung von etwa 4000 west­lich­spra­chi­gen und 500 japa­ni­schen Titeln über ein DFG-Projekt hin. Klaus ANTONI (Tübin­gen), arbei­tet zu japa­ni­scher Reli­gi­on, ins­be­son­de­re Shin­tô und sei­ner Bezie­hung zur poli­ti­schen Ideen­welt. Er kün­digt das bal­di­ge Erschei­nen einer kom­men­tier­ten Über­set­zung des koji­ki bei Suhr­kamp an. Ulrich BRANDENBURG (Zürich), pro­mo­viert zur Geschich­te der Kon­ver­si­on von Japa­nern zum Islam. Micha­el FACIUS (Ber­lin) pro­mo­viert zum The­ma „Chi­ne­si­sches Wis­sen und Glo­ba­li­sie­rung in Japan im 19. Jahr­hun­dert“. Robert KRAMM-MASAOKA (Tübin­gen) forscht zu Hygie­ne und Pro­sti­tu­ti­on wäh­rend der ame­ri­ka­ni­schen Besat­zung nach dem zwei­ten Weltkrieg.

Den ers­ten Vor­trag bestritt CAROLA WANKE (Hei­del­berg) zum The­ma „Nin­Pu. Part­ner­schaft­li­che Rol­len­ver­tei­lung im Werk der Künst­le­rin Oka­da Hiro­ko“. Dem Vor­trag liegt eine kunst­ge­schicht­li­che Dis­ser­ta­ti­on zugrun­de. Deren Ziel ist eine Über­blicks­dar­stel­lung zur Geschich­te japa­ni­scher femi­nis­ti­scher Kunst.Wanke ord­ne­te ihre Arbeit in den Kon­text femi­nis­ti­scher Kunst­kri­tik ein. In Japan, so Wan­ke, gibt es die­se erst seit den mitt­le­ren 1990er-Jahren, mit Chi­no Kao­ri und Waka­ku­wa Mido­ri als Vor­rei­te­rin­nen. Anfän­ge femi­nis­ti­scher Kunst — dar­un­ter ver­stand sie nicht nur Kunst offen femi­nis­ti­scher Kunst­schaf­fen­der, son­dern auch Kunst, die Gender/Geschlecht the­ma­ti­siert — ver­folg­te sie bis in die 1980er-Jahre zurück.
Der Haupt­teil des Vor­trags war einer aus­führ­li­chen Bespre­chung der Video-Installation „The deli­very by male pro­ject“ von Oka­da Hiro­ko gewid­met. Die Instal­la­ti­on setzt sich aus zwei par­al­lel ablau­fen­den Vide­os zusam­men. Im ers­ten Video ist die Geschich­te eines Man­nes zu sehen, der nach einem Lot­te­rie­ge­winn sei­nen Job kün­digt und ein Kind gebärt. Man sieht ihn unter ande­rem beim Test von Spiel­zeu­gen und wäh­rend einer gynä­ko­lo­gi­schen Unter­su­chung. Im zwei­ten Video gibt die „Sozio­lo­gin Mutô Kao­ri“ Kom­men­ta­re und medi­zi­ni­sche Erklä­run­gen zur Funk­ti­ons­wei­se der männ­li­chen Schwan­ger­schaft ab.
Anhand der Video-Installation stell­te Wan­ke ihre Ana­ly­se zu Humor und Par­odie als femi­nis­ti­scher Stra­te­gie vor. Humor, so Wan­ke, erleich­tert dem Publi­kum die Aus­ein­an­der­set­zung mit der frem­den oder auch absto­ßen­den Wir­kung der Bil­der von Men­schen, die die Gren­zen der Geschlech­ter­bi­na­ri­tät über­schrei­ten. Der Titel der Instal­la­ti­on, Nin­Pu („Schwan­ge­rer Mann“) ist ein Wort­spiel zu „Schwan­ge­re Frau“, das bei glei­cher Aus­spra­che mit einem ande­ren Schrift­zei­chen geschrie­ben wird. Titel und Kunst­werk dekon­stru­ie­ren spie­le­risch den Geschlech­ter­dua­lis­mus. Zugleich ver­wei­sen sie auf japa­ni­sche Dis­kur­se über Ver­ant­wor­tung von Män­nern im Ehe- und Familienleben.
In der anschlie­ßen­den Dis­kus­si­on wur­den Zwei­fel ange­mel­det, ob Anfän­ge femi­nis­ti­scher Bewe­gung und Kunst in Japan tat­säch­lich erst um 1990 zu ver­or­ten sei­en, bzw. wel­che Rele­vanz und Sicht­bar­keit frü­he, „proto­fe­mi­nis­ti­sche“ Kunst und Akti­on hat­te, etwa im Kon­text der Stu­die­ren­den­be­we­gung. Zudem wur­de das Ver­hält­nis von west­li­cher femi­nis­ti­scher Theo­rie und japa­ni­schen Anknüp­fungs­punk­ten in japa­ni­scher femi­nis­ti­scher Kunst all­ge­mein und spe­zi­ell in Oka­das Instal­la­ti­on dis­ku­tiert, etwa in lite­ra­ri­schen und volks­re­li­giö­sen Mons­ter­fi­gu­ren (bak­e­mo­no), die mit­un­ter Ver­wand­lun­gen vom Mann zur Frau voll­zie­hen, oder in schau­spie­le­ri­schen Prak­ti­ken des cross-dressing (onna­ga­ta).

DAVID WEISS (Tübin­gen) hielt einen Vor­trag zum The­ma „Sus­anoo. Ein Kul­tur­he­ros aus Korea?“ auf Grund­la­ge sei­ner Mas­ter­ar­beit zur Mythen­for­schung. Dar­in setz­te Weiss sich kri­tisch mit der von James Gray­son auf­ge­stell­ten The­se aus­ein­an­der, dass es sich bei der Gott­heit Sus­anoo aus den frü­hen japa­ni­schen Mythen­samm­lun­gen um einen „Kul­tur­he­ros“ (á la Pro­me­theus) aus Korea gehan­delt habe. (1)
Weiss ana­ly­sier­te die Figur, wie sie in den Mythen­samm­lun­gen des frü­hen ach­ten Jahr­hun­derts, koji­ki und Nihon sho­ki, in Erschei­nung tritt. Dabei zeig­te er, dass Sus­anoo durch­aus ambi­va­len­tes Ver­hal­ten an den Tag leg­te. So gilt er zwar als Schutz­gott­heit des Acker­baus, zer­stör­te aber ande­rer­seits die Reis­fel­der sei­ner Schwes­ter, der Son­nen­göt­tin Ama­ter­asu. Weiss inter­pre­tier­te Sus­anoo daher eher als eine „Trickster“-Figur, die zwar nicht durch­weg bös­ar­tig ist, aber gegen Nor­men ver­stößt, unzu­ver­läs­sig ist, oder schei­tert und oft auch komi­sche Cha­rak­ter­zü­ge trägt.
Im zwei­ten Teil des Vor­trags beleuch­te­te Weiss die Fra­ge der Her­kunft von Sus­anoo. Der Name der Gott­heit und sei­ne Wohn­or­te ste­hen auf viel­fäl­ti­ge Art und Wei­se mit Korea in Ver­bin­dung, teils auch sprach­lich, wie ver­glei­chen­de lin­gu­is­ti­sche Unter­su­chun­gen zei­gen. Weiss schloss sich aber der Ein­schät­zung des Mythen­for­schers Mishi­ma Aki­hi­de an, es sei heu­te unmög­lich her­aus­zu­fin­den, auf wel­chen rea­len Ort die Tex­te ver­wei­sen. Wich­ti­ger sei­en ohne­hin die mythi­schen Vor­stel­lun­gen, die damit ver­bun­den sind.
Die Dis­kus­si­on erbrach­te eini­ge kri­ti­sche Rück­mel­dun­gen und Hin­wei­se: So gäl­te es, die natio­na­len Ein­hei­ten „Korea“ und „Japan“ als Ana­ly­se­rah­men zu hin­ter­fra­gen, da die poli­ti­sche und kul­tu­rel­le Kon­fi­gu­ra­ti­on Nord­ost­asi­ens im Alter­tum die Rede von „Japan“ und „Korea“ ana­chro­nis­tisch erschei­nen las­se. Zudem sei der Blick auf das Alter­tum, auch der his­to­rio­gra­fi­sche, in Japan und Korea stark natio­na­lis­tisch auf­ge­la­den. Eben­falls sei­en die ver­schie­de­nen Rol­len von Sus­anoo zu pro­ble­ma­ti­sie­ren, da die Quel­len, in denen Sus­anoo auf­taucht, auch vor dem Hin­ter­grund zu lesen sei­en, dass sie dem Yamato-Staat durch Rück­pro­jek­ti­on und Ver­gött­li­chung kai­ser­li­cher Genea­lo­gien der Legi­ti­mie­rung von Herr­schaft dien­ten. Ein Ver­gleich mit korea­ni­schen Wer­ken wie dem sam­guk sagi und sam­guk yusa aus dem 12./13. Jahr­hun­dert sei hier auf­schluss­reich. Auch wur­de gefragt, was sich aus der Ana­ly­se über das klas­si­sche Japan und sei­ne Bezie­hun­gen zu Korea ler­nen lässt, wenn man einen Schritt aus der Mythen­for­schung her­aus­tritt. Weiss beton­te aller­dings, dass sei­ne Absicht haupt­säch­lich in einer ver­glei­chen­den struk­tu­ra­lis­ti­schen Lite­ra­tur­ana­ly­se liege.

YOSHIMI VON FELBERT (Mün­chen) prä­sen­tier­te den nächs­ten Vor­trag, „ ‚Chry­san­the­mum and the Word‘ — John Mor­ris‘ kul­tu­rel­le Mus­te­run­gen in ‚Tra­vel­ler from Tokyo‘ “. John Mor­ris (1895–1980) war Sol­dat im ers­ten Welt­krieg, stu­dier­te Sozi­al­an­thro­po­lo­gie in Cam­bridge und ging 1938 nach Japan, um an der Keiô-Universität eng­li­sche Lite­ra­tur zu unter­rich­ten. Nach dem Krieg war er bei der Bri­tish Broad­cast Com­pa­ny im Klas­sik­pro­gramm tätig. Mor­ris war auf Anra­ten der japa­ni­schen Regie­rung nach Japan gekom­men und erle­dig­te Kor­rek­tur­ar­bei­ten für das Außen­mi­nis­te­ri­um. Er lehr­te noch bis acht Mona­te nach dem japa­ni­schen Angriff auf Pearl Har­bor, bevor er plötz­lich aus­reis­te. Nach sei­ner Rück­kehr schrieb er einen Rei­se­be­richt, „Tra­vel­ler from Tokyo“ (2); er hat­te jedoch kei­ne Noti­zen mit­neh­men dür­fen und muss­te daher alles aus eige­ner Erin­ne­rung auf­schrei­ben, wodurch dem Text eine lite­ra­ri­sche Qua­li­tät eig­net. Der Rei­se­be­richt ist unpo­li­tisch und nicht-militärisch, mit einem Fokus auf dem täg­li­chen Leben.
Von Fel­bert wähl­te in ihrem Vor­trag den Zugang, den „Tra­vel­ler“ mit Ruth Bene­dicts klas­si­schem Werk „The chry­san­the­mum and the sword“ zu ver­glei­chen. Bene­dict hat­te das Buch wäh­rend des Zwei­ten Welt­kriegs als Hand­buch im Auf­trag der US-Regierung ver­fasst, um den Feind ver­ständ­lich zu machen. Im Ver­gleich arbei­te­te von Fel­bert her­aus, dass Mor­ris anders als Bene­dict nicht von einer genu­in japa­ni­schen Volks­see­le aus­ging, son­dern zwi­schen Staat und Mili­tär einer­seits, Stu­die­ren­den und Englisch-Lehrenden usw. aus sei­nem täg­li­chen Umfeld ande­rer­seits unter­schied. Mit die­ser dif­fe­ren­zier­ten Betrach­tung stell­te er eine gro­ße Aus­nah­me unter den west­li­chen Beob­ach­tern jener Zeit dar.
In der Dis­kus­si­on kam die Fra­ge auf, wie man Mor­ris in Japan nach dem Krieg sah. Da er eine Tren­nung zwi­schen sei­ner aka­de­mi­schen Tätig­keit und poli­ti­schem Enga­ge­ment auf­recht­erhielt und sich als neu­tra­ler Beob­ach­ter ver­stand, wur­de er nach dem Krieg nicht gering­ge­schätzt, so von Fel­bert. Im Gegen­satz zu Bene­dicts Buch sei der Rei­se­be­richt von Mor­ris jedoch in Japan ver­gleichs­wei­se unbekannt.

Den letz­ten Vor­trag des Tref­fens hielt MICHAEL FACIUS (Ber­lin) zum The­ma „Kata­stro­phen und Emo­tio­nen in Japan. Ein his­to­ri­scher Pro­blem­auf­riss“. Faci­us wies ein­gangs dar­auf hin, dass die Pro­jekt­idee vor der Kata­stro­phe in Nord­ost­ja­pan vom März 2011 ent­wi­ckelt wur­de und bedau­er­te, dass sie nun auf die­se Art an Aktua­li­tät gewon­nen habe.
Ein­lei­tend stell­te Faci­us die For­schungs­kon­tex­te des Pro­jekts vor: ers­tens die neue­re his­to­ri­sche Kata­stro­phen­for­schung, die Kata­stro­phen als sozia­le Kon­struk­te ver­steht und etwa nach kul­tu­rel­len Deutungs- und Reak­ti­ons­mus­tern fragt; zwei­tens die Emo­ti­ons­ge­schich­te, die die Geschicht­lich­keit von Emo­tio­nen pos­tu­liert und die­se unter ande­rem in Form „emo­tio­na­ler Regimes“ oder „emo­tio­na­ler Gemein­schaf­ten“ unter­sucht, also als gesell­schaft­lich wirk­sa­me Phä­no­me­ne; und schließ­lich die Glo­bal­ge­schich­te, die in dem Pro­jekt ins Spiel kommt, um zu durch­den­ken, wie his­to­ri­sche Glo­ba­li­sie­rung oder auch die glo­ba­le Medi­en­be­richt­erstat­tung von heu­te den emo­tio­na­len Umgang mit Kata­stro­phen ver­än­dert hat.
Als Fall­bei­spiel wähl­te Faci­us die Umwelt­ver­schmut­zung in der Ashio-Kupfermine in den 1890er-Jahren und stell­te die Reak­tio­nen des Poli­ti­kers und Akti­vis­ten Tana­ka Shô­zô vor. Er zeig­te, wie Tana­ka in unter­schied­li­chen Kon­tex­ten unter­schied­li­che emo­tio­na­le Sti­le ein­setz­te, bei­spiels­wei­se einen ratio­nal­po­li­ti­schen Dis­kurs im Par­la­ment, per­sön­li­che Sor­ge um den emo­tio­na­len Zustand der betrof­fe­nen Bevöl­ke­rung in einem Brief an einen befreun­de­ten Akti­vis­ten oder einen kon­fu­zia­nisch gepräg­ten Auf­ruf zum Mit­ge­fühl in einer direk­ten Peti­ti­on an den Kai­ser. Das Pro­jekt, so Faci­us, soll zu einem sys­te­ma­ti­schen Ver­ständ­nis von emo­tio­na­len Umgangs­for­men mit Kata­stro­phen in der japa­ni­schen Geschich­te beitragen.
Die Dis­kus­si­on ver­wies auf eini­ge der Pro­blem­fäl­le, mit dem die his­to­ri­sche Emo­ti­ons­for­schung als Gan­zes zu kämp­fen hat: Wel­che Defi­ni­ti­on von Emo­tio­nen bringt man zum Anschlag und wie fin­det man die­se in den Quel­len? Ver­wei­sen Schrift­zei­chen mit Herz-Radikal gera­de­wegs auf Emo­tio­nen? Wie behan­delt man die nicht­sprach­li­chen und kör­per­li­chen Aspek­te von Emo­tio­nen, also „emo­tio­na­le Pra­xen“ wie Trä­nen, Ges­ten und Ritua­le? Zur Fra­ge nach dem japa­ni­schen For­schungs­stand ant­wor­te­te Faci­us, die­ser bie­te eine frucht­ba­re Grund­la­ge in Berei­chen wie der Ideen­ge­schich­te, der Reli­gi­ons­for­schung oder Volks­kun­de, wo man auf Stu­di­en zu Kata­stro­phen­vor­stel­lun­gen oder kon­fu­zia­ni­sche Affekt­theo­rien zurück­grei­fen kön­ne; Emo­tio­na­li­tät als sys­te­ma­ti­scher For­schungs­ge­gen­stand sei jedoch noch wenig erschlossen.

