Anwesend waren in Halle: Akiyama Yoko (Halle), Biontino, Juljan (Heidelberg), Born, Heinrich (Bochum), Büttner, Thomas (Heidelberg), Foljanty-Jost, Gesine (Halle), Fröhlich, Judith (Zürich), Gmür, Christian (Halle), Graul, Susanne (Halle), Hammer, Veit (Halle), Hedinger, Daniel (Berlin), Heé, Nadin (Berlin), Hiramatsu Hideto (Halle), Holzschneider, Nina (Bochum), Kirchner, Bernd (Heidelberg), Krämer, Hans Martin (Bochum), Pomsel, Anne (Halle), Reinfried, Heinrich (Zürich), Scherer, Anke (Köln), Schmalofski, Benjamin (Bochum), Schmidt, Jan (Bochum), Schölz, Tino (Halle), Schumann, Mandy (Halle), Seidel, Anne (Halle), Sprotte, Maik Hendrik (Heidelberg), Steffen, Franziska (Halle), Stroschein, Martin (Bochum), Wandt, Martin (Halle), Zachmann, Urs Matthias (München);
Den ersten Vortrag hielt Heinrich Reinfried von der Universität Zürich zum Thema „Woher kommt der Mensch? Zur Rezeption der Evolutionslehre im Bildungswesen Japans und der Schweiz“. Reinfried untersucht darin wie sich die unterschiedlichen Herangehensweise an Religion auf die Rezeption der Evolutionslehre von Charles Darwin im 19. Jahrhundert in der Schweiz und in Japan auswirkten.
Während die Präsentation der Evolutionslehre in akademischen Kreisen in Zürich zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Vertretern einer auf der Bibel basierenden Weltsicht und den Verfechtern einer empirischen Welterklärung führte, wurden die ersten Vorlesungen des Biologen Edward Morse in Tôkyô zu diesem Thema begeistert aufgenommen. Reinfried erklärt dies mit einem anderen Umgang mit Religion in Japan, der dazu führte, dass die Elite der Meiji-Zeit Bildung als nicht vereinbar mit Religion ansah und der darwinschen Evolutionslehre daher keine religiösen Vorbehalte entgegenbrachte.
In der Schweiz gingen die Diskussionen über die Deutungshoheit über die Welt zuerst zu Gunsten der Tradition aus, so dass die Evolutionslehre nicht in die Lehrpläne der Schulen aufgenommen wurde — die Schüler sollten die neuen Erkenntnisse erst in den höheren Schulstufen kennen lernen. In Japan hingegen siegte zuerst die Empirie. So wurde zum Beispiel Katô Hiroyuki stark von der Evolutionstheorie beein-flusst und nannte später Spencer, Darwin und Haeckel — einen der Protagonisten der Auseinandersetzung über die Evolutionstheorie in der Schweiz — als seine wichtigsten Quellen für den Sozialdarwinismus, mit dem er 1893 das Recht des Stärkeren rechtfertigte und zum Befürworter japanischer Kolonialanstrengungen wurde.
Problematisch wurde die japanische Hinwendung zur Empirie erst mit Kume Kunitake, der auf empirischer Basis die Historizität des Kojiki anzweifelt; denn damit griff er die Legitimierung des Kaiserhauses an. In der Folge wurde die vorher begeistert propagierte