Eine Podi­ums­dis­kus­si­on zum Wert glo­bal­ge­schicht­li­cher Ansät­ze für die japa­ni­sche oder ost­asia­ti­sche Geschich­te erwei­ter­te schließ­lich die Per­spek­ti­ve von den Fall­stu­di­en hin zu grund­sätz­li­che­ren Fra­gen der Geschichts­schrei­bung. Den Ein­stieg mach­te ROBERT KRAMM-MASAOKA (Tübin­gen) mit einem Über­sichts­re­fe­rat zu The­men und Per­spek­ti­ven glo­bal­ge­schicht­li­cher Forschung.
HARALD FUESS (Hei­del­berg) berich­te­te sodann aus sei­ner eige­nen For­schung über eine Geschich­te der Hafen­stadt Yoko­ha­ma in der Zeit der unglei­chen Ver­trä­ge ab den 1860er-Jahren. Dar­in unter­sucht er trans­kul­tu­rel­le recht­li­che Kon­flik­te — Ver­trags­strei­tig­kei­ten zwi­schen einem Rus­sen und einem Japa­ner etwa ? die sich aus dem Sys­tem der Kon­su­lar­ge­richts­bar­keit erga­ben. Aus­ge­hend davon plä­dier­te Fuess dafür, Glo­bal­ge­schich­te von einer Ver­an­ke­rung in der Mikroebe­ne aus zu schrei­ben und die­se mit grö­ße­ren Ent­wick­lun­gen zu ver­knüp­fen. Glo­bal­ge­schicht­li­che Ansät­ze müss­ten auch dazu die­nen, über­kom­me­ne intel­lek­tu­el­le Vor­ga­ben der Japa­no­lo­gie zu hin­ter­fra­gen, indem bei­spiels­wei­se Ver­glei­che und Ver­net­zun­gen der japa­ni­schen Geschich­te stär­ker bear­bei­tet wür­den. Gleich­zei­tig warn­te er davor, dass Glo­bal­ge­schich­te nicht in „intel­lek­tu­el­len Impe­ria­lis­mus“ aus­ar­ten dür­fe, indem etwa west­li­che Glo­bal­his­to­ri­ker asia­ti­sche Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen dafür kri­ti­sie­ren, dass sie „noch“ Natio­nal­ge­schich­te schreiben.
Danach sprach UNSUK HAN (Seo­ul, Gast­pro­fes­sor in Tübin­gen) über Glo­ba­li­sie­rung und Glo­bal­ge­schich­te aus asia­ti­scher Sicht. Er berich­te­te, dass in Korea etwa seit dem Jahr 2000 Inter­es­se an glo­bal­ge­schicht­li­chen Ansät­zen zu bemer­ken sei. So gab es 2006 eine Tagung der His­to­ri­ker für west­li­che Geschich­te mit dem Titel „Was ist für uns das Abend­land ? Jen­seits der euro­zen­tri­schen Okzid­ent­ge­schich­te“. Dar­an zei­ge sich, dass nicht die Geschich­te der Glo­ba­li­sie­rung oder trans­na­tio­na­le Geschich­te den Aus­gangs­punkt bil­de­ten für eine korea­ni­sche Beschäf­ti­gung mit der Glo­bal­ge­schich­te, son­dern viel­mehr die Kri­tik an euro­zen­tri­schen Per­spek­ti­ven. Die­ses Inter­es­se sei nicht zuletzt der eige­nen Erfah­rung der Kolo­nia­li­sie­rung durch Japan geschul­det. Han mach­te in Japan bes­se­re Vor­be­din­gun­gen für glo­bal­ge­schicht­li­che Ansät­ze aus, da es dort eine stär­ke­re Tra­di­ti­on empi­ri­scher For­schung gebe. Zum Ver­gleich euro­päi­scher und asia­ti­scher Ver­sio­nen von Glo­bal­ge­schichts­schrei­bung emp­fahl Han Domi­nic Sach­sen­mai­ers Buch „Glo­bal per­spec­ti­ves on glo­bal histo­ry“ (3).
Die Podi­ums­vor­trä­ge lei­te­ten eine leb­haf­te Dis­kus­si­on ein, die eine Viel­zahl von Fra­gen zur intel­lek­tu­el­len wie zur insti­tu­tio­nel­len Sei­te der Glo­bal­ge­schich­te ansprach. Eine streit­ba­re The­se war etwa, dass Glo­bal­ge­schich­te auch Natio­nal­ge­schich­te in neu­em Gewand sein kön­ne, wenn etwa korea­ni­sche Geld­ge­ber Pro­jek­te in Deutsch­land för­dern, die eine Dezen­trie­rung Euro­pas zuguns­ten Kore­as betrei­ben. Dar­aus ergab sich die Fra­ge, ob Glo­bal­ge­schich­te mit ihrem hohen kon­zep­tio­nel­len Anspruch an eine mul­ti­zen­tri­sche und mit­hin anti-nationalistische Geschich­te noch „unschul­dig“ sei? Wo hat sie in ihrer Pra­xis der letz­ten zwan­zig Jah­re und ihrer zuneh­men­den Bedeu­tung bereits neue, eige­ne Aus­schluss­me­cha­nis­men pro­du­ziert — durch ihren Zugang (Was geschieht mit den nicht-verflochtenen, nicht­trans­na­tio­na­len, mit den „nur“ deut­schen oder euro­päi­schen The­men?), aber auch insti­tu­tio­nell: So hat die Uni­ver­si­tät Erfurt vor eini­gen Jah­ren die Ostasien-Fächer abge­wi­ckelt, rich­tet nun aber einen Lehr­stuhl für „Glo­bal­ge­schich­te des 19. Jahr­hun­derts“ ein.
Wie man die aktu­el­len For­schungs­trends im Gan­zen auch beur­tei­len mag — die Vor­trä­ge der Tagung deu­ten an: Auch ohne dass jedes Pro­jekt aus­drück­lich als „glo­bal­ge­schicht­lich“ eti­ket­tiert wäre, scheint der wis­sen­schaft­li­che Nach­wuchs (denn es wur­den ja Postdoc‑, Promotions- und Mas­ter­pro­jek­te vor­ge­stellt) bei Zugang und The­men­wahl deren Leit­ideen der Ver­flech­tung, des Anti-Eurozentrismus, des trans­na­tio­na­len, regio­na­len, und glo­ba­len Blicks bereits als einen maß­geb­li­chen „Denk­stil“ zu verinnerlichen.

(1) James H. Gray­son, Susa-no‑o: a cul­tu­re hero from Korea, in: Japan Forum 14,3 (2002), S. 465–487 zurück zum Text.
(2) John Mor­ris, Tra­vel­ler from Tokyo, Lon­don 1943 zurück zum Text.
(3) Domi­nic Sach­sen­mai­er, Glo­bal per­spec­ti­ves on glo­bal histo­ry: theo­ries and approa­ches in a con­nec­ted world, Cam­bridge 2011 zurück zum Text.

Tagungs­be­richt 19. Tref­fen der Initia­ti­ve zur his­to­ri­schen Japan­for­schung. 05.05.2012–06.05.2012, Tübin­gen, in: H‑Soz-u-Kult, 19.09.2012.

(Pro­to­koll: Micha­el Facius)

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favicon0120. Tref­fen an der Uni­ver­si­tät Hei­del­berg am 3. und 4. Novem­ber 2012:

Anwe­send waren in Hei­del­berg: Baba Aki­ra (Uni­ver­si­tät Tôkyô, gera­de Bonn), Chris­tia­ne Ban­se (Hei­del­berg), Anja Batram (Bochum), Chris­ti­an Dun­kel (Staats­bi­blio­thek Ber­lin), Jonas Ger­lach (Köln), Lisa Ham­me­ke (Bochum), Itô Kao­ri (Uni­ver­si­tät Kyûs­hû, gera­de Bochum), Rebec­ca Mak (Hei­del­berg), Ani­ca Katz­berg (Bonn), Daria Kupis (Bochum), Hans-Martin Krä­mer (Hei­del­berg), Till Knaudt (Hei­del­berg), Robert Kramm-Masaoka (Zürich), Made­lei­ne Mai­er (Bochum), Mar­tha Men­zel (Hei­del­berg), Mori­ka­wa Tak­emit­su (Luzern), Chris­ti­an Schi­man­ski (Bochum), Jan Schmidt (Bochum), Shi­ge­mo­to Yuki (Uni­ver­si­tät Kyûs­hû, gera­de Bochum), Wolf­gang Sei­fert (Hei­del­berg), Nora Stif­ter (Bochum), Det­lev Taran­c­zew­ski (Bonn), Frie­de­ri­ke Tur­ow­ski (Bochum), Melina Wache (Bochum), Yama­guchi Teruo­mi (Uni­ver­si­tät Kyûs­hû, gera­de Bochum), Yuka­wa Shiro (Bonn);

1. Vor­stel­lungs­run­de:
Chris­ti­an DUNKEL von der Staats­bi­blio­thek Ber­lin wies aber­mals auf das Digi­ta­li­sie­rungs­pro­jekt der Sta­Bi hin und reg­te an, Wün­sche für Test­zu­gän­ge bestimm­ter Daten­bän­ke bit­te an die Sta­Bi wei­ter­zu­lei­ten. Det­lev TARANCZEWSKI beschäf­tigt sich wei­ter­hin mit dem Pro­jekt „Was­ser in Asi­en“, und arbei­tet dar­über hin­aus zu „Macht und Herr­schaft im trans­kul­tu­rel­len Ver­gleich in der Vor­mo­der­ne“ und den bura­ku­min und deren Vor­läu­fern. Jan SCHMIDT wies auf die „Biblio­gra­phie zur his­to­ri­schen Japan­for­schung“ hin, der er zusam­men mit Maik Hen­drik SPROTTE betreibt. Inzwi­schen wur­de die „Biblio­gra­phie zur his­to­ri­schen Japan­for­schung“ in das Datenbank-Informationssystem (DBIS) auf­ge­nom­men, was uns als Zei­chen der Aner­ken­nung unse­rer Arbeit beson­ders freut. Im Novem­ber 2012 konn­te zudem der 1100. Daten­satz in die Daten­bank ein­ge­ar­bei­tet wer­den. Es steht auf der Sei­te der Biblio­gra­phie unter ein For­mu­lar zur Ver­fü­gung um eige­ne neue oder all­ge­mein noch in der Daten­bank feh­len­de Titel zu melden.

2. Vor­trä­ge:
Der Vor­trag von Jonas GERLACH (Köln) „Bau­ge­dan­ke und Mis­si­ons­po­li­ti­sches Kal­kül der Jôdo shinshû zu Beginn des 20. Jahr­hun­derts“ befass­te sich im Rah­men sei­ner Dis­ser­ta­ti­on mit den bud­dhis­ti­schen Tem­pel­an­la­gen in Japan ab der Meiji-Zeit. Das Ziel des Vor­trags war es, die her­aus­ge­ar­bei­te­ten Hin­ter­grün­de für die­se neu­en For­men der Gestal­tung von Tem­peln der Jôdo shinshû zu prä­sen­tie­ren und die Fol­gen, die sich nach Mei­nung GERLACHS aus der Auf­nah­me der neu­en Ele­men­te erge­ben haben, zur Dis­kus­si­on zu stellen.
In sei­nem Vor­trag gab GERLACH zunächst einen Über­blick über die bau­his­to­ri­schen Ent­wick­lun­gen bud­dhis­ti­scher Tem­pel ab der Meiji-Zeit bis zum 2. Welt­krieg. In die­sem Zuge ging er auch auf wich­ti­ge Per­so­nen, wie den Archi­tek­ten Itô Chû­ta (1867–1954) und den 22. Hôs­hu der Jôdo shinshû Nishihonganji-ha, Ôta­ni Kôzui (1876–1948), ein, die hin­ter den Tem­pel­bau­pro­jek­ten steck­ten, bei denen euro­päi­sche Bau­tech­ni­ken und Mate­ria­li­en, aber auch indi­sche Stil­ele­men­te genutzt wor­den sei­en. Zuletzt kam GERLACH auf die Moti­va­ti­on bzw. Hin­ter­grün­de für die Gestal­tung die­ser Bau­ten und die Fol­gen zu spre­chen, die sich sei­nes Erach­tens aus den neu­en Ent­wick­lun­gen ergaben.
Als Hin­ter­grün­de für die Refe­ren­zen zu indi­scher und süd­ost­asia­ti­scher Archi­tek­tur in den neu­en Tem­pel­an­la­gen nann­te GERLACH ers­tens das Selbst­ver­ständ­nis der Jôdo shinshû von sich als uni­ver­sel­len Bud­dhis­mus, was auch die Tem­pel­bau­ten wider­spie­geln soll­ten. Außer­dem habe die Jôdo shinshû auch in ande­ren Berei­chen stets ihre Ver­wur­ze­lung auf dem asia­ti­schen Fest­land betont, um auf ihre Nähe zum „ursprüng­li­chen“ Bud­dhis­mus hin­zu­wei­sen. Teil­wei­se spie­gel­ten GERLACH zufol­ge die Tem­pel auch die poli­ti­schen Ambi­tio­nen der Zeit wie­der, wie zum Bei­spiel durch den Bau der zwei­flü­ge­li­gen Tem­pel­an­la­ge Nishi-honganji Tsukiji-betsuin von Itô Chû­ta aus dem Jahr 1934, die an westlich-imperialistische Bau­ten erinnere.
Die Ver­än­de­run­gen am Tem­pel­bau — mit dem Tem­pel­be­griff sei jeweils ein gesam­tes Tem­pel­ge­biet gemeint — sei­en also kei­nem reli­giö­sen Pro­gramm geschul­det gewe­sen, son­dern hät­ten, so GERLACH am Schluss, poli­ti­sche, welt­li­che und tak­ti­sche Hin­ter­grün­de. Als Fol­ge sei der reli­giö­se Sinn die­ser Bau­ten ver­schwun­den und nur so hät­ten bud­dhis­ti­sche Bau­for­men auch an nicht reli­giö­sen Bau­ten erschei­nen kön­nen, zum Bei­spiel die Stû­pa auf dem Bahn­hof von Nara.
Eine der Rück­fra­gen war die nach dem Neu­en in der Über­nah­me von Ele­men­ten. Dar­auf ant­wor­te­te GERLACH, dass das Neue im Ver­lo­ren­ge­hen der ritu­el­len Dimen­si­on gele­gen habe („Bei der Stû­pa auf dem Bahn­hof kann man nicht mehr um sie her­um­ge­hen.“). Neben den Rück­fra­gen zum Inhalt des Vor­trags gab es die Anre­gung nach­zu­for­schen, ob es, wie bei den Nihon-ga, auch in der Archi­tek­tur nicht nur zu einer ein­sei­ti­gen Über­nah­me, son­dern auch zu Aus­tausch­pro­zes­sen zwi­schen Japan und Indi­en gekom­men sei.

Robert KRAMM-MASAOKA (Zürich) stell­te mit sei­nem Vor­trag VD cont­act tra­cing und hybri­de Toi­let­ten: Dis­kur­se und Prak­ti­ken der Regu­lie­rung von Geschlechts­krank­hei­ten und Inti­mi­tät wäh­rend der US-Okkupation Japans“ einen Teil sei­nes Dis­ser­ta­ti­ons­pro­jekts vor. In Anleh­nung an die und unter Anwen­dung von Metho­den und Begrif­fen der post­ko­lo­nia­len Stu­di­en unter­sucht er kon­kre­te Tech­ni­ken der Regu­lie­rung von Pro­sti­tu­ti­on, Sexua­li­tät, Inti­mi­tät und Geschlechts­krank­hei­ten und deren Umset­zung in den all­täg­li­chen Prak­ti­ken, um die Kom­ple­xi­tät der besat­zungs­zeit­li­chen Begeg­nun­gen zwi­schen dem Besat­zungs­per­so­nal und der japa­ni­schen Gesell­schaft zu ver­deut­li­chen. Eine Unter­su­chung kon­kre­ter Regu­lie­rungs­prak­ti­ken zei­ge, ers­tens, dass die Macht- und Herr­schafts­ver­hält­nis­se, in denen die­se Begeg­nun­gen statt­fin­den, denen in frü­he­ren kolo­nia­len For­ma­tio­nen ähnel­ten, jedoch zuneh­mend durch die neo­ko­lo­nia­len Macht­ver­hält­nis­se wäh­rend des Kal­ten Krie­ges geprägt sei­en. Zwei­tens, kön­ne durch den Gegen­stand ver­an­schau­licht wer­den, dass wäh­rend der Besat­zungs­zeit auch in Berei­chen (wie z.B. sani­tä­re Prak­ti­ken der Besat­zungs­trup­pen), in denen es weni­ger zu ver­mu­ten ist, kein ein­deu­ti­ges, ein­di­men­sio­na­les Herr­schafts­ge­fäl­le bestand, son­dern eben auch hier bestimm­te Hand­lungs­räu­me und ‑kom­pe­ten­zen der Besetz­ten bestan­den haben sollen.

Ani­ca KATZBERG (Bonn) behan­delt in ihrer MA-Arbeit, die sie mit ihrem Vor­trag „Der Film­erklä­rer — Ver­gleich zwi­schen Euro­pa und Japan“ vor­stell­te, Beruf und Funk­ti­on des Film­erklä­rers, ein nicht nur auf Japan beschränk­tes Phä­no­men, das in den 1970er Jah­ren inter­na­tio­nal als Teil der Film­auf­füh­rungs­kul­tur der ers­ten Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts bekannt wur­de. Sie ver­such­te dabei die Stel­lung des Film­erklä­rers als Insti­tu­ti­on im Ver­gleich zwi­schen Japan und Deutsch­land zu erläu­tern. Neben den his­to­ri­schen Ursprün­gen ver­schie­de­ner Pro­jek­ti­ons­tech­ni­ken und der Film­erklä­rer sowohl in Japan als auch in Euro­pa ging KATZBERG näher auf die Funk­ti­on des Film­erklä­rers (jap. ben­shi) ein. Die­se ergab sich dadurch, dass in den zum gro­ßen Teil aus Euro­pa impor­tier­ten Fil­men euro­päi­sche Sit­ten und Gepflo­gen­hei­ten dar­ge­stellt wur­den, die dem japa­ni­schen Publi­kum nicht geläu­fig waren. Zudem wur­den durch den ben­shi Infor­ma­tio­nen zum Medi­um Film an sich und zur Tech­nik der Dar­stel­lungs­form gege­ben. Da die ben­shi zum Teil sehr gro­ße Popu­la­ri­tät genos­sen und durch ihre Erklä­run­gen Ein­fluss auf den Cha­rak­ter des Films neh­men konn­ten, geht KATZBERG davon aus, dass dadurch der Film in den Hin­ter­grund gedrängt und das Rezep­ti­ons­ver­hal­ten des Publi­kums beein­flusst wurde.

YUKAWA Shiro (Bonn) befass­te sich in sei­nem Vor­trag „Media­li­tät von Quel­len aus dem Zeit­al­ter ihrer tech­ni­schen Repro­du­zier­bar­keit“ mit der Repro­duk­ti­on einer Quel­le als Gegen­teil des Ori­gi­nals und der damit ein­her­ge­hen­den Min­der­wer­tig­keit die­ser Doku­men­ta­ti­ons­me­di­en. Aus­ge­hend von einem Auf­satz von Wal­ter Ben­ja­min („Das Kunst­werk im Zeit­al­ter sei­ner tech­ni­schen Repro­du­zier­bar­keit“, 1936 (franz.), 1955 (de.)), in dem der sprach­li­che Nie­der­schlag epis­te­mi­scher Grund­ein­stel­lun­gen zu tech­ni­schen Medi­en seit dem 20. Jh. und die „Echt­heit einer Sache“ behan­delt wer­den, stell­te YUKAWA die Fra­ge, was mit einem Medi­um geschieht, wenn nur noch die Repro­duk­ti­on sel­bi­ger exis­tiert. Vor dem Hin­ter­grund der rapi­de anwach­sen­den Anzahl von Medi­en und der pro­ble­ma­ti­schen Dau­er­haf­tig­keit sel­bi­ger stell­te YUKAWA eini­ge Pro­blem­fel­der vor. 1) Die Rekon­struk­ti­on der Her­kunft ist bei vom Ori­gi­nal ent­kop­pel­tem Besitz einer Repro­duk­ti­on pro­ble­ma­tisch. 2) Bei Ver­fall von Medi­en ist ab einem gewis­sen Zeit­punkt nicht mehr beur­teil­bar, ob es als Uni­kat vor­liegt. 3) Die Doku­men­ta­ti­on von Medi­en (Was liegt wo?) ist nicht vollständig.
Als Ide­al stellt YUKAWA vor, dass so viel wie mög­lich digi­ta­li­siert, kon­ser­viert, archi­viert und somit tra­diert wür­de. Jedoch man­ge­le es an einer Sen­si­bi­li­tät für die Pro­ble­ma­tik, Geld und Zeit für die Umset­zung ent­spre­chen­der Maß­nah­men, an Inter­es­se, Netz­wer­ken, Fach­wis­sen für Archi­vie­rung, Wil­le und Geduld. Als Pro­blem­lö­sung regt YUKAWA dazu an, eine inten­si­ve­re Beschäf­ti­gung mit Theo­re­men und Metho­den zur Nutz­bar­ma­chung von Bild­quel­len usw. zu ent­wi­ckeln und Mate­ria­li­en, Inter­es­sen und Inter­es­sier­te bes­ser zu ver­net­zen. YUKAWA zog als Bei­spiel sei­ne Bemü­hun­gen in der Bon­ner Japa­no­lo­gie um den Nach­lass von Fried­rich M. Trautz heran.
In der anschlie­ßen­den Dis­kus­si­on kamen zunächst Fra­gen zur Rea­li­sier­bar­keit auf (Wo anfan­gen? Was auf­he­ben? Alles, was heu­te exis­tiert könn­te irgend­wann von his­to­ri­schem Inter­es­se sein). Es wur­de vor­ge­schla­gen, auch Finan­zie­rungs­mög­lich­kei­ten von japa­ni­scher Sei­te ins Auge zu fas­sen und dazu ange­regt, dass zunächst ein Über­blick über Quellen/Medienbestände in Deutsch­land geschafft wer­den soll­te. Auch eine Schär­fung für die Bedeu­tung der Mate­ria­li­en soll­te ange­strebt wer­den, da nur eine stei­gen­de Bedeu­tung derer als Schlüs­sel für Finan­zie­rungs­mög­lich­kei­ten die­ne. Zudem wur­de über die Ver­ein­bar­keit des „Nost­al­gi­schen des Aura­ti­schen“ eines Medi­ums mit einem für ein sol­ches Groß­pro­jekt doch not­wen­di­gen Prag­ma­tis­mus diskutiert.

Chris­tia­ne BANSE (Hei­del­berg) befasst sich in ihrer MA-Arbeit, die sie mit ihrem Vor­trag „Chris­tent­um­kri­tik im Japan des spä­ten 19. Jahr­hun­derts am Bei­spiel der Jôdo-Shinshû“ vor­stell­te, mit den Grün­den und Stra­te­gien der Chris­tent­um­kri­tik der Jôdo-Shinshû (im Fol­gen­den JS) im spä­ten 19. Jahr­hun­derts mit Fokus auf die Per­son Shi­ma­ji Moku­rai (1838–1911). Die Mög­lich­keit, dass an die Chris­ten­tums­kri­tik des 17. Jh (1690 Ha dai­su, 1639 Kiris­hit­an mono­ga­ta­ri, 1642 Ha kiris­hit­an) ange­knüpft wur­de, ver­wirft BANSE mit Hin­weis auf nicht vor­han­de­ne Schrif­ten der JS unter den erhal­te­nen Kri­tik­schrif­ten. Statt­des­sen wer­den von Shi­ma­ji fol­gen­de, auf Aus­sa­gen des JS-Priesters Gess­hô (1603–1868) basie­ren­de, Kri­tik­punk­te ange­führt: Das Chris­ten­tum bedro­he das Land, der Bud­dhis­mus die­ne als geis­ti­ges Boll­werk. Der im Zuge der Meiji-Restauration an Bedeu­tung ver­lo­ren haben­de Bud­dhis­mus wird so durch die Chris­ten­tums­kri­tik in sei­ner exis­ten­zi­el­len Rol­le bestärkt. Shi­ma­jis Invol­vie­rung in den chris­ten­ten­feind­li­chen Ver­lag Tetsu­g­a­ku shôen las­sen laut Ban­se dabei anneh­men, dass sein Ein­fluss grö­ßer war als bis­her ange­nom­men. BANSE sprach im Wei­te­ren sowohl eini­ge inhalt­li­che Punk­te von Shi­ma­jis Kri­tik an, die eine gewis­se Kon­ti­nui­tät zu der des 17. Jhs. auf­wei­sen als auch sei­ne Rezep­ti­on west­li­cher Den­ker wie Hen­ry Ball und Ernest Renaud an.
In der Dis­kus­si­on merk­te Wolf­gang SEIFERT zunächst an, dass die Chris­ten­tums­kri­tik auch als Ideo­lo­gie­kri­tik gewer­tet wer­den könn­te. Das Chris­ten­tum wür­de in dem Kon­text als Vor­wand der west­li­chen Mäch­te gel­ten, um in Japan Fuß fas­sen zu kön­nen. Einem ähn­li­chen Argu­men­ta­ti­ons­mus­ter folg­ten schon Den­ker im 19. Jh. wie Aiza­wa Seis­hi­sai. Mar­tha MENZEL reg­te an, auch nach einer Ver­än­de­rung in Shi­ma­jis Ein­stel­lun­gen zu sei­nem Lebens­en­de hin suchen, da ab 1911 die Gefahr einer Chris­tia­ni­sie­rung Japans gebannt war. Till KNAUDT frag­te nach dem Ver­ständ­nis der JS der Kon­zep­te Staat und Reli­gi­on, da für Shi­ma­ji Leh­re und Poli­tik zwar zusam­men gehö­ren soll­ten, die Grün­dung des Reli­gi­ons­mi­nis­te­ri­ums 1872, das eine Tren­nung eben jener bei­den Berei­che durch­setz­te, jedoch durch ihn mit­ge­tra­gen wur­de. Hans Mar­tin KRÄMER inter­es­sier­te sich für den Unter­schied der Rezep­ti­on der katho­li­schen und pro­tes­tan­ti­schen Kir­che bei Shi­ma­ji, wor­auf­hin BANSE ant­wor­te­te, dass Shi­ma­ji die pro­tes­tan­ti­schen Strö­mun­gen ten­den­zi­ell befür­wor­te­te, die katho­li­schen jedoch kri­ti­sier­te (ritu­ell, aber­gläu­bisch usw.). YAMAGUCHI Teruo­mi, der selbst gera­de an einer Bio­gra­phie Shi­ma­jis arbei­tet, merk­te an, dass Shi­ma­ji in ver­gleichs­wei­se gerin­gem Maße Gess­ho rezi­piert habe und die Kri­tik immer in ihrer Funk­ti­on, näm­lich der Auf­wer­tung der eige­nen Leh­re, gese­hen wer­den müs­se. Zudem habe Shi­ma­ji 1872 in Deutsch­land gelebt, was ihm den Ruf eines „Chris­ten­ken­ners“ ein­brach­te und bei einer Ein­ord­nung der Bedeu­tung sei­ner Per­son berück­sich­tigt wer­den müsse.

MORIKAWA Tak­emit­su (Luzern) behan­delt in sei­nem Vor­trag „Ren’ai / Iro­koi. Ent­dif­fe­ren­zie­rung der Lie­bes­se­man­tik und ver­stärk­te Stra­ti­fi­zie­rung der Gesell­schaft in der Meiji- und Taishô-Zeit“ das Begriffs­paar iro-koi und ren’ai, des­sen Ent­spre­chung in der Stra­ti­fi­zie­rung der Gesell­schaft der Meiji- und Taishô-Zeit anzu­fin­den sei. Er beruft sich dabei auf die Lie­bes­de­fi­ni­ti­on nach Niklas Luh­mann, der Lie­be als Medi­um neben Macht und Geld sieht, das für bestimm­te Kom­mu­ni­ka­ti­ons­pro­zes­se in der Gesell­schaft vor­ge­se­hen und nur in bestimm­ten Berei­chen ein­setz­bar ist. Die­se Medi­en dür­fen nicht im fal­schen Umfeld ange­wandt wer­den, z.B. füh­re Geld in der Poli­tik zu Kor­rup­ti­on, Geld in der Bezie­hung zu Pro­sti­tu­ti­on usw. Die Fami­li­en­re­for­men der Meiji-Zeit, die unter dem Leit­satz bun­mei kai­ka („Zivi­li­sa­ti­on und Auf­klä­rung“) stan­den, wur­den von Meiji-Intellektuellen wie Mori Ari­no­ri getra­gen, die das Ende der Edo-Zeit als Pha­se des mora­li­schen Ver­falls wer­te­ten. Ande­re wie Kita­mu­ra Tôko­ku spra­chen sich für die Ver­nunft und gegen die Lust aus und führ­ten im Rah­men des­sen als Nega­tiv­bei­spiel die iro-koi-Liebe der Edo-Zeit an. Der ren’ai-Boom der Meiji-Zeit, der sich laut MORIKAWA vor allem in der Lite­ra­tur wider­spie­gel­te (Pas­si­on hat kei­ne Sprung­kraft im Begriffs­feld der Zivi­li­sa­ti­on, kei­ne Kraft, die Gren­zen des seg­men­tä­ren Sys­tems der Fami­lie zu über­win­den), zeigt dabei immer wie­der das Gefäl­le von ren’ai zu iro-koi auf, wobei der Geist über dem Kör­per, das Den­ken über dem Füh­len steht und somit ren’ai als nicht uni­ver­sell prak­ti­zier­ba­res Ide­al pro­du­ziert, das sich in der Stra­ti­fi­zie­rung der Gesell­schaft wider­spie­gelt. Dies zeigt sich auch geo­gra­fisch, wenn der Yamanote-Bezirk Toky­os mit ai, der Shitamachi-Bezirk mit iro iden­ti­fi­zeirt wird.
Hans Mar­tin KRÄMER frag­te in der anschlie­ßen­den Dis­kus­si­on, was in 20 Jah­ren zwi­schen den Dis­kus­sio­nen um den Zivi­li­sa­ti­ons­ge­dan­ken, der die Aus­brei­tung eines Pas­si­ons­ge­dan­ken ver­hin­der­te (z.B. in der Mei­ro­ku zas­shi) und den Roma­nen geschah. MORIKAWA ant­wor­te­te, dass auch in den Roma­nen der bun­mei-Begriff noch zen­tral, die Seman­tik von 20 Jah­ren zuvor also noch ein­fluss­reich war. Robert KRAMM merk­te an, dass Lie­be und Sex als Seman­tik­paar zu funk­tio­nal gedacht sei, da Pro­sti­tu­ti­on in der Moder­ne nicht ille­gi­tim war. Hier eine mora­li­sche Kon­stan­te zu kon­sta­tie­ren sehe er als pro­ble­ma­tisch an. Jan SCHMIDT reg­te dazu an, die Quel­len­ba­sis aus­zu­wei­ten und auch Zei­tun­gen mit in die Ana­ly­se ein­zu­be­zie­hen, wor­auf­hin MORIKAWA auf die hohen Leser­zah­len der Roma­ne und somit auf ihre aus­rei­chen­de Reprä­sen­ta­ti­vi­tät verwies.

3. Abschluss­dis­kus­si­on:
Auf der Tages­ord­nung der Abschluss­sit­zung am Sonn­tag stan­den vor allem fol­gen­de drei Punkte:

1. Klä­rung ob der halb­jähr­li­che Tur­nus der Initia­ti­ve­tref­fen fort­ge­setzt wer­den soll;
2. Fra­ge nach der Trans­pa­renz in der Orga­ni­sa­ti­on der Initiativetreffen;
3. Soll sich die Initia­ti­ve „pro­fes­sio­na­li­sie­ren“, d.h. stär­ker bestimm­te Leit­the­men in den Vor­der­grund stel­len, oder bei der bis­he­ri­gen locke­ren The­men­wahl bleiben?

Zu Beginn wur­de nach der ent­spre­chen­den Fra­ge fest­ge­stellt, dass die meis­ten Anwe­sen­den den halb­jähr­li­chen Tur­nus ger­ne bei­be­hal­ten wol­len. Jan Schmidt eröff­ne­te dann die Dis­kus­si­on mit der Fest­stel­lung, dass wohl ver­schie­dent­lich von außen der Ein­druck ent­stan­den sei, dass sich in der Initia­ti­ve ein „inner cir­cle“ eta­bliert habe bzw. die­se von einem sol­chen gelei­tet wür­de. Es sei dem gegen­über natür­lich wich­tig, die Orga­ni­sa­ti­on der Initia­ti­ve­tref­fen so trans­pa­rent und basis­de­mo­kra­tisch wie mög­lich zu gestal­ten. Dazu soll­ten die schon vor­han­de­nen Infra­struk­tu­ren, wie z.B. die Home­page, noch stär­ker genutzt wer­den, als es in letz­ter Zeit der Fall war. Schmidt wies aber auch dar­auf hin, dass allei­ne ein Blick in die Lis­te der bis­he­ri­gen Orga­ni­sa­to­rIn­nen und der Teil­neh­me­rIn­nen der ver­gan­ge­nen Tref­fen zei­ge, dass die Initia­ti­ve nach der Grün­dung durch Tho­mas Bütt­ner, Hans Mar­tin Krä­mer, Tino Schölz, Maik Hen­drik Sprot­te und ihn selbst sehr schnell und kon­ti­nu­ier­lich auf sehr vie­len Schul­tern geruht habe und dass die Ent­schei­dun­gen im Kon­sens der Teil­neh­men­den ent­stan­den sei­en, eine Domi­nanz Ein­zel­ner also eher ein Pro­blem der Wahr­neh­mung von außen sei. Kri­ti­ker waren und sei­en auch wei­ter­hin immer will­kom­men, nur soll­ten die­se dann im Gegen­zug auch regel­mä­ßig bzw. über­haupt an den Tref­fen teil­neh­men und sich orga­ni­sa­to­risch ent­spre­chend ein­brin­gen, da die ein­zi­ge Bedin­gung, die für eine Mit­spra­che stets von allen Betei­lig­ten im Kon­sens akzep­tiert wur­de, die wie­der­hol­te Teil­neh­me und orga­ni­sa­to­ri­sche Mit­ar­beit sei. Die Mög­lich­keit, sich inhalt­lich ein­zu­brin­gen bestehe dabei über die Mai­ling­lis­te der Initia­ti­ve, „Initiative-Nihonshi“, zu der sich alle Inter­es­sier­ten jeder­zeit anmel­den könn­ten, ohne dadurch irgend­wel­che Ver­pflich­tun­gen ein­zu­ge­hen (der­zeit 71 Abon­nen­ten; die Lis­te ist ledig­lich mode­riert, um Spam-Mails zu ver­hin­dern, alle ande­ren Bei­trä­ge wer­den zeit­nah frei­ge­schal­tet). Wei­ter sei es wich­tig, auch „Nicht-Japanologen“ in die Orga­ni­sa­ti­on der Initia­ti­ve zu inte­grie­ren. Es sei bei­spiels­wei­se schon vor­ge­schla­gen wor­den, den Aus­tra­gungs­ort in Muse­en zu ver­le­gen bezie­hungs­wei­se mit Muse­en stär­ker zu koope­rie­ren. Zudem müs­se immer wie­der betont wer­den, dass die Initia­ti­ve kein allei­ni­ges Tref­fen von Japa­no­lo­gen sei, son­dern sich prin­zi­pi­ell an alle rich­te, die zu Facet­ten der japa­ni­schen Geschich­te, in wel­cher Dis­zi­plin auch immer behei­ma­tet, arbei­te­ten. Es wur­de auch eine stär­ke­re Beto­nung von „The­men­blö­cken“ vor­ge­schla­gen. Zum The­ma „The­men­block“ schlug Chris­tia­ne Ban­se ein Misch­sys­tem aus Theorie- und Vor­trags­blö­cken vor. Die­ses Misch­sys­tem sei aller­dings ohne eine strin­gen­te Orga­ni­sa­ti­ons­dis­zi­plin nicht mög­lich. Eher kri­tisch sah Mar­ta Men­zel die Fest­le­gung auf bestimm­te The­men­blö­cke, da so leicht ein Trend zu The­men­kon­struk­ti­on ent­ste­hen kön­ne. Robert Kramm-Masaoka schlug vor, eher ein Sys­tem eines Werk­statt­be­richts von For­schungs­pro­jek­ten mit beglei­ten­der Text­lek­tü­re ein­zu­füh­ren. Jan Schmidt ent­geg­ne­te, dass die vor­be­rei­ten­de Lek­tü­re zu japa­no­lo­gi­schen Werk­statt­be­rich­ten zwar an sich eine gute Idee, aber wenig prak­ti­ka­bel sei. Hans Mar­tin Krä­mer fass­te die Metho­de der Orga­ni­sa­ti­on der ers­ten Initia­ti­ve­tref­fen zusam­men, wonach die Initia­ti­ve wesent­lich weni­ger ?kon­fe­renz­las­tig? gewe­sen sei, eine Ziel­set­zung, die, das zeig­te die Zustim­mung wäh­rend der Dis­kus­si­on, nach wie vor den Inter­es­sen der Mehr­heit der Teil­neh­me­rIn­nen zu ent­spre­chen scheint. So habe es ursprüng­lich nur vier 90-Minutenblöcke gege­ben, wovon ein Block bereits für die Infor­run­de ver­braucht wor­den sei. Einer die­ser Blö­cke sei für ein Input­re­fe­rat reser­viert gewe­sen, das eine Dis­kus­si­on habe ansto­ßen sol­len, wor­auf drei wei­te­re Vor­trä­ge gefolgt sei­en, für die man sich aber mehr Zeit habe neh­men kön­ne. Lisa Hamm­ke beton­te die Not­wen­dig­keit der Inte­gra­ti­on von B.A.-Studierenden in die Initia­ti­ve, sowie die Mög­lich­keit des Aus­tauschs der Stu­die­ren­den unter­ein­an­der. Jan Schmidt beton­te den Wil­len, für das nächs­te Tref­fen einen eige­nen, der Initia­ti­ve vor­ge­schal­te­ten „Youngster-Workshop“ zu orga­ni­sie­ren, was bereits beim 19. Tref­fen in Tübin­gen Harald Fuess vor­ge­schla­gen hat­te. Kri­ti­sche Argu­men­te waren sei­tens eini­ger Stu­die­ren­der, dass man nicht in einen sepa­ra­ten Work­shop weg­kom­pli­men­tiert wer­den wol­le. Außer­dem, so Adri­an Gärt­ner, sei das Spe­zia­lis­ten­feed­back und die Vor­trags­si­tua­ti­on eine gute Gele­gen­heit, um ein­mal in den ?ech­ten? aka­de­mi­schen Betrieb rein­zu­schnup­pern. Yama­guchi Teruo­mi beton­te abschlie­ßend, dass ein erfolg­rei­cher Aus­tausch der Gene­ra­tio­nen nur durch die Inte­gra­ti­on von jun­gen Mit­glie­dern in die Initia­ti­ve mög­lich sei. Die jun­gen Mit­glie­der könn­ten dann ein­mal das Erbe der jet­zi­gen Initia­ti­ve antre­ten. Die Anwe­sen­den beschlos­sen hier­auf, die Dis­kus­si­on um das Pro­fil der Initia­ti­ve erst ein­mal in Ruhe fort­zu­set­zen um einen mög­lichst basis­de­mo­kra­ti­schen Kon­sens erzeu­gen zu können.

(Pro­to­koll: Chris­tia­ne Ban­se, Anja Batram, Till Knaudt, Robert Kramm-Masaoka, Jan Schmidt)

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favicon0421. Tref­fen an der Uni­ver­si­tät Ham­burg am 1. und 2. Juni 2013:

Anwe­send waren in Ham­burg: Ant­je Bie­ber­stein (Ham­burg), Ulrich Bran­den­burg (Zürich), Johan­nes Bud­kie­witz (Ham­burg), Maxi­mi­li­an Josef Duchow (Ham­burg), Ursu­la Fla­che (Ber­lin), Adri­an Gärt­ner (Hei­del­berg), Eike Groß­mann (Ham­burg), Char­lot­te Ick­ler (Ham­burg), Kao­ri Itô (Bochum/Fukuoka), Ivo Iva­nov (Bochum), Lenn­art Jacob (Ham­burg), Anne-Sophie König (Ham­burg), Robert Kramm-Masaoka (Zürich), Oli­ver E. Küh­ne (Tübin­gen), Simo­ne Lech­ner (Ham­burg), Flo­ri­an Lüne­burg (Ham­burg), Yuko Mae­za­wa (Bay­reuth), Martha-Christine Men­zel (Hei­del­berg), Bere­nice Möl­ler (Ham­burg), Tak­emit­su Mori­ka­wa (Luzern), Anke Sche­rer (Köln), Jan Schmidt (Bochum), Tino Schölz (Hal­le), Mar­cus Schö­ne (Ham­burg), Ste­fa­nie Schwar­te (Ham­burg), Maik Hen­drik Sprot­te (Hal­le), Anja Strö­mer (Ham­burg), Her­bert Worm (Ham­burg);

1. Inter­es­sen, Neu­ig­kei­ten und Projekte:
Ulrich Bran­den­burg (Zürich) pro­mo­viert zu „Träu­men von einem isla­mi­schen Ori­ent: Arabisch-japanische Sicht­wei­sen vom Beginn des 20. Jahr­hun­derts und ihre Ver­wur­ze­lung in west­li­chen Dis­kur­sen“ (sie­he Vor­trag unten). Die Inter­es­sen­schwer­punk­te von Johan­nes Bud­kie­witz (Ham­burg) lie­gen im Bereich des demo­gra­phi­schen Wan­dels, des Kul­tur­tou­ris­mus und der Revi­ta­li­sie­rung von Regio­nen. Maxi­mi­li­an Josef Duchow (Ham­burg) beschäf­tigt sich mit Nord­ko­rea­nern in Japan. Ursu­la Fla­che (Ber­lin) wies in ihrer Funk­ti­on als Fach­re­fe­ren­tin für Japan an der Staats­bi­blio­thek Ber­lin erneut auf die viel­fäl­ti­gen Mög­lich­kei­ten der Nut­zung ihrer Biblio­thek (Inter­net­por­tal www.crossasia.org, Fern­lei­he) hin. Sei auch die Digi­ta­li­sie­rung der Zet­tel­ka­ta­lo­ge schon weit fort­ge­schrit­ten, bestehe immer die Mög­lich­keit, eine Fern­lei­he über den „blau­en Leih­ver­kehr“ zu bestel­len, da der Titel, wenn viel­leicht auch (noch) nicht digi­tal ver­zeich­net, vor­han­den sein könn­te. Eike Groß­mann (Ham­burg) beschäf­tigt sich im Rah­men ihrer For­schun­gen zur vor­mo­der­nen Lite­ra­tur Japans mit der Kon­struk­ti­on von Kind­heit und Kind­heits­vor­stel­lun­gen. Kao­ri Itô (Bochum/Fukuoka) arbei­tet im Bereich der Diplo­ma­tie­ge­schich­te über die Inter­par­la­men­ta­ri­sche Uni­on und die Rol­le Deutsch­lands in die­ser. Lenn­art Jacob (Ham­burg) beschäf­tigt sich mit Maß­nah­men zur mut­maß­li­chen Stär­kung des Patrio­tis­mus in Schu­len und Gegen­be­we­gun­gen des Lehr­per­so­nals. Robert Kramm-Masaoka (Zürich) unter­sucht als Glo­bal­his­to­ri­ker die Regu­la­ti­on von Pro­sti­tu­ti­on im Japan unter der alli­ier­ten Besat­zung. Die Inter­es­sen von Flo­ri­an Lüne­burg (Ham­burg) lie­gen im Bereich der Bin­nen­gär­ten (tsu­bo­ni­wa) und ihrer Sym­bo­lik. Yuko Mae­za­wa (Bay­reuth) hat mit einer Arbeit zu „Mikro­ne­si­en im Ers­ten Welt­krieg (1914–1918). Kul­tur­kon­tak­te und Kul­tur­kon­fron­ta­ti­on zwi­schen Mikro­ne­si­ern, Japa­nern und Deut­schen“ (sie­he Vor­trag unten) an der dor­ti­gen Uni­ver­si­tät pro­mo­viert. Martha-Christine Men­zel (Hei­del­berg) unter­sucht die „Ent­de­ckung Hok­kai­dôs als Ort der japa­ni­schen Lite­ra­tur“. Tak­emit­su Mori­ka­wa (Luzern) wies auf die Druck­le­gung sei­ner Habi­li­ta­ti­ons­schrift hin, die 2013 unter dem Titel „Japa­ni­zi­tät aus dem Geist der euro­päi­schen Roman­tik. Der inter­kul­tu­rel­le Ver­mitt­ler Mori Ôgai und die Reor­ga­ni­sa­ti­on des japa­ni­schen „Selbst­bil­des“ in der Welt­ge­sell­schaft um 1900“ im tran­script Ver­lag (Bie­le­feld) erschie­nen ist. Anke Sche­rer (Köln) unter­sucht die kul­tu­rel­le Kate­go­rie der Sau­ber­keit (sie­he Kurz­vor­trag unten „Abschlie­ßen­des“). Jan Schmidt (Bochum) hat sei­ne Pro­mo­ti­ons­ver­fah­ren mit einer Dis­ser­ta­ti­on zu „Nach dem Krieg ist vor dem Krieg — Der Ers­te Welt­krieg in Japan: Media­li­sier­te Kriegs­er­fah­rung, Nach­kriegs­in­ter­dis­kurs und Poli­tik, 1914–1918/19“ an der dor­ti­gen Uni­ver­si­tät abge­schlos­sen, hält sich ab August für 6 Mona­te als Gast­wis­sen­schaft­ler an der Kyôto-Universität auf und plant gemein­sam mit Kat­ja Schmidt­pott für Ende 2014 in Bochum oder Ber­lin eine Kon­fe­renz zu Japan und Deutsch­land im 1. Welt­krieg. Tino Schölz (Hal­le) hat sei­ne For­schun­gen zu „Die Gefal­le­nen besänf­ti­gen und ihre Taten rüh­men. Gefal­le­nen­kult und poli­ti­sche Ver­fasst­heit in Japan seit der Mit­te des 19. Jahr­hun­derts“ eben­falls erfolg­reich been­det. Sei­ne For­schungs­in­ter­es­sen lie­gen im Bereich der Mili­tär­ge­schich­te und der Bür­ger­ge­sell­schaft von der bakumatsu-Zeit bis in die Gegen­wart. Mar­cus Schö­ne (Ham­burg) beschäf­tigt sich mit Saka­guchi Ango (sie­he Vor­trag unten), der bud­dhis­ti­schen Dia­lek­tik und zeit­ge­nös­si­schen Dis­kur­sen, vor­nehm­lich in lite­ra­ri­schen Tex­ten der Shôwa-Zeit. Maik Hen­drik Sprot­te (Hal­le) mach­te auf die Publi­ka­ti­on sei­nes Arbeits­pa­pie­res „Zivil­ge­sell­schaft als staat­li­che Ver­an­stal­tung? Eine Spu­ren­su­che im Japan vor 1945“ (2012) auf­merk­sam, die unter www.sprotte.name/zivilgesellschaft zum Down­load im PDF-Format zur Ver­fü­gung steht. Eine Über­set­zung in die japa­ni­sche Spra­che sei in Vor­be­rei­tung. Ande­re Arbeits­pa­pie­re des Inter­na­tio­na­len Gra­du­ier­ten­kol­legs „For­men­wan­del der Bür­ger­ge­sell­schaft. Japan und Deutsch­land im Ver­gleich“ an der Uni­ver­si­tät Halle-Wittenberg, von denen sich glei­cher­ma­ßen eini­ge mit Frag­stel­lun­gen aus der japa­ni­schen Geschich­te befas­sen, wer­den unter http://www.igk-buergergesellschaft.uni-halle.de/publikationen/arbeitspapiere/ zum Down­load ange­bo­ten; Anja Strö­mer (Ham­burg) unter­sucht die Attrak­ti­vi­tät des japa­ni­schen Mark­tes und beschäf­tigt sich dar­über hin­aus mit Unter­neh­mens­fu­sio­nen und Firmenübernahmen;

2. Vor­trä­ge:
Mar­cus Schö­ne (Ham­burg): Ana­ly­se des Begrif­fes ken­kô in Saka­guchi Angos Nihon bun­ka shi­kan, 1942
Nach einer all­ge­mei­nen Ein­füh­rung zu Leben und Werk Saka­guchi Angos (1906–55) und sei­ner Ver­or­tung inner­halb der lite­ra­ri­schen Sze­ne unter­such­te Schö­ne anhand eines der Haupt­wer­ke Angos, der „Per­sön­li­chen Sicht auf die japa­ni­sche Kul­tur“, die Begrif­fe „All­tags­le­ben“ (sei­katsu 生活) und „gesund“ (ken­kô 健康). Er tat dies im Kon­text der Hal­tung Saka­guchis zum Umgang mit der Moder­ne und des­sen Sicht auf die natio­na­le bzw. kul­tu­rel­le Iden­ti­tät Japans. Als Teil einer „latent faschis­to­iden Gegen­kul­tur“, das zei­ge eine Unter­su­chung ent­spre­chen­der Dis­kur­se, ver­wei­se der Ter­mi­nus ken­kô bei Ango auf ein Ide­al, das nicht rück­wärts­ge­wandt, im Gegen­satz zur Moder­ne, bestehe, wohl aber im Kon­text der bud­dhis­ti­schen Sicht auf End­lich­keit und Erneue­rung der Exis­tenz zu ver­ste­hen sei und auf „einem Leben, das auf den Bedürf­nis­sen des All­tags“ basiere.
Neben der Fra­ge einer mög­li­chen Kate­go­ri­sie­rung Angos schlicht als „Natio­na­list“ wur­de die Dis­kus­si­on von den Gesichts­punk­ten der Ursprün­ge, Grund­la­ge und Vor­bil­dern von Angos Gesund­heits­be­griff geprägt, wei­se die­ser doch in der Kon­zept­bil­dung durch­aus auch auf einen glo­ba­le­ren Kon­text im Rah­men des Kolonialismus.

Yuko Mae­za­wa (Bay­reuth): Mikro­ne­si­en im Ers­ten Welt­krieg. Kul­tur­kon­tak­te und Kul­tur­kon­fron­ta­tio­nen zwi­schen Japa­nern, Deut­schen und Mikronesiern
Ohne Wider­stand der Deut­schen und der Insu­la­ner besetz­te Japan im Ver­lauf des Ers­ten Welt­kriegs die Mar­shall­in­seln, Karo­li­nen und Maria­nen und erhielt 1919 die Inseln als Man­dats­ge­biet des Völ­ker­bun­des. Somit stieg Japan zu einer regio­na­len Kolo­ni­al­macht auf. Mae­za­wa kon­sta­tier­te, daß für die japa­ni­sche Kolo­ni­al­herr­schaft eher der Gesichts­punkt der Gleich­ras­sig­keit von Japa­nern und Insel­be­woh­nern, im Sin­ne von Ähn­lich­keit, aber nicht glei­cher Abstam­mung, das kolo­ni­al­ad­mi­nis­tra­ti­ve Han­deln bestimm­te. Ver­such­te man auch höher­ge­stell­ten Mikro­ne­si­ern durch Rei­sen in das japa­ni­sche Mut­ter­land die Kul­tur und den Ein­fluß Japans näher zu brin­gen, blie­ben die Insel­völ­ker eher frü­he­ren Kolo­ni­sa­to­ren zuge­neigt. Auf­grund der christ­li­chen Mis­sio­nen hat­te die Shintô-Mission kei­nen Erfolg.
Gesichts­punk­te der Dis­kus­si­on fokus­sier­ten sich auf die Kodie­rung des „Frem­den“ durch die deut­schen und japa­ni­schen Kolo­ni­al­her­ren, auf einen Ver­gleich der Assi­mi­lie­rungs­po­li­tik der ver­schie­de­nen Kolo­ni­sa­to­ren, wie sie sich z.B. in der Schul­bil­dung (Sprach­wahl, Tren­nung von Schul- und Reli­gi­ons­er­zie­hung etc.) aus­drück­te, und auf die Fra­ge, ob nicht allei­ne schon der Gebrauch der geo­gra­phi­schen Beschrei­bung „Mikro­ne­si­en“ ein Fort­schrei­ben des Kolo­nia­lis­mus bedeute.

Maik Hen­drik Sprot­te (Hal­le): „Alte groß­asia­ti­sche Träu­me leben unter der Ober­flä­che wei­ter.“ — Egon Bahr und eine mög­li­che japa­ni­sche Atom­be­waff­nung 1969
Im Zen­trum die­ses Vor­trags stand die his­to­ri­sche Ein­ord­nung und gegen­warts­be­zo­ge­ne Ana­ly­se der innen­po­li­ti­schen Instru­men­ta­li­sie­rung einer streng gehei­mem „Auf­zeich­nung“, die 1969 vom dama­li­gen Lei­ter des Pla­nungs­sta­bes des Aus­wär­ti­gen Amtes, Egon Bahr (SPD), nach den ers­ten Kon­sul­ta­tio­nen der Pla­nungs­stä­be der Außen­äm­ter Japans und der Bun­des­re­pu­blik ver­fasst wor­den war. In die­sem Doku­ment unter­stell­te Bahr der japa­ni­schen Sei­te die Absicht, eine eigen­stän­di­ge Atom­be­waff­nung anzu­stre­ben, um den Sta­tus einer Super­macht zu erlan­gen. Sprot­te ver­or­te­te die­se mög­li­chen japa­ni­schen Bemü­hun­gen im Kon­text der Ent­ste­hungs­pha­se der „Drei nicht-nuklearen Prin­zi­pi­en“, der kon­tro­vers geführ­ten Dis­kus­si­on über den Bei­tritt Japans zum „Ver­trag über die Nicht­ver­brei­tung von Atom­waf­fen“ und des dau­er­haft schwie­ri­gen Ver­hält­nis­ses Japans zum US-amerikanischen Bünd­nis­part­ner in Ver­tei­di­gungs­fra­gen vor dem Hin­ter­grund der sicher­heits­po­li­ti­schen Lage in Ost­asi­en. Er bewer­te­te die mög­li­chen Über­le­gun­gen zu japa­ni­schen Atom­waf­fen am Ende der 1960er Jah­re als wei­te­ren Beleg eines seit Jahr­zehn­ten von der japa­ni­schen Regie­rung betrie­be­nen „nuclear hedging“.
Die Dis­kus­si­on kon­zen­trier­te sich auf Fra­ge­stel­lun­gen hin­sicht­lich der Rol­le und Funk­ti­on des japa­ni­schen Außen­mi­nis­te­ri­ums bzw. unter­schied­li­cher Inter­es­sen­grup­pen inner­halb die­ser Orga­ni­sa­ti­ons­ein­heit im Zusam­men­hang mit der poli­ti­schen Gestal­tung einer sich ver­än­dern­den japa­ni­schen Sicherheitskonzeption.

Ulrich Bran­den­burg (Zürich): Säku­la­ris­mus als Son­der­fall: Japan und die Reli­gi­on 1904–1912
Wur­de der Anstoß zu einer Debat­te über eine japa­ni­sche Kon­ver­si­on zum Islam, also des­sen Erhe­bung zur Staats­re­li­gi­on, im Unter­su­chungs­zeit­raum mus­li­mi­schen Krei­sen zuge­schrie­ben, war sie durch­aus auch ein durch Euro­pä­er dis­ku­tier­tes The­ma. Gene­rell war die Dis­kus­si­on einer Kon­ver­si­on ein wie­der­keh­ren­des Motiv, sah man doch die inter­na­tio­na­le Stel­lung Japans durch den Gegen­satz der japa­ni­schen Kom­bi­na­ti­on von Säku­la­ris­mus und Kai­ser­kult mit dem inter­na­tio­nal vor­herr­schen­den Chris­ten­tum berührt. Mit­hin war Japan Teil und Objekt einer inter­na­tio­na­len Debat­te über Reli­gi­on. Ursa­chen lagen, so Bran­den­burg, vor allem in einem Bedürf­nis nach einer grö­ße­ren Sicht­bar­keit von Reli­gio­nen. Die in der Hoff­nung auf eine Chris­tia­ni­sie­rung Japans häu­fig vor­ge­brach­te Erkennt­nis eines „Man­gels an Moral“ wur­de auch japa­ni­schen Intel­lek­tu­el­len bewußt.
Gleich­wohl mach­ten Vor­trag und die sich anschlie­ßen­de Dis­kus­si­on deut­lich, daß durch die Funk­ti­ons­zu­wei­sung für die Reli­gi­on als Kor­rek­tiv der Fol­gen des Indus­tria­li­sie­rungs­pro­zes­ses und als Inte­gra­ti­ons­ba­sis der Nati­on weit weni­ger Fra­gen des Glau­bens als eine mög­li­che Instru­men­ta­li­sie­rung der Reli­gi­on die Erör­te­run­gen beherrschte.

Oli­ver Küh­ne (Tübin­gen): Der Zwei­te Welt­krieg in der fik­tio­na­len Gegen­warts­li­te­ra­tur Japans und Oki­na­was — Zwi­schen his­to­ri­scher Amne­sie und repe­ti­ti­ver Traumaverarbeitung?
In post­ko­lo­nia­ler Les­art näher­te sich Küh­ne der Rol­le des Zwei­ten Welt­kriegs in der Okinawa-Literatur. In der klas­si­schen Wider­stands­li­te­ra­tur Oki­na­was wid­me man sich den in der Schlacht von Oki­na­wa ver­ur­sach­ten Trau­ma­ta, den Jah­ren nach dem Krieg und der Besat­zungs­pro­ble­ma­tik, wobei in Abwei­chung zur bis­her gel­ten­den Sicht­wei­se kei­nes­falls die per­sön­li­che Kriegs­er­fah­rung des Autors eine Vor­be­din­gung sei, son­dern durch­aus die ima­gi­nier­te Auf­ar­bei­tung ein Werk als Teil der Wider­stands­li­te­ra­tur qua­li­fi­zie­re. In sei­nem Vor­trag stell­te Küh­ne exem­pla­risch zwei Wer­ke — Okui­zu­mi Hika­rus „Ishi no rai­re­ki“ und Medoru­ma Shuns „Mabui-gumi“ neben­ein­an­der. Bei­den Wer­ken sei­en ein aukt­oria­ler Erzäh­ler, eine trau­ma­ti­sche Ver­gan­gen­heit der Prot­ago­nis­ten und die Unfä­hig­keit der Prot­ago­nis­ten, die Ver­gan­gen­heit zu über­win­den, gemein. Vor allem kenn­zeich­ne die Wer­ke ein sub­ver­si­ver, magisch-realer Erzähl­mo­dus, der die unter­drück­ten und unaus­ge­spro­che­nen Erin­ne­run­gen der japa­ni­schen Gesell­schaft herausfordere.
Im Vor­trag wie in der Dis­kus­si­on zeig­te sich, daß die Okinawa-Literatur unge­ach­tet ihrer Kano­ni­sie­rung als regio­na­les Lite­ra­tur­phä­no­men kaum Gegen­stand der For­schung sei. Der Begriff des „Trau­mas“ als psy­cho­ana­ly­ti­sche Kate­go­rie führ­te zu der Fra­ge, ob ange­sichts der gro­ßen zeit­li­chen Distanz zu den Ereig­nis­sen des Krie­ges die­ser Begriff gene­rell nutz­bar sei.

3. Abschlie­ßen­des:
Anke Sche­rer (Köln) nutz­te die­se Run­de, um in einem Kurz­vor­trag ihr Pro­jekt „Cle­an­li­ne­ss is next to god­li­ne­ss: The cul­tu­re of clea­ning in Japan“ vor­zu­stel­len, in dem sie die Akti­vi­tä­ten einer NPO namens „Nihon o utsuku­shi­ku suru kai“ und deren Rei­ni­gungs­ak­ti­vi­tä­ten im öffent­li­chen Raum unter­sucht und das in einer sozi­al­an­thro­po­lo­gi­schen Stu­die über die kul­tu­rel­len Kon­zep­te von Sau­ber­keit und Ord­nung in Japan im öffent­li­chen und pri­va­ten Raum, in Schu­len, Fir­men, Fami­li­en und in der öffent­li­chen Dis­kus­si­on auf­ge­hen soll. Sie nutz­te dazu die auf Prä­gnanz aus­ge­rich­te­te Prä­sen­ta­ti­ons­form Pecha­ku­cha (ぺちゃくちゃ, 20 Bil­der einer Prä­sen­ta­ti­on mit jeweils 20 Sekun­den Prä­sen­ta­ti­ons­zeit, Vor­trags­zeit somit: 6 Min. 40 Sek.) und das sie erfolg­reich an der Colo­gne Busi­ness School einsetzt.

Hin­sicht­lich des Stu­die­ren­den­work­shops, der par­al­lel zur Tagung der Initia­ti­ve statt­fand, bestand nach einem kur­zen Bericht der Teil­neh­me­rin­nen und Teil­neh­mer Einig­keit dar­über, daß es sich um ein Vor­ha­ben han­de­le, das auch auf spä­te­ren Tagun­gen der Initia­ti­ve wei­ter­ver­folgt wer­den sollte.

Die Tagung ende­te mit einem herz­li­chen Dank an die Orga­ni­sa­to­rin­nen die­ses Tref­fens, Eike Groß­mann und Martha-Christine Men­zel, für ihren Ein­satz und an die Abtei­lung für Spra­che und Kul­tur Japans im Afrika-Asien-Zentrum der Uni­ver­si­tät Ham­burg für die finan­zi­el­le Unter­stüt­zung der Tagung.

(Pro­to­koll: Maik Hen­drik Sprotte)

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favicon0522. Tref­fen an der Uni­ver­si­tät Tübin­gen am 2. und 3. Novem­ber 2013:

Anwe­send waren in Tübin­gen: Klaus Anto­ni (Tübin­gen), Kat­rin End­res (Hei­del­berg), Adri­an Gärt­ner (Hei­del­berg), Ben­ja­min Hoff­mann (Tübin­gen), Julia Mari­ko Jaco­by (Frei­burg), Con­stan­tin Künzl (Hei­del­berg), Robert Kramm-Masaoka (Zürich), Wolf­gang Leh­nert (Ess­lin­gen), Martha-Christine Men­zel (Hei­del­berg), Phil­ip­pe Möl­ler (Tübin­gen), Jonas Rüegg (Zürich), Hans-Joachim Schmidt (Heusweiler-Kutzhof), Tobi­as Scholl (Tübin­gen), Wolf­gang Sei­fert (Hei­del­berg), Maik Hen­drik Sprot­te (Hal­le), Taka­ta Azu­sa (Tôkyô), David Weiß (Tübin­gen).;

1. Inter­es­sen, Neu­ig­kei­ten und Projekte:
Klaus Anto­ni (Tübin­gen) betreibt his­to­ri­sche und kul­tur­wis­sen­schaft­li­che For­schun­gen zu japa­ni­scher Reli­gi­on. Kat­rin End­res (Hei­del­berg) betreibt For­schun­gen zum japa­ni­schen Tän­zer Kuni Masa­mi und zum japa­ni­schen zeit­ge­nös­si­schen Tanz. Adri­an Gärt­ner (Hei­del­berg) stu­diert Japa­no­lo­gie mit Neben­fach Geschich­te. Ben­ja­min Hoff­mann (Tübin­gen) stu­diert Japa­no­lo­gie. Julia-Mariko Jaco­by (Frei­burg) hat Geschich­te und Latein stu­diert und betreibt his­to­ri­sche Kata­stro­phen­for­schung sowie For­schun­gen zur Medi­en­ge­schich­te. Con­stan­tin Künzl (Hei­del­berg) schrieb sei­ne Magis­ter­ar­beit über den japa­ni­schen Eth­no­lo­gen Yanagi­ta Kunio. Robert Kramm-Masaoka (Zürich) schreibt sei­ne Dis­ser­ta­ti­on zur Regu­la­ti­on von Pro­sti­tu­ti­on und Hygie­ne im Japan unter der alli­ier­ten Besat­zung. Wolf­gang Leh­nert (Archi­tekt aus Ess­lin­gen) hat sei­ne Dis­ser­ta­ti­on „Die Wän­de der bür­ger­li­chen Wochen­ar­chi­tek­tur im Wan­del der japa­ni­schen Edo-Zeit“ an der Uni­ver­si­tät Stutt­gart ver­öf­fent­licht. Sei­ne For­schun­gen befas­sen sich mit Ver­än­de­run­gen und Moder­ni­tät, die sich seit dem 17. Jahr­hun­dert in der japa­ni­schen Archi­tek­tur voll­zo­gen hat. Martha-Christine Men­zel (Hei­del­berg) unter­sucht die „Ent­de­ckung Hok­kai­dôs als Ort der japa­ni­schen Lite­ra­tur“. Phil­ip­pe Möl­ler (Tübin­gen) stu­diert Anglis­tik und Japa­no­lo­gie. Jonas Rüegg (Zürich) betreibt his­to­ri­sche For­schun­gen zu Japan. Hans-Joachim Schmidt (ehem. Refe­rats­lei­ter im Kul­tus­mi­nis­te­ri­um des Saar­lands) unter­sucht deut­sche Kriegs­ge­fan­ge­nen­la­ger in Japan im Ers­ten Welt­krieg. Unter http://www.tsingtau.info prä­sen­tiert er sei­ne Ergeb­nis­se. Tobi­as Scholl (Tübin­gen) ist wis­sen­schaft­li­cher Mit­ar­bei­ter in der Korea­nis­tik. Er ver­fasst sei­ne Dis­ser­ta­ti­on über den Dis­kurs über die gemein­sa­men Ursprün­ge von Japa­nern und Korea­nern wäh­rend der Zeit der japa­ni­schen Anne­xi­on Kore­as. Wolf­gang Sei­fert pro­mo­vier­te mit einer Dis­ser­ta­ti­on zum Nach­kriegs­na­tio­na­lis­mus in Japan, die 1977 als Buch in der Rei­he „Mit­tei­lun­gen des Insti­tuts für Asi­en­kun­de, Ham­burg) erschien. Er publi­zier­te außer­dem 1997 sei­ne Habi­li­ta­ti­ons­schrift zum The­ma „Gewerk­schaf­ten in der japa­ni­schen Poli­tik von 1970 bis 1990. Der drit­te Part­ner?“ im West­deut­schen Ver­lag, einem sozi­al­wis­sen­schaft­li­chen Ver­lag (heu­te: VS-Verlag). Maik Hen­drik Sprot­te (Hal­le) ist wei­ter­hin mit sei­ner For­schung zu den Nach­bar­schafts­gup­pen (tona­ri­gu­mi 隣組) nach 1940 beschäf­tigt. Sprot­te wies auf die Mög­lich­keit der Ver­lin­kung von Pro­jekt­skiz­zen über die Inter­net­prä­senz der Initia­ti­ve unter http://www.japanische-geschichte.de (Mail mit Titel und Link an maik@sprotte.name) und auf die „Biblio­gra­phie zur his­to­ri­schen Japan­for­schung“ hin, für die wei­ter­hin ger­ne Mel­dun­gen deutsch­spra­chi­ger Publi­ka­tio­nen ent­ge­gen­ge­nom­men wer­den. David Weiß (Tübin­gen) forscht zu den korea­ni­schen Ein­flüs­sen auf die japa­ni­sche Mythologie.

2. Vor­trä­ge:
Wolf­gang Sei­fert (Hei­del­berg): „Wis­sen­schaft­li­ches Publi­zie­ren im Bereich der Geschich­te Ost­asi­ens, ins­be­son­de­re Japans“ 
Der Refe­rent behan­del­te in sei­nem Vor­trag drei Fra­gen, die im Zusam­men­hang mit wis­sen­schaft­li­chen Publi­ka­tio­nen im Bereich der Geschich­te Ost­asi­ens und Japans von Bedeu­tung sind: 1. Wel­che Arbei­ten kön­nen wo und in wel­cher Form ver­öf­fent­licht wer­den? 2. Wie kön­nen Dok­tor­ar­bei­ten ver­öf­fent­licht wer­den? 3. Wen möch­te man mit sei­ner Ver­öf­fent­li­chung erreichen?
Zur Beant­wor­tung der ers­ten Fra­ge gab Sei­fert einen Über­blick über die Mög­lich­kei­ten der Ver­öf­fent­li­chung wis­sen­schaft­li­cher Arbei­ten in haus­ei­ge­nen Rei­hen wis­sen­schaft­li­cher Ver­la­ge und Gesellschaften.
— Bei­spie­le für BA- und Mas­ter­ar­bei­ten: die Rei­he mit BA- und Master-Arbeiten in der Münch­ner Japa­no­lo­gie; dies ist eine haus­ei­ge­ne Rei­he, die Ver­öf­fent­li­chung erfolgt in elek­tro­ni­scher Form.
— Für Dis­ser­ta­tio­nen: (1) Dis­ser­ta­ti­ons­ver­la­ge, z.B. Tec­tum; (2) geschichts- oder ost­asi­en­wis­sen­schaft­li­che Rei­hen bestimm­ter Ver­la­ge (Bei­spie­le: a) Rei­he „Mono­gra­phien des DIJ Tokyo“ im Iudi­ci­um Ver­lag; b) Rei­he Mono­gra­phien c) ein­zel­ne Dis­ser­ta­tio­nen auch im Oldenburg-Verlag oder im Franz-Steiner-Verlag.
— Für Habi­li­ta­ti­ons­schrif­ten, z.B. eine spe­zi­el­le Rei­he „Stu­di­en zur Geschich­te des Völ­ker­rechts“ (Nomos-Verlag), in der gera­de U.M. Zach­manns „Völ­ker­rechts­den­ken und Außen­po­li­tik in Japan, 1919–1960“ erschie­nen ist.
Anschlie­ßend gab er einen Über­blick über die Kos­ten einer Publi­ka­ti­on und über Mög­lich­kei­ten zur Finan­zie­rung von Dis­ser­ta­tio­nen (Druck­kos­ten­zu­schuss) am Bei­spiel der dem­nächst begin­nen­den Rei­he „Japan in Ost­asi­en“ im Nomos-Verlag. Zuletzt wid­me­te er sich der drit­ten Fra­ge, näm­lich, wel­che Öffent­lich­keit man mit Hil­fe der Publi­ka­ti­on der Dis­ser­ta­ti­on errei­chen möch­te: die wis­sen­schaft­li­che (Fach-)Öffentlichkeit, begrenzt, ent­spre­chend dem The­ma; oder eine brei­te­re inter­es­sier­te Öffent­lich­keit. Von der Ant­wort hier­auf hän­gen die Wahl des Ver­la­ges und Form sowie Stil der Ver­öf­fent­li­chung ab.
In der anschlie­ßen­den Dis­kus­si­on brach­ten die Anwe­sen­den eige­ne Erfah­run­gen zur Spra­che und erör­ter­ten gemein­sam Schwie­rig­kei­ten und Mög­lich­kei­ten im Zusam­men­hang mit der Ver­öf­fent­li­chung wis­sen­schaft­li­cher Arbeiten.

Wolf­gang Leh­nert (Ess­lin­gen): „Japa­ni­sche Räu­me im Wan­del der Edo-Zeit“
Wolf­gang Leh­nert the­ma­ti­sier­te in sei­nem Vor­trag die Wohn­räu­me japa­ni­scher Wohn­häu­ser (min­ka 民家) der Edo-Zeit und den Wan­del, dem sie im Lau­fe der Zeit unter­wor­fen waren. Der min­ka-Bau­stil ent­wi­ckel­te sich ab dem 11. und 12. Jahr­hun­dert und erhielt wäh­rend der Genroku-Zeit (1688–1704) wesent­li­che Ver­än­de­run­gen. Ursprüng­lich bestan­den ein­fa­che japa­ni­sche Häu­ser aus einem ein­zi­gen Raum ohne Unter­tei­lun­gen, in dem auch alle Fami­li­en­mit­glie­der schlie­fen. Mit der Unter­tei­lung des Hau­ses in Schlaf- und Wohn­be­rei­che ent­stan­den Räu­me mit spe­zi­el­len Funk­tio­nen. Der Schlaf­raum (nan­do 納戸o­der nak­an­o­ma 中の間) hat­te zunächst fes­te Wän­de und dien­te als Zuflucht bei Plün­de­run­gen Gleich­zei­tig war er ein Lager­raum für Wert­vol­les. Wenn Rei­sen­de nach Über­nach­tungs­mög­lich­kei­ten such­ten, wur­de ihnen die­ser Raum zur Ver­fü­gung gestellt. Leh­nert gab im Fol­gen­den eine Über­sicht über den Wan­del der Lage, des Auf­baus, der Nut­zung und Benen­nung der Schlaf­räu­me in Land- und Stadt­häu­sern aus ver­schie­de­nen Regio­nen wäh­rend der letz­ten feu­da­len Epo­che Japans.
Im Anschluss an die­sen Vor­trag stell­ten die Anwe­sen­den Fra­gen zum inner­ja­pa­ni­schen Ver­gleich der Bau­sti­le, zum Ver­gleich von chi­ne­si­schen und japa­ni­schen Bau­wei­sen und eini­gen Kern­be­grif­fen des Vortrags.

Jonas Rüegg (Zürich) : „Aimé Hum­bert – Wer­te­vor­stel­lun­gen eines Bour­geois und das Japan der Bakumatsu-Zeit. Eine Unter­su­chung anhand pri­va­ter Kor­re­spon­den­zen wäh­rend sei­nes Auf­ent­hal­tes 1863–64“
Jonas Rüegg behan­del­te in sei­nem Vor­trag die Zie­le und Wert­vor­stel­lun­gen von Aimé Hum­bert, der 1863–64 in Japan war, um einen Han­dels­ver­trag zwi­schen Japan und der Schweiz aus­zu­han­deln und abzu­schlie­ßen. Er sah sich als Ver­tre­ter einer klei­nen Bin­nen­na­ti­on ohne Mög­lich­keit, mili­tä­ri­schen oder poli­ti­schen Druck auf Japan aus­zu­üben, und bedien­te sich der nie­der­län­di­schen Kon­tak­te vor Ort. Sei­ne Bewun­de­rung der japa­ni­schen Kunst und sein Selbst­bild als Freund des japa­ni­schen Vol­kes führ­ten dazu, dass Hum­berts Ein­stel­lung und Moti­ve gegen­über Japan in spä­te­ren Jah­ren posi­tiv gewer­tet wurden. 
Rüegg wer­te­te die Kor­re­spon­denz Hum­berts aus und nahm eine Dis­kurs­ana­ly­se auf der Grund­la­ge von Edward Saids Orientalismus-Begriff vor. Hum­bert ver­öf­fent­lich­te 1870 den illus­trier­ten Bild­band „Le Japon Illus­tré“, der ein durch­aus posi­ti­ves Japan­bild reprä­sen­tier­te, zuwei­len aber auch Kri­tik an der Gesell­schaft Nip­pons übte. Hum­bert heg­te, wenn­gleich er sich lobend über Kunst und Kul­tur Japans äußer­te, ein gewis­ses Über­le­gen­heits­ge­fühl gegen­über Japan. Er ver­miss­te eine christ­li­che Moral und kri­ti­sier­te den Bud­dhis­mus als Hin­der­nis auf dem Weg des Fort­schritts. Er über­trug poli­ti­sche und sozia­le Ent­wick­lun­gen Euro­pas und der Schweiz auf Japan und hielt die Über­nah­me von west­li­cher Reli­gi­on, Kul­tur und Bil­dung für eine Vor­aus­set­zung für die Ent­wick­lung Japans, das ohne Hil­fe von den Indus­trie­na­tio­nen zur Sta­gna­ti­on ver­ur­teilt sei.
Im Anschluss an Rüeggs Vor­trag wur­den ver­schie­de­ne Dis­kus­si­ons­punk­te erör­tert, so zum Bei­spiel die Fra­ge nach Hum­berts Schu­lung im Vor­feld sei­ner Japan­rei­se, den Begriff der Bour­geoi­sie und sei­ne Bedeu­tung im Zusam­men­hang mit Hum­berts Beob­ach­tun­gen und Sicht­wei­sen sowie Edward Saids Ori­en­ta­lis­mus­be­griff und sei­ne Ein­bin­dung in die For­schun­gen zu Aimé Humbert.

Hans-Joachim Schmidt (Heusweiler-Kutzhof): „Die Gefan­gen­schaft der „Tsingtau­er“ in Japan 1914–1920“
Anlass für Hans-Joachim Schmidts For­schung zu den deut­schen Kriegs­ge­fan­ge­nen in Japan im Ers­ten Welt­krieg war ein Dach­bo­den­fund von Doku­men­ten von Andre­as Mai­län­der, der 1914 als Sol­dat in Chi­na war. Dem folg­ten inten­si­ve Recher­chen nach 4700 wei­te­ren Per­so­nen, die in Japan in Kriegs­ge­fan­gen­schaft waren, die Eröff­nung eines Inter­net­por­tals und eine Rei­se nach Japan.
Schmidt gab einen Über­blick über die welt­po­li­ti­sche Lage vor dem Ers­ten Welt­krieg und über die poli­ti­schen Moti­ve jener Zeit in Japan und dem Deut­schen Reich. Er beschrieb die Kämp­fe zwi­schen Japa­nern und Deut­schen wie auch deren Ver­ar­bei­tung der Ereig­nis­se in Japan und Deutsch­land. Dem folg­te ein Über­blick über Unter­brin­gung und Ver­sor­gung der Kriegs­ge­fan­ge­nen in Japan. Schmidt sprach Pro­ble­me an, die in der Lite­ra­tur kaum oder gar nicht behan­delt wer­den, wie Gewalt, die Enge der Unter­brin­gung, Alko­ho­lis­mus, Sexua­li­tät und Span­nun­gen zwi­schen Offi­zie­ren und Mann­schaf­ten an und äußer­te sich zur Ver­ar­bei­tung der Ereig­nis­se in den fol­gen­den Jahr­zehn­ten. Die Gefan­gen­schaft der deut­schen Sol­da­ten in Japan spiel­te vor und nach der Macht­er­grei­fung der Natio­nal­so­zia­lis­ten kei­ne Rol­le in den deutsch-japanischen Bezie­hun­gen. Bis in die 1960er Jah­re wur­de sie kaum auf­ge­ar­bei­tet. Heu­te hin­ge­gen wird die­se Zeit in vie­len Fäl­len ver­klärt dar­ge­stellt und die rela­tiv mil­de Behand­lung der Deut­schen in den Kon­text einer kon­ti­nu­ier­li­chen deutsch-japanischen Freund­schaft gestellt.
Im Anschluss an Schmidts Vor­trag erör­ter­ten die Anwe­sen­den in gemein­sa­mer Dis­kus­si­on ver­schie­de­ne Punk­te wie die sozi­al­psy­cho­lo­gi­schen Ansät­ze, mit denen die Auf­ar­bei­tung der Ereig­nis­se erklärt wer­den kann, oder die Rol­le von Erin­ne­rungs­or­ten wie dem Lager von Ban­dô und der sehr ein­sei­ti­gen Dar­stel­lung der Rea­li­tät des Kriegsgefangenendaseins.

Julia Mari­ko Jaco­by (Frei­burg): „Die Kata­stro­phe als Medi­en­er­eig­nis. Die japa­ni­schen „Kata­stro­phen­pu­bli­ka­tio­nen“ im gesell­schaft­li­chen Umbruch 1855–1923“
Julia-Mariko Jaco­by teil­te ihren Vor­tag in zwei Tei­le auf. Im ers­ten Teil stell­te sie das Gen­re der „Kata­stro­phen­pu­bli­ka­tio­nen“ und die Ergeb­nis­se ihrer MA-Arbeit vor. Im zwei­ten Teil behan­del­te sie wei­ter­füh­ren­de Fra­ge­stel­lun­gen. Kata­stro­phen wer­den in Jaco­bys Arbeit vor allem als gesell­schaft­li­che Kon­struk­te auf­ge­fasst, an denen Medi­en einen gro­ßen Anteil haben. Für die Wahr­neh­mung eines Natur­er­eig­nis­ses als Kata­stro­phe sind Aus­wir­kun­gen auf eine mensch­li­che Gesell­schaft und das Wis­sen über sie Vor­aus­set­zung. Das Fas­sen des kata­stro­pha­len Ereig­nis­ses in Bil­dern, Erzäh­lun­gen und Sta­tis­ti­ken, z.B. in Form einer Zeit­schrift, bie­tet eine Mög­lich­keit, die chao­ti­schen Zustän­de wäh­rend einer Kata­stro­phe beherrsch­bar zu machen und so kol­lek­tiv zu ver­ar­bei­ten. Die Kata­stro­phen­pu­bli­ka­tio­nen erschei­nen einen bis meh­re­re Mona­te nach dem Ereig­nis und erhe­ben Anspruch auf eine Bericht­erstat­tung über die Gesamt­heit der Kata­stro­phe. Sie beinhal­ten Bil­der, Sta­tis­ti­ken und Opfer­zah­len sowie Berich­te über Ein­zel­schick­sa­le und Schau­plät­ze. Sie besit­zen zudem eine lan­ge Kon­ti­nui­tät, die sich bis zu dem Kana­zô­shi „Kanamei­shi“ von 1663 zurück­ver­fol­gen lässt. Heu­te fin­det man sie vor allem in Form von Hochglanz-Fotomagazinen.
Jaco­by stell­te im Fol­gen­den Publi­ka­tio­nen zu ver­schie­de­nen Kata­stro­phen vor, so zum Bei­spiel das Ans­ei Ken­mon­shi von 1855 von Kana­ga­ki Robun, wel­ches die Aus­wir­kun­gen des Ansei-Erdbebens jenes Jah­res beschrieb, oder das Tais­hô Dais­hin­sai Dai­kai­sai, das 1923 anläss­lich des Kantô-Erdbebens erschien. Durch das Auf­kom­men neu­er Publi­ka­ti­ons­for­men im Lauf der Meiji-Zeit änder­te sich die Form der Kata­stro­phen­be­rich­te, ihre Funk­ti­on blieb aller­dings die­sel­be. Auch die Dar­stel­lungs­mo­ti­ve, sowie das Anfüh­ren von Ein­zel­schick­sa­len in Form von Epi­so­den und Anek­do­ten blie­ben wei­test­ge­hend gleich.. Es bil­de­ten sich aller­dings diver­se Gat­tun­gen der Erzäh­lung, wie Hel­den­ge­schich­ten (bidan 美談) oder tra­gi­sche Geschich­ten (aiwa 哀話), die es in die­ser klar defi­nier­ten Form in der Edo-Zeit noch nicht gege­ben hat­te. Doch sie die­nen noch heu­te als Mög­lich­keit für Betrof­fe­ne, ihre Erfah­run­gen zu ver­ar­bei­ten und zur Erwe­ckung eines Gefühls des. Kata­stro­phen­pu­bli­ka­tio­nen prä­gen auch nach­hal­tig die his­to­ri­sche Wahr­neh­mung der jewei­li­gen Ereig­nis­se, da sie von vie­len Lesern als Erin­ne­rungs­stü­cke archi­viert werden.
Im Anschluss an den Vor­trag lie­fer­ten die Anwe­sen­den vie­le Fra­gen und Anre­gun­gen, vor allem zur Metho­dik einer wis­sen­schaft­li­chen Erar­bei­tung des Gen­res der Kata­stro­phen­pu­bli­ka­tio­nen aus medi­en­wis­sen­schaft­li­cher, dis­kurs­ana­ly­ti­scher, his­to­ri­scher und kunst­his­to­ri­scher Sicht.

Kat­rin End­res (Hei­del­berg): „Der Tän­zer Kuni Masa­mi (1908–2007) – die Ber­li­ner Jah­re (1936–1945). Ein Japa­ner als Zeit­zeu­ge des NS-Regimes und sei­ne Rol­le inner­halb der deutsch-japanischen Kulturbeziehungen.“
Kat­rin End­res beschrieb in ihrem Vor­trag den Auf­ent­halt des japa­ni­schen Tän­zers Kuni Masa­mi in Ber­lin von 1936 bis 1945 und sei­ne Erfah­run­gen vor dem Hin­ter­grund des Krie­ges und des NS-Regimes. Kuni Masa­mi kam nach Deutsch­land, um Kon­takt zu Ver­tre­tern pro­gres­si­ver Strö­mun­gen in Kunst und Kul­tur zu suchen und den japa­ni­schen Tanz zu erneu­ern. Er hat­te vie­le deut­sche Bekann­te, unter ihnen auch vie­le Geg­ner des NS-Regimes, die ihm die Mög­lich­keit gaben, sich auf ihren Tref­fen von der poli­ti­schen und gesell­schaft­li­chen Rea­li­tät jener Zeit zu distan­zie­ren. Kuni war als Tän­zer in die NS-Kulturpropaganda ein­ge­bun­den, er gab jedoch an, zunächst nichts vom Ras­sen­hass und den Kriegs­vor­be­rei­tun­gen Deutsch­lands gewusst zu haben. Selbst der Krieg war für ihn anfangs ein Pro­blem ande­rer Leu­te. Die Luft­an­grif­fe auf Ber­lin bestärk­ten ihn in sei­ner Ver­bun­den­heit zu der Stadt, Kon­zer­te und Kul­tur­ver­an­stal­tun­gen waren für ihn in die­ser Zeit Ablen­kun­gen von den phy­si­schen und psy­chi­schen Belas­tun­gen des All­tags. Kuni ver­ließ Ber­lin im Febru­ar 1945, wur­de von der Roten Armee auf­ge­grif­fen und nach Japan repatriiert.
Die Dis­kus­si­on zu Frau End­res‘ Vor­trag behan­del­te vor allem Kuni Masa­mis angeb­li­che Unwis­sen­heit gegen­über Ver­fol­gung und Ras­sis­mus in NS-Deutschland, sowie über Mög­lich­kei­ten zur Erschlie­ßung von Quel­len, die Licht auf Kunis Rol­le wäh­rend der NS-Zeit wer­fen könnten.

3. Abschlie­ßen­des:
Martha-Christine Men­zel (Hei­del­berg) mach­te auf das Tref­fen des Arbeits­krei­ses für vor­mo­der­ne Lite­ra­tur auf­merk­sam, das vom 27. bis 29. Juni 2014 in Göt­tin­gen statt­fin­den wird. Das The­ma wird „Lite­ra­tur und Ritu­al“ sein.

Klaus Anto­ni (Tübin­gen) infor­mier­te über das kom­men­de Tref­fen des Arbeits­krei­ses „Japa­ni­sche Reli­gio­nen“, das vom 08. bis 10. Mai 2014 in Tübin­gen statt­fin­den wird. Der Arbeits­kreis wird in dem Jahr sein zwan­zig­jäh­ri­ges Bestehen fei­ern; aus die­sem Anlass ist eine Publi­ka­ti­on geplant.

Im Anschluss wur­de über Sinn und Mög­lich­kei­ten eines stu­den­ti­schen Work­shops im Rah­men der Tref­fen der Initia­ti­ve dis­ku­tiert, sowie über die Schwie­rig­kei­ten, Stu­die­ren­de für eine sol­che Ver­an­stal­tung zu motivieren.

Wolf­gang Sei­fert (Hei­del­berg) und Klaus Anto­ni (Tübin­gen) spra­chen über das Ver­hält­nis von Ost­asi­en­wis­sen­schaf­ten und Geschichts­wis­sen­schaf­ten. Um eine grö­ße­re wis­sen­schaft­li­che Sicht­bar­keit her­stel­len zu kön­nen, muss man japa­no­lo­gi­sche Schrif­ten bei­spiels­wei­se in geschichts­wis­sen­schaft­li­chen Fach­zeit­schrif­ten ver­öf­fent­li­chen oder Mit­glied in geschichts­wis­sen­schaft­li­chen For­schungs­krei­sen werden. 

Die Tagung ende­te mit einem herz­li­chen Dank an die Orga­ni­sa­to­rin die­ses Tref­fens, Martha-Christine Men­zel, an die Ver­tre­ter der Fach­schaft der Japa­no­lo­gie Tübin­gen für ihren Ein­satz und an Klaus Anto­ni für die Gast­freund­schaft bei der Abtei­lung für Japa­no­lo­gie am Asien-Orient-Institut der Uni­ver­si­tät Tübingen.

(Pro­to­koll: Con­stan­tin Künzl)

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favicon0323. Tref­fen an der Uni­ver­si­tät Halle-Wittenberg am 24. und 25. Mai 2014:

Anwe­send waren in Hal­le: Oleg Benesch (York), Lil­li Busch­min (Bochum), Ali­ne Dre­her (Bochum), Chris­ti­an Droszdiok (Hal­le), Fari­na Fabri­ci­us (Bochum), Adri­an Gärt­ner (Hei­del­berg), Aileen Gerl­off (Ber­lin), Maj Hart­mann (Bochum), Frank Käser (Ber­lin), Kars­ten Ken­klies (Jena), Till Knaudt (Hei­del­berg), Mat­thi­as Koch (Hal­le), Hiro­mi Kora (Jena), Con­stan­tin Künzl (Hei­del­berg), Daria Kupis (Bochum), Martha-Christine Men­zel (Ber­lin), Chris­toph Mitt­mann (Zürich), Moritz Mun­der­loh (Ham­burg), Juli­an Ple­ne­fisch (Ber­lin), Vanes­sa Schaar (Bochum), Anke Sche­rer (Köln), Julia­ne Schlag (Hal­le), Dani­el Schley (Mün­chen), Fabi­an Schmidt (Bochum), Jan Schmidt (Bochum), Tino Schölz (Hal­le), Man­dy Schu­mann (Hal­le), Wolf­gang Sei­fert (Hei­del­berg), Maik Hen­drik Sprot­te (Hal­le), Julia Streu­bel (Hal­le), Melina Wache (Bochum), Dani­el Woll­nik (Bochum), Rita Zobel (Ber­lin).

Vor­trä­ge:
Dani­el Schley (Mün­chen): Vor­stel­lun­gen sakra­ler Herr­schaft im mit­tel­al­ter­li­chen Japan
In sei­nem Vor­trag stell­te Dani­el Schley die Ergeb­nis­se sei­ner kürz­lich in Buch­form im LIT Ver­lag erschie­nen Dis­ser­ta­ti­on „Herr­schafts­sa­kra­li­tät im mit­tel­al­ter­li­chen Japan“ vor. Dar­in unter­such­te er die politisch-religiöse Vor­stel­lungs­welt des mit­tel­al­ter­li­chen Japan. In sei­nem Vor­trag the­ma­ti­sier­te er zuerst den Zusam­men­hang von Poli­tik und Reli­gi­on bzw. die Benut­zung reli­giö­ser Sym­bo­le zur poli­ti­schen Macht­de­mons­tra­ti­on anhand von Bei­spie­len sowohl aus dem japa­ni­schen als auch aus dem euro­päi­schen Mittelalter.
Gegen­wär­tig gilt der japa­ni­sche Kai­ser als Sym­bol des Staa­tes und der Ein­heit des japa­ni­schen Vol­kes, was auf die Tren­nung von (öffent­li­cher) Poli­tik und (pri­va­ter) Reli­gi­on hin­weist. Der Ten­nô agiert zwar als höchs­ter Pries­ter des Shin­tô, tue dies aber in pri­va­ter Funk­ti­on. Publi­ka­tio­nen wie die Man­ga von Koba­ya­shi Yoshi­no­ri oder popu­lär­wis­sen­schaft­li­che Dis­kus­sio­nen japa­ni­scher Medi­ävis­ten über die Funk­tio­nen des Ten­nô bele­gen ein aktu­ell gro­ßes Inter­es­se an der The­ma­tik in der Gesellschaft.
Dani­el Schley wies aller­dings dar­auf hin, dass in die­ser Dis­kus­si­on die Funk­ti­on des Ten­nô im japa­ni­schen Mit­tel­al­ter auch von der japa­ni­schen For­schung häu­fig zu ein­di­men­sio­nal dar­ge­stellt wird. Hier ist der Kon­sens, dass die Insti­tu­ti­on des Ten­nô in Japan andau­ern konn­te, weil sich eine Tren­nung der Herr­schaft in Auto­ri­tät (Ten­nô) und Regent­schaft für den Ten­nô her­aus­bil­de­te, bei der der Mon­arch zur ideel­len Legi­ti­ma­ti­on wech­seln­der Macht­ha­ber (Hof­adel, Krie­ger) dien­te. Aller­dings war die tat­säch­li­che Aus­prä­gung von Herr­schaft im japa­ni­schen Mit­tel­al­ter im Span­nungs­ver­hält­nis von gött­li­cher Unter­stüt­zung und poli­ti­scher For­de­rung erheb­lich vielschichtiger. 
So wur­de poli­ti­sche Macht im 13. Jahr­hun­dert in Japan nicht nur über die mytho­lo­gisch fun­dier­ten und büro­kra­tisch aus­ge­bau­ten Herr­schafts­struk­tu­ren mit dem Hof und sei­nen Mon­ar­chen im Zen­trum defi­niert. Dane­ben gab es alter­na­ti­ve Ansät­ze, mit denen selbst loka­le Ver­wal­ter durch direk­te, nicht vom Ten­nô oder dem Hof ver­mit­tel­ten Bezü­gen auf die gött­li­che Unter­stüt­zung der Bud­dha und kami eine ideel­le Sank­tio­nie­rung ihrer Macht­po­si­ti­on errei­chen konnten.
Im Ver­lauf der Dis­kus­si­on über die tugend­haf­te Regie­rung des Mon­ar­chen kris­tal­li­sier­te sich im 13. Jahr­hun­dert eine Vor­stel­lung her­aus, nach der ein­zel­ne Herr­scher sehr wohl fehl­bar sein konn­ten und dafür durch gött­li­che Kon­trol­le – sowohl aus dem Bereich des Shin­tô wie auch des Bud­dhis­mus – bestraft wer­den kön­nen. Aller­dings wur­de die Vor­stel­lung, dass ein Herr­scher oder eine Dynas­tie das Man­dat des Him­mels ver­lie­ren und danach ersetzt wer­den könn­te, nicht aus Chi­na über­nom­men. Inner­halb der herr­schen­den Eli­te konn­te sich die Vor­stel­lung nicht durch­set­zen, dass eine Fami­lie sich über die bestehen­de poli­ti­sche und sozia­le Hier­ar­chie hin­weg an die höchs­te Macht­po­si­ti­on set­zen darf. Kri­sen­haf­ten Situa­tio­nen wie z.B. Natur­ka­ta­stro­phen und krie­ge­ri­sche Aus­ein­an­der­set­zun­gen wur­de begeg­net, in dem durch ritu­el­le Hand­lun­gen das bud­dhis­ti­sche Gesetz und das könig­li­ches Gesetz wie­der­her­ge­stellt wurde.

Chris­toph Mitt­mann (Zürich): Yama­ga­ta Ban­tô (1748–1821) und des­sen Werk Yume no shiro 夢の代 [Anstel­le von Träumen]
In sei­nem Werk Yume no shiro ana­ly­siert und kri­ti­siert Yama­ga­ta Ban­tô das zu sei­ner Zeit in Japan vor­han­de­ne Wis­sen in Bezug auf Wis­sen­schaft, Tra­di­ti­on und Reli­gi­on. Danach ver­such­te er, ein eige­nes Wis­sen­schafts­sys­tem auf­zu­bau­en, um damit sei­ne Wahr­heit zu eta­blie­ren und dadurch auch die japa­ni­sche Gesell­schaft und deren Miss­stän­de anzu­pran­gern. In sei­ner der­zeit in Arbeit befind­li­chen Dis­ser­ta­ti­on an der Uni­ver­si­tät Zürich im UFSP Asi­en und Euro­pa stellt Chris­toph Mitt­mann vor allem die Fra­ge, wie Yama­ga­ta die vie­len ver­schie­de­nen Aspek­te und Ein­flüs­se auf sei­ne Per­son in die­sem Werk ver­bin­det und wel­cher Auf­bau bzw. wel­che Defi­ni­ti­on von Wis­sen und Wahr­heit dar­in von ihm auf­ge­stellt wer­den, um ihm als Grund­la­ge sei­ner Kri­tik zu dienen.
Yama­ga­ta Ban­tô hat die ers­ten zwei Drit­tel sei­nes Lebens als Händ­ler gear­bei­tet und dann an der Kai­to­ku­dô Aka­de­mie stu­diert. Die Grün­dung die­ser Ein­rich­tung war u.a. dazu gedacht die gesell­schaft­li­che Stel­lung der Händ­ler auf­zu­wer­ten und ihnen Wis­sen zu ihrem Auf­ga­ben­ge­biet zu ver­mit­teln. Inner­halb der Aka­de­mie herrsch­te eine sehr libe­ra­le Dis­kus­si­ons­kul­tur ohne Stan­des­un­ter­schie­de; die ein­zi­ge Ein­schrän­kung bestand dar­in, dass dort Dis­ku­tier­tes nicht dazu ein­ge­setzt wer­den durf­te um der Gesell­schaft zu schaden.
In sei­ner Dis­ser­ta­ti­on möch­te Chris­toph Mitt­mann zuerst den gro­ßen Rah­men, dann die inne­re Struktur/den Auf­bau des Wer­kes und schließ­lich die Ver­knüp­fung des Wer­kes mit ande­ren Autoren ana­ly­sie­ren. Beim ers­ten die­ser Aspek­te stellt sich die Fra­ge danach, was Yama­ga­ta in sein Werk auf­nimmt und was er aus­schließt um dar­aus ablei­ten zu kön­nen, was er als Wis­sen bzw. Wahr­heit betrach­tet. The­men der inne­ren Struk­tur sind Welt­bild, Kos­mo­lo­gie, Astro­no­mie und die Fra­ge was als ord­nen­des Prin­zip die­ses Welt­bilds dar­ge­stellt wird. Wei­ter­hin stellt sich die Fra­ge nach dem Umgang mit den Zeit­schich­ten (Ver­gan­gen­heit, Gegen­wart, Zukunft) im Werk. Hier hin­ter­fragt Yama­ga­ta die klas­si­schen Wer­ke kri­tisch, in denen die Ver­gan­gen­heit als Quell des Wis­sens dar­ge­stellt wird. Schließ­lich soll das Wis­sens­netz­werk Yama­ga­tas ana­ly­siert wer­den. Die­ses Netz­werk besteht aus Bezie­hun­gen zu ande­ren Händ­lern, ande­ren Gelehr­ten und der Tra­die­rung von Quel­len, beson­ders aus einem Kul­tur­kreis in einen ande­ren. Chris­toph Mitt­mann stellt in sei­ner Arbeit die For­schungs­fra­ge nach den Mög­lich­kei­ten, For­men und Prak­ti­ken von Stu­di­um im All­ge­mei­nen in der spä­ten Edo-Zeit sowie nach der Art und Wei­se, in der Kri­tik am baku­fu geübt wird.
Yama­ga­ta Ban­tô benutz­te für sei­ne Stu­di­en vie­le euro­päi­sche Quel­len, die von Jesui­ten oder auf Befehl des baku­fu über­setzt wor­den waren. So beruft er sich z.B. auf eine Kos­mo­lo­gie John Keills als eine der Quel­len für sein helio­zen­tri­sches Weltbild.
In der an den Vor­trag anschlie­ßen­den Dis­kus­si­on wur­den u.a. die Fra­ge erör­tert, in wie weit die Ansät­ze zu Wis­sen und Herr­schaft von Fou­cault zur Ana­ly­se bei­tra­gen kön­nen, ob und war­um das Werk von Yama­ga­ta zur Ver­öf­fent­li­chung gedacht war, ob Stan­des­un­ter­schie­de in der spä­ten Edo-Zeit in Gelehr­ten­krei­sen in Japan noch wich­tig waren und was Yama­ga­ta genau am baku­fu kri­ti­siert hat.

Con­stan­tin Künzl (Hei­del­berg): Japans Pana­sia­nis­mus und der Islam. Brüh­rungs­punk­te zwi­schen der frü­hen Meiji-Zeit und 1945
In die­sem Vor­trag stell­te Con­stan­tin Künzl ers­te Über­le­gun­gen zu sei­nem Pro­mo­ti­ons­vor­ha­ben vor. Im Zen­trum soll dabei der Begriff des Pana­si­as­mus ste­hen. Asi­en selbst ist nicht ein­fach zu defi­nie­ren, weil es kein rein geo­gra­phi­scher Begriff son­dern mehr eine ideo­lo­gisch gepräg­te Fremd­zu­schrei­bung ist. So wur­de „Asi­en“ im 19. Jahr­hun­dert zur Gegen­über­stel­lung mit dem „Wes­ten“ ver­wen­det und wird auch heu­te noch nach Belie­ben und poli­ti­schem Zusam­men­hang defi­niert. Pana­sia­nis­mus ent­hält die Idee einer all­ge­mein gül­ti­gen Iden­ti­tät, die ihre Wur­zeln in einer kul­tu­rel­len, eth­ni­schen, reli­giö­sen und geo­gra­phi­schen Gemein­sam­keit asia­ti­scher Völ­ker hat. Der Begriff ist ent­stan­den in einem Kon­text von „Pan“- Bewe­gun­gen und ein Pro­dukt der Moder­ne als Kon­tra­punkt zum Zivi­li­sa­ti­ons­an­spruch des Westens.
In all die­sen Defi­ni­tio­nen ist der Islam nicht ent­hal­ten, obwohl es in Asi­en z.B. in Indo­ne­si­en und Malay­sia gro­ße mus­li­mi­sche Bevöl­ke­rungs­tei­le gibt. Den­noch gibt es Berüh­rungs­punk­te zwi­schen Pana­sia­nis­mus und Islam, z.B. in Kon­tak­ten von natio­na­lis­ti­schen Bewe­gun­gen mus­li­mi­scher Län­der und Pana­sia­nis­ten, von Indi­vi­du­en und poli­ti­schen Ver­ei­ni­gun­gen wie der Koku­ryû­kai und der Gen’yôsha. In der ers­ten Pha­se von Japans Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Islam (1868–1905) stan­den Kon­tak­te von Indi­vi­du­en im Vor­der­grund; Japan war vor allem mit sei­ner glo­ba­len Posi­ti­on vis á vis west­li­cher Indus­trie­na­tio­nen beschäf­tigt. In der zwei­ten Pha­se (1905–1920) schaff­te Japans Sieg über Russ­lang ein neu­es Macht­ge­fü­ge in der Regi­on. Die Ableh­nung von Japans Antrag auf Gleich­be­rech­ti­gung bei der Frie­dens­kon­fe­renz von Ver­sailles 1919 führt dann aber zu Japans Abkehr vom Wes­ten und der ideo­lo­gi­schen Hin­wen­dung zu Asi­en. Der Ers­te Welt­krieg hat­te das posi­ti­ve Bild vom zivi­li­sier­ten Wes­ten zer­stört. Nach dem Zer­fall des Osma­ni­schen Rei­ches und dem Nie­der­gang des zaris­ti­schen Russ­land kamen Mus­li­me nach Japan und tausch­ten sich mit japa­ni­schen Pana­sia­nis­ten aus. In der drit­ten Pha­se (1930–1945) iso­lier­te sich Japan dann wie­der nach sei­nem Aus­tritt aus dem Völ­ker­bund 1933 und der krie­ge­ri­schen Expan­si­on auf dem Fest­land. Pana­sia­nis­mus wur­de mehr und mehr zu einem sinn­ent­leer­ten poli­ti­schen Pro­gramm zur Recht­fer­ti­gung der Expan­si­on. Die Islam­po­li­tik der 1930 Jah­re mit der Grün­dung der Groß-Japanischen Islam­ge­sell­schaft 1938 wur­de dann nur noch als Werk­zeug des Expan­sio­nis­mus missbraucht.

Moritz Mun­der­loh (Ham­burg): Die Rol­le der kai­ser­li­chen Armee in der Ver­brei­tung von Mili­ta­ris­mus und Faschis­mus vor dem 2. Weltkrieg
In die­sem Vor­trag stell­te Moritz Mun­der­loh Tei­le sei­ner Magis­ter­ar­beit zu Rol­le der Kai­ser­lich Japa­ni­schen Armee bei der Ver­brei­tung von mili­ta­ris­ti­scher und faschis­to­ider Ideo­lo­gie inner­halb der japa­ni­schen Bevöl­ke­rung vor. (In der Dis­kus­si­on stell­te Moritz Mun­der­loh klar, dass mit dem Begriff Armee als Über­set­zung des eng­li­schen Wor­tes army das japa­ni­sche Heer und nicht die Mari­ne gemeint ist.)
Es gab im Vor­kriegs­ja­pan kei­ne faschis­ti­sche Mas­sen­be­we­gung, aber auch kaum Oppo­si­ti­on zu Mili­tär, Krieg und Putsch­ver­su­chen. Die Mehr­heit der Bevöl­ke­rung unter­stütz­te die Rich­tung der Regie­rung, die Kai­ser­lich Japa­ni­sche Armee und den rechts­ra­di­ka­len Extre­mis­mus. Als Basis des japa­ni­schen Faschis­mus gilt die shin­tois­ti­sche Schöp­fungs­ge­schich­te. Betont wird im japa­ni­schen Faschis­mus die Über­le­gen­heit des japa­ni­schen Vol­kes, ein wich­ti­ges Ele­ment war die offen­si­ve und ras­sis­ti­sche Außen­po­li­tik sowie die Glo­ri­fi­zie­rung von Mili­tär und als Beson­der­heit der Begriff des koku­tai. Maru­ya­ma Masao unter­teilt die Ent­wick­lung des japa­ni­schen Faschis­mus in drei Pha­sen, näm­lich die Vor­be­rei­tungs­pha­se, die Rei­fe­pha­se und die Pha­se der Voll­endung. In den ers­ten bei­den Pha­sen han­delt es sich um Faschis­mus von unten; danach spricht Maru­ya­ma von Faschis­mus von oben. In der Pha­se des Faschis­mus von unten waren Ver­brei­ter der Ideo­lo­gie aus der Bevöl­ke­rung sehr wich­tig. Es stellt sich die Fra­ge, wovon die­se beein­flusst waren. Einen ent­schei­den­den Bei­trag hier­zu lie­fer­ten durch ihr Lebens­werk zwei japa­ni­sche Offi­zie­re, näm­lich Yama­ga­ta Ari­to­mo und Tana­ka Gii­chi, die jedoch kei­nes­falls als Faschis­ten bezeich­net wer­den können.
In Yama­ga­tas Mili­tär­po­li­tik fin­det sich die Idee der Stär­kung der Nati­on durch eine all­ge­mei­ne Wehr­pflicht, durch die auch die noch lücken­haf­te Schul­bil­dung ergänzt wer­den soll­te. Inner­halb des Mili­tärs wur­de mit­tels Indok­tri­na­ti­on ein „Sol­da­ten­geist“ geschaf­fen und kon­ti­nu­ier­lich bis zum Beginn des Zwei­ten Welt­kriegs für die Ver­brei­tung von mili­ta­ris­ti­schem und letzt­end­lich faschis­ti­schem Gedan­ken­gut in der Gesamt­be­völ­ke­rung gesorgt. Struk­tu­rell war der Ten­nô zwar der obers­te Befehls­ha­ber, de fac­to war die Armee jedoch sehr unab­hän­gig und hat­te mit dem Armee­mi­nis­ter eine Lob­by für ihre Belan­ge in der Regie­rung. Die dua­le Kom­man­do­struk­tur mit einer­seits einem Armee­mi­nis­te­ri­um und ande­rer­seits dem Gene­ral­stab war unpro­ble­ma­tisch solan­ge Yama­ga­ta am Leben war. Nach sei­nem Tod 1922 ver­selb­stän­dig­te sich die mili­tä­ri­sche Füh­rung aller­dings, um eige­ne poli­ti­sche Vor­stel­lun­gen durch­zu­set­zen und ein eigen­stän­di­ger Akteur in der Ver­brei­tung mili­ta­ris­ti­scher und faschis­ti­scher Vor­stel­lun­gen zu werden.
Tana­ka Gii­chi war haupt­ver­ant­wort­lich für den Auf­bau des Reichs­re­ser­vis­ten­ver­ban­des. Die­ser soll­te in zukünf­ti­gen Krie­gen für schnel­le Mobil­ma­chung sor­gen und durch die Aus­bil­dung loya­ler Sol­da­ten ins­ge­samt die Loya­li­tät aller Bür­ger sicher­stel­len. Tana­ka hat­te Inter­es­se, die Lücke zwi­schen Schul­aus­bil­dung und Wehr­pflicht zu schlie­ßen. Er ließ sich auf einer Euro­pa­rei­se von mili­tä­risch kon­trol­lier­ten Jugend­ver­bän­den inspi­rie­ren und schuf nach sei­ner Rück­kehr ein japa­ni­sches Äqui­va­lent. 1926 wur­den zudem Jugend­trai­nings­schu­len für jun­ge Män­ner (ab 1935 auch jun­ge Frau­en) gegrün­det, die nicht auf die Ober­schu­le über­gin­gen. Dort unter­rich­te­ten vie­le Reser­vis­ten, die Lehr­in­hal­te hat­ten neben all­ge­mein­bil­den­den The­men vie­le mili­tä­risch rele­van­te Aspek­te. Mit­te der 1930 waren fast 1 Mil­li­on Schü­ler auf die­sen Schu­len, 1939 wur­de ihr Besuch ver­pflich­tend. Wei­ter­hin über­nahm der Reichs­re­ser­vis­ten­ver­band gesell­schaft­li­che Auf­ga­ben in der Not­hil­fe, mili­tä­ri­sche Auf­ga­ben in der Betreu­ung von Rekru­ten und ihren Fami­li­en sowie patrio­ti­sche Auf­ga­ben wie Öffent­lich­keits­ar­beit für das Mili­tär. Dadurch trug der Ver­band zur Indok­tri­na­ti­on der Bevöl­ke­rung im Sin­ne der Tennô-Ideologie bei.
Sowohl Yama­ga­ta als auch Tana­ka hat­ten bedeu­ten­den Ein­fluss auf die Ent­ste­hung der Struk­tu­ren, die die Kai­ser­lich Japa­ni­sche Armee dazu befä­hig­ten, Mili­ta­ris­mus und Faschis­mus zu ver­brei­ten und so die Bevöl­ke­rung zu wil­li­gen Unter­stüt­zern zu machen und Japan ohne signi­fi­kan­ten Wider­stand in Rich­tung des Zwei­ten Welt­kriegs zu führen.
In der Dis­kus­si­on wur­de die Ver­wen­dung des Begrif­fes Faschis­mus für Japan hin­ter­fragt sowie die Rol­le loka­ler Akteu­re in der Ver­brei­tung ultra­na­tio­na­lis­ti­scher Vor­stel­lun­gen bekräf­tigt. Für künf­ti­ge Tagun­gen der Initia­ti­ve wur­de des­halb ein Panel zur For­schung über „Faschis­mus in Japan“ angeregt.

Oleg Benesch (York): Die Samu­rai neben­an: Bus­hi­dô und das chi­ne­si­sche Japan­bild in Krieg und Frieden
In sei­nem Vor­trag befass­te sich Oleg Benesch damit, wie der japa­ni­sche Bus­hi­dô in Chi­na beson­ders in der neue­ren Geschich­te gese­hen wur­de. Eine Grund­an­nah­me ist hier­bei, dass Chi­na von kon­fu­zia­nisch aus­ge­bil­de­ten Staats­be­am­ten mit einem Fokus auf zivi­le Tugen­den regiert wur­de, wäh­rend in Japan Krie­ger auf Grund­la­ge mili­tä­ri­scher Tugen­den herrsch­ten. Der Sino-Japanische Krieg 1894/95 ver­stärk­te die­ses Bild und führ­te zu einem Dis­kurs über den so genann­ten Bus­hi­dô, der kei­ne his­to­ri­sche Tra­di­ti­on oder Erschei­nungs­form eines japa­ni­schen „Volks­cha­rak­ters“, son­dern eine moder­ne Erfin­dung ist, die je nach Autor ver­schie­den inter­pre­tiert und dar­ge­stellt wird. So wird Bus­hi­dô manch­mal posi­tiv als trei­ben­de Kraft der japa­ni­schen Wirt­schaft, bis­wei­len aber nega­tiv als Haupt­grund für moder­nen Mili­ta­ris­mus und Kriegs­ver­bre­chen dargestellt.
In Chi­na spielt Bus­hi­dô seit dem Ende des 19. Jahr­hun­derts ein wich­ti­ge Rol­le in der Prä­gung des all­ge­mei­nen Japan­bil­des, da das größ­te Wachs­tum und der vor­läu­fi­ge Höhe­punkt der Bushidô-Ideologie zeit­gleich mit einer noch nie da gewe­se­nen Wel­le von chi­ne­si­schen Stu­den­ten, Akti­vis­ten und Exi­lan­ten in Japan statt­fand. Chi­ne­si­sche Intel­lek­tu­el­le führ­ten die Meiji-Restauration auf Bus­hi­dô zurück, wäh­rend chi­ne­si­sche Stu­den­ten an japa­ni­schen Hoch­schu­len und Mili­tär­aka­de­mien zusam­men mit ihren Kom­mi­li­to­nen der Bushidô-Ideologie aus­ge­setzt wur­den. Als die Bezie­hun­gen zwi­schen Japan und Chi­na sich ver­schlech­ter­ten, wur­de Bus­hi­dô in Chi­na zuneh­mend nega­ti­ver betrach­tet, obwohl eine gewis­se Viel­fäl­tig­keit der Aus­le­gung des Begrif­fes wei­ter­hin erhal­ten blieb. Nach 1945 ver­lor Bus­hi­dô welt­weit an Bedeu­tung, wur­de aber in Japan schon bald nach Kriegs­en­de in neu­er Form wie­der­be­lebt. Das chi­ne­si­sche Inter­es­se an dem The­ma begann erst in den 1980er Jah­ren wie­der zu wach­sen. Diplo­ma­ti­sche Span­nun­gen tru­gen im Ver­lauf der letz­ten 20 Jah­ren dazu bei, dass chi­ne­si­sche Autoren hun­der­te von Büchern und Arti­keln über Bus­hi­dô ver­öf­fent­licht haben. In die­sen Schrif­ten wird Bus­hi­dô oft als Erklä­rung für einen „ange­bo­re­nen“ japa­ni­schen Mili­ta­ris­mus dar­ge­stellt und ist ein Haupt­the­ma in Stu­di­en über Japan. Dadurch hat die­se Ideo­lo­gie noch heu­te weit­rei­chen­de Aus­wir­kun­gen auf die chinesisch-japanische Bezie­hun­gen auf staat­li­cher und kul­tu­rel­ler Ebene.

Abschluss­dis­kus­si­on und Projektvorstellung:
Maik Hen­drik Sprot­te (Hal­le) wies auf die Calls for Papers der Sek­tio­nen zum Japa­no­lo­gen­tag 2015 hin, die unter www.japanische-geschichte.de/011/ zusam­men­ge­stellt wur­den, soweit Sie einen his­to­ri­schen Bezug haben. Außer­dem wies er auf das Pro­gramm der Sek­ti­on „Geschich­te“ auf der bevor­ste­hen­den Tagung der “Euro­pean Asso­cia­ti­on for Japa­ne­se Stu­dies” (EAJS) in Ljublja­na, Slo­we­ni­en (27. bis 30. August 2014) hin, das im Inter­net zur Ein­sicht bereit­steht (www.japanische-geschichte.de/012/). Außer­dem bat Sprot­te erneut um Mel­dun­gen von Autorin­nen und Autoren für die „Biblio­gra­phie zur his­to­ri­schen Japan­for­schung“, auf deren Inter­net­prä­senz unter www.historische-japanforschung.de ein For­mu­lar dafür zur Ver­fü­gung steht.

Danach wur­den fol­gen­de Pro­jek­te vorgestellt:
(1) Chris­toph Mitt­mann (Zürich) stell­te sein Pro­jekt „Wahr­neh­mung des Ande­ren in Japan und Korea“ vor, das er gemein­sam mit Jul­jan Bion­ti­no (Seo­ul Uni­ver­si­ty) durchführt.
(2) Kora Hiro­mi (Jena) stell­te ihr Dis­ser­ta­ti­ons­vor­ha­ben mit dem Titel „Anthro­poie­sis im Rah­men der west­li­chen und öst­li­chen anthro­po­lo­gi­schen Prin­zi­pi­en. Der Ver­such eines Ver­glei­ches der Theo­rien der Men­schen­bil­dung von Moto­m­ori Kimu­ra und Otto Fried­rich Boll­now“ vor.
(3) Andre­as Ren­ner, neu­er Lehr­stuhl­in­ha­ber für Russland/Asienstudien an der LMU Mün­chen, ließ durch Maik Hen­drik Sprot­te dar­auf hin­wei­sen, dass er mit­tel­fris­tig pla­ne, einen Work­shop zur his­to­ri­schen Russland-Japanforschung in Mün­chen zu orga­ni­sie­ren. Maik Hen­drik Sprot­te (maik@sprotte.name) stellt ger­ne einen Kon­takt zwi­schen Herrn Ren­ner und Inter­esssier­ten her.
(4) Jan Schmidt (Bochum) wies auf zwei Tagun­gen hin, die er im Herbst zusam­men mit Kat­ja Schmidt­pott (FU Ber­lin) ver­an­stal­tet: „The East Asi­an Dimen­si­on of the First World War: The ‚German-Japanese War‘ and Chi­na, 1914–1919″ (5.–7. Sep­tem­ber 2014, Ruhr-Universität Bochum) und „Obser­ving the First World War from the ‚Peri­phery’: Know­ledge Trans­fer and the Trans­for­ma­ti­on of Socie­ties“, 8.–9. Novem­ber 2014, Freie Uni­ver­si­tät Berlin).

Das Ple­num dank­te der Gesell­schaft für Japan­for­schung (GJF) beson­ders herz­lich für die finan­zi­el­le Unter­stüt­zung der Tagung und dank­te auch den Orga­ni­sa­to­ren und Hel­fern aus Halle. 

(Pro­to­koll: Anke Scherer)

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favicon0224. Tref­fen am Japanisch-Deutschen Zen­trum Ber­lin am 22. und 23. Novem­ber 2014:

Anwe­send waren in Ber­lin: Julia­ne Aso (Ber­lin), Niels Bader (Ber­lin), Ulrich Bran­den­burg (Zürich), Teel­ka Groen­eveld (Bochum), Lisa Ham­me­ke (Bochum), Maj Hart­mann (Bochum), Olga Isae­va (Bonn), Thors­ten Kerp (Bonn), Bernd Kirch­ner (Hei­del­berg), Till Knaudt (Hei­del­berg), Ger­hard Krebs (Ber­lin), Hei­ko Lang (Tôkyô), Anne Lan­ge (Hal­le), Bern­hard Leit­ner (Wien), Hiroe Mat­sui (Tôkyô), Martha-Christine Men­zel (Ber­lin), Ken­ji Nishi­no (Bonn), Juli­an Ple­ne­fisch (Ber­lin), Jakub Popra­wa (Bochum), Ste­fa­nie Schä­fer (Ber­lin), Anke Sche­rer (Köln), Jan Schmidt (Bochum), Tino Schölz (Hal­le), Felix Sprem­berg (Mün­chen), Niko Till­mann (Bochum), Dinah Zank (Ber­lin), David Zieg­ler (Mün­chen).

Vor­trä­ge:
Hiroe Mat­sui: Lorenz von Stein und sei­ne Japan­theo­rie — Lorenz von Steins Rol­le inner­halb der Ver­trags­re­vi­sio­nen in den 1880er Jahren
Die bis­he­ri­ge his­to­rio­gra­phi­sche For­schung hat sich mit Lorenz von Stein vor­ran­gig im Zusam­men­hang mit sei­ner über­ra­gen­den Bedeu­tung für die Ein­füh­rung der euro­päi­schen Staats- und Rechts­wis­sen­schaf­ten in Japan befasst. In ihrem Vor­trag ging Hiroe Mat­sui der The­se nach, dass von Stein auch für die Neu­ver­hand­lun­gen der „unglei­chen Ver­trä­ge” eine zen­tra­le Rol­le spiel­te. Sie wies dies einer­seits durch eine Rekon­struk­ti­on sei­ner Kon­tak­te mit Ver­tre­tern der japa­ni­schen diplo­ma­ti­schen Dele­ga­ti­on und ande­rer­seits durch sei­ne publi­zis­ti­sche Tätig­keit nach. Von Stein war, laut Hiroe Mat­sui, für das deutsch­spra­chi­ge Publi­kum die Stim­me zu Japan in den Medi­en. Sei­ne Schrif­ten beton­ten dabei stets die erfolg­rei­che Moder­ni­sie­rung Japans, die das Land mit west­li­chen Staa­ten auf eine Stu­fe stell­te und eine Gleich­be­hand­lung not­wen­dig mach­te. Damit trug er zu einem öffent­li­chen Kli­ma bei, das eine Revi­si­on der Ver­trä­ge begünstigte.
Die anschlie­ßen­de Dis­kus­si­on dräng­te dar­auf zu klä­ren, inwie­fern die­se Arbeit über die Gren­zen der Stein-Forschung hin­aus einen Bei­trag zu kon­zep­tio­nel­len oder theo­re­ti­schen Dis­kus­sio­nen lie­fern kann. Ursprung die­ser Debat­te sind unter­schied­li­che geschichts­wis­sen­schaft­li­che Ansät­ze, wel­che der Theo­rie­bil­dung bzw. der Quel­len fokus­sier­ten Fak­ten­su­che unter­schied­li­che Bedeu­tun­gen bei­mes­sen. Dane­ben wur­de ange­merkt, dass nihon-ron pas­sen­der als „Japan­bild“ (anstatt „Japan­theo­rie”) über­setzt wer­den soll­te und dass man die Dol­met­scher ein­ge­hen­der betrach­ten müs­se, da von Stein durch sei­ne man­geln­den Sprach­kennt­nis­se von die­sen voll­kom­men abhän­gig war.

Ste­fa­nie Schä­fer: Die Bedeu­tung des Tou­ris­mus für die Ent­ste­hung des öffent­li­chen Atombombenerinnerns
Anhand von Doku­men­ten der Stadt­ver­wal­tung Hiro­shi­ma aus den spä­ten 1940ern und frü­hen 1950er zeig­te Ste­fa­nie Schä­fer, dass die Ent­wick­lung einer städ­ti­schen Tou­ris­mus­stra­te­gie für die Ent­ste­hung des öffent­li­chen Atom­bom­ben­er­in­nerns von gro­ßer Bedeu­tung war. Dass die­ser Aspekt bis­lang durch die For­schung nicht beach­tet wur­de, grün­det laut Refe­ren­tin dar­in, dass Quel­len, wel­che gewöhn­lich unmit­tel­bar mit dem Atom­bom­ben­erin­nern asso­zi­iert wer­den, den Tou­ris­mus voll­kom­men aus­blen­den. Anstatt die­se Lücke als Beleg für die Irreve­l­anz des Tou­ris­mus zu lesen, kann man sie auch als Indiz neh­men, dass Wis­sen­schaft­ler die dele­gi­ti­mie­ren­de Wir­kung, wel­cher „Tou­ris­mus“ auf das Erin­nern hat, repro­du­zie­ren, anstatt sie kri­tisch zu ana­ly­sie­ren. Auch muss beach­tet wer­den, dass der moder­ne Tou­ris­mus als Authen­ti­zi­täts­su­che nur funk­tio­niert, solan­ge er nicht als Tou­ris­mus erkenn­bar ist. Die Abwe­sen­heit des Tou­ris­mus im Atom­bom­ben­dis­kurs, die Vehe­menz, mit der man die­ses The­ma von sich weist, und die Tou­ris­mus­stra­te­gie der Stadt erge­ben daher ein stim­mi­ges Gesamt­bild, dass die Bedeu­tung des Tou­ris­mus untermauert.
In der Dis­kus­si­on wur­de dar­auf hin­ge­wie­sen, dass sich Hiro­shi­ma damit in das weit­läu­fi­ge Phä­no­men des dark tou­rism ein­rei­he und man nach dem beson­de­ren Reiz die­ses Tou­ris­mus fra­gen müs­se. Auch wur­den Par­al­le­len zur tou­ris­tisch moti­vier­ten Erin­ne­rungs­land­schaft Oki­na­was gezo­gen. Dass „Frie­den“ das zen­tra­le Kon­zept im tou­ris­ti­schen Bran­ding Hiro­shi­mas war, ist laut Refe­ren­tin nicht nur den Wün­schen der Besat­zer, son­dern auch der all­ge­mei­nen Stim­mung unter der Bevöl­ke­rung geschul­det. Der Atom­bom­ben­tou­ris­mus sei fer­ner nicht per se zynisch für die Über­le­ben­den, wie in der Dis­kus­si­on ange­deu­tet, son­dern man müs­se beach­ten, dass die hiba­ku­s­ha selbst den Atom­bom­ben­tou­ris­mus ent­wi­ckel­ten. Bei der Betrach­tung der Erin­ne­rungs­kul­tur zwi­schen staat­li­chen und nicht-staatlichen Akteu­ren dif­fe­ren­zie­ren müsse.

David Zieg­ler: Kami, Kai­ser, Vater­land: Der japa­ni­sche Ultra­na­tio­na­lis­mus als poli­ti­sche Religion
Vor­han­de­ne – zumeist funk­tio­na­lis­ti­sche, aus der Beschäf­ti­gung mit west­li­chen Faschis­men ent­stan­de­ne – Theo­rien zu tota­li­tä­ren Sys­te­men erklä­ren den japa­ni­schen Ultra­na­tio­na­lis­mus nur unzu­läng­lich. Der Begriff der „poli­ti­schen Reli­gi­on“ eröff­net laut David Zieg­ler eine Mög­lich­keit, einer­seits die Wir­kungs­wei­se des japa­ni­schen Sys­tems zu erklä­ren und ande­rer­seits vor­han­de­ne Theo­rien um eine kom­pa­ra­tiv anwend­ba­re Ana­ly­se­ka­te­go­rie zu ergän­zen. Die poli­ti­sche Reli­gi­on ver­steht David Zieg­ler im Sin­ne Claus-Ekkehard Bärschs als han­dels­lei­ten­des Welt­erklä­rungs­mus­ter jen­seits einer rein auf Par­ti­ku­lar­in­ter­es­se basie­ren­den Pro­pa­gan­da. Die poli­ti­sche Reli­gi­on sakra­li­siert den Staat und erhebt die­sen zur ulti­ma ratio des Kol­lek­tivs. David Zieg­ler wies die ver­schie­de­nen Dimen­sio­nen der poli­ti­schen Reli­gi­on (Pri­mat des Kol­lek­tivs, Ritu­al als des­sen Selbst­ver­ge­wis­se­rung etc.) in ihren für den japa­ni­schen Ultra­na­tio­na­lis­mus spe­zi­fi­schen For­men am Bei­spiel aus­ge­wähl­ter Intel­lek­tu­el­ler der 1920er und 1930er nach.
In der Dis­kus­si­on wur­de die Ver­bin­dung zwi­schen Ideo­lo­gie und poli­ti­scher Macht ange­spro­chen. Der Vor­tra­gen­de ergänz­te, dass eine voll­stän­di­ge ideo­lo­gi­sche Durch­drin­gung der Gesell­schaft nicht not­wen­dig sei, damit eine Ideo­lo­gie ihre Wir­kungs­kraft ent­fal­tet. Wich­tig sei die ideo­lo­gi­sche Rah­mung rele­van­ter Ent­schei­dungs­pro­zes­se. Auf Rück­fra­ge ergänz­te der Vor­tra­gen­de, dass zeit­ge­nös­si­sche Beob­ach­tun­gen, die ähn­li­che Aspek­te dis­ku­tie­ren, in die Ana­ly­se mit­ein­be­zo­gen wer­den. Die Zuhö­rer beton­ten noch­mals die Bedeu­tung des vor­han­de­nen Repres­si­ons­ap­pa­rats für den Erfolg des japa­ni­schen Ultra­na­tio­na­lis­mus, die Hete­ro­ge­ni­tät und Brü­che der intel­lek­tu­el­len Ent­wick­lungs­li­ni­en, die der Vor­trag auf­zeich­ne­te, sowie die Bedeu­tung nicht-textlicher kul­tu­rel­ler Pro­duk­te für das Funk­tio­nie­ren der poli­ti­schen Religion.

Olga Isae­va: Eine Ohr­fei­ge dem öffent­li­chen Geschmack – Fall­bei­spiel der 1920er Avangarde-Gruppe MAVO in Japan
In ihrem Vor­trag stell­te Olga Isae­va einen Teil ihrer Mas­ter­ar­beit vor, in der sie sich anhand der Künst­ler­grup­pe MAVO mit all­ge­mein übli­chen Vor­stel­lun­gen von Peri­phe­rie und Zen­trum aus­ein­an­der­setzt, wie sie die der­zei­ti­ge Aus­ein­an­der­set­zung mit der Avant­gar­de bestim­men. In jün­ge­rer Zeit wur­de ver­schie­dent­lich kri­ti­siert, dass das her­kömm­lich Ver­ständ­nis der Avant­gar­de und ihre Theo­rien auf einem euro­zen­tri­schen Welt­bild beruht, das dem krea­ti­ven, domi­nan­ten Wes­ten eine pas­si­ve, epi­go­nen­haf­te Peri­phe­rie ent­ge­gen­stellt. Der Vor­trag zeig­te anhand der Künst­ler­grup­pe MAVO, ins­be­son­de­re anhand ihrer Schlüs­sel­fi­gur Mura­ya­ma Tomo­y­o­shi, wie die­se zwar in Euro­pa künst­le­ri­sche Impul­se erhiel­ten, nach ihrer Rück­kehr nach Japan jedoch dar­aus neue, eigen­stän­di­ge Kunst­sti­le ent­wi­ckel­ten. Ihre Kunst sei, so Olga Isae­vas Ergeb­nis, eine Mah­nung, die Avant­gar­de nicht in hier­ar­chi­schen, star­ren Begriff­lich­kei­ten wie Peri­phe­rie und Zen­trum zu den­ken und außer­eu­ro­päi­schen Kunst­zen­tren mehr Beach­tung zu schenken.
In der Dis­kus­si­on wur­de weit­hin die kri­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung mit den Kon­zep­ten Peri­phe­rie und Zen­trum sowie der durch sie ver­mit­tel­ten Herr­schafts­ord­nung begrüßt. Die­ses The­ma sei, so die ein­hel­li­ge Mei­nung, über die Kunst­ge­schich­te hin­aus von gro­ßer Rele­vanz. Es wur­de dar­auf ver­wie­sen, dass Tokyo sei­ner­seits ande­re Län­der, asia­ti­sche wie auch euro­päi­sche, und ihre Kunst beein­fluss­te. Die west­li­che Moder­ne, so hieß es wei­ter, kam schließ­lich maß­geb­lich aus der Aus­ein­an­der­set­zung mit japa­ni­scher Kunst. Kri­tisch ange­merkt wur­de, dass Leben und Werk Mura­ya­mas, so wie sie im Vor­trag dar­ge­stellt wur­den, sowie die Ana­ly­se, wel­che auf einem Ver­gleich Mura­ya­mas mit sei­nen euro­päi­schen Ein­flüs­sen fußt, droh­ten, in das alte Sche­ma, das Euro­pa als den Ursprung der Avant­gar­de und Japan als deren Epi­go­ne ver­steht, zurück­zu­fal­len. Die­ser Ansicht wur­de ver­schie­dent­lich wider­spro­chen, über­se­he sie doch einer­seits die Bedeu­tung Japans für die Ent­ste­hung der euro­päi­schen Moder­ne, ande­rer­seits die Eigen­stän­dig­keit und Strahl­kraft der japa­ni­schen Avantgarde.

Julia­ne Aso: Japa­ni­scher Kolo­nia­lis­mus im Spie­gel von Geo­gra­fie­schul­bü­chern, 1905–1945
Der Vor­trag von Julia­ne Aso prä­sen­tier­te einen Über­blick über ihre Magis­ter­ar­beit zum The­ma „Japa­ni­scher Kolo­nia­lis­mus im Spie­gel von Geo­gra­fie­schul­bü­chern, 1905–1945“. Die jün­ge­re Debat­te zum japa­ni­schen Iden­ti­täts­dis­kurs wäh­rend der Kolo­ni­al­zeit wur­de stark von Ogu­ma Eijis The­se bestimmt, dass das kolo­nia­le Japan hete­ro­ge­ne Iden­ti­tä­ten beför­der­te und dass die für Japan als typisch betrach­te­te Homo­ge­ni­tät erst in der Nach­kriegs­zeit auf­kam. Schul­bü­cher sind in sei­nem Ver­ständ­nis ein Bei­spiel für die Hete­ro­ge­ni­tät des japa­ni­schen Kolo­nia­lis­mus. Aus­ge­hend von die­ser The­se unter­such­te Julia­ne Asos Arbeit die Dar­stel­lung der Kolo­nien in japa­ni­schen Geo­gra­fie­schul­bü­chern und deren Wan­del. Sie kam zu dem Schluss, dass die ein­zel­nen Regio­nen sich zwar stark unter­schei­den, dass die­se Hete­ro­ge­ni­tät jedoch nicht gleich­be­rech­tigt ist, son­dern durch eine star­ke Hier­ar­chi­sie­rung zwi­schen dem japa­ni­schen Kern­land (nai­chi) und den Kolo­nien (gai­chi) bestimmt wird, aber auch zwi­schen den Kolo­nien unter­ein­an­der. Dabei vari­iert die Dar­stel­lung der Kolo­nie zwi­schen vor­mo­der­nem Sehn­suchts­ort (vis á vis eines sich rasch moder­ni­si­ern­den Zen­tral­ja­pans) und Beleg für eine gelun­ge­ne Moder­ni­sie­rung, wel­che impli­zit die japa­ni­sche Herr­schaft über die­ses Gebiet legi­ti­miert. Auf­fal­lend in der Ana­ly­se der Schul­bü­cher war fer­ner die gro­ße Dis­kre­panz zwi­schen Bild- und Textdiskurs.
Auf Rück­fra­ge in der anschlie­ßen­den Fra­ge­run­de ergänz­te die Vor­tra­gen­de, dass auch Oki­na­wa und Hok­kai­do in den von ihr unter­such­ten Schul­bü­chern zur gai­chi gehör­ten. Was die Ver­wen­dung des Was­ser­büf­fels in den Taiwan-Kapiteln der Schul­bü­cher betrifft, erläu­ter­ten eini­ge Teil­neh­mer, dass die­ser in der japa­ni­schen Male­rei als Sym­bol für Chi­na galt und nicht nur ein Sym­bol für die Zurück­ge­blie­ben­heit der Peri­phe­rie, wie im Vor­trag kon­sta­tiert. Auf Nach­fra­ge erklär­te Julia­ne Aso, dass die ver­än­der­te poli­ti­sche Lage Nan’y­os auch durch die Schul­bü­cher reflek­tiert wird, jedoch ist nie von dem Plan, das Gebiet nach erfolg­rei­cher Moder­ni­sie­rung in die Unab­hän­gig­keit zu ent­las­sen, die Rede.

Wolf­ram Man­zen­rei­ter: Kon­tu­ren des japa­ni­schen Emi­gra­ti­ons­staats – Migra­ti­ons­ma­nage­ment und Dia­spo­ra Out­reach im Kai­ser­reich des frü­hen 20. Jahrhunderts
In sei­nem Vor­trag gab Wolf­ram Man­zen­rei­ter einen Über­blick über die Wur­zeln der japa­ni­schen Migra­ti­ons­po­li­tik. Aus­gangs­punkt für die­ses Inter­es­se sind neue­re Ten­den­zen in der Migra­ti­ons­for­schung, die sich mit der Ver­schrän­kung von Migra­ti­on und Ent­wick­lungs­po­li­tik befas­sen. Damit rücken Sen­der­staa­ten in den Fokus, wel­che geziel­te Aus­wan­de­rungs­po­li­tik betrei­ben. His­to­risch gese­hen ist Japan ein Bei­spiel für einen sol­chen Migra­ti­ons­staat, wodurch bis heu­te Ent­wick­lungs­hil­fe und Emi­gra­ti­ons­diens­te insti­tu­tio­nell eng mit­ein­an­der ver­bun­den sind. Sei­ne Wur­zeln hat die­ses Sys­tem in der Kai­ser­zeit und wird durch sei­nen Ursprung bis in die Gegen­wart bestimmt. Durch geziel­te Emi­gra­ti­ons­för­de­rung ließ sich der pro­ble­ma­ti­sche Bevöl­ke­rungs­zu­wachs expor­tie­ren. Dabei stell­ten Emi­gran­ten auf dem inter­na­tio­na­len Markt eine Ware dar, wel­che auf die durch die Been­di­gung des Skla­ven­han­dels ent­stan­de­ne Nach­fra­ge nach Arbeits­kräf­ten reagier­te. Im Kon­text des japa­ni­schen Kolo­nia­lis­mus und Expan­sio­nis­mus waren Arbei­ter fer­ner ein wich­ti­ges Instru­ment der Herr­schafts­er­wei­te­rung. In der Nach­kriegs­zeit ver­lo­ren die­se Aspek­te an Bedeu­tung, wodurch die Aus­wan­de­rungs­ra­te all­mäh­lich gegen Null sank, wäh­rend die Ent­wick­lungs­hil­fe im heu­ti­gen Sin­ne stieg. Aus­wan­de­rungs­po­li­tik wird heu­te vor­ran­gig als Dia­spora­pfle­ge betrie­ben, um wirt­schaft­li­che Koope­ra­tio­nen im Aus­land zu vereinfachen.
Die Dis­kus­si­ons­run­de wur­de durch den Vor­tra­gen­den mit der Fra­ge eröff­net, wie His­to­ri­ker mit der Fül­le his­to­ri­scher Quel­len zu die­sem The­ma umge­hen und ob sta­tis­ti­sche Aus­wer­tun­gen der Aus­wan­de­rer­lis­ten vor­lie­gen. Die­se Lis­ten bie­ten auf­grund von bewuss­ten Falsch­an­ga­ben der Aus­wan­de­rer sel­ber kei­ne robus­ten Daten. In der Dis­kus­si­on wur­de fer­ner auf die Not­wen­dig­keit ver­wie­sen, die Dis­kus­si­on kai­ser­zeit­li­cher Aus­wan­de­rung nach Ziel­re­gio­nen zu differenzieren.

(Pro­to­koll: Ste­fa­nie Schäfer)

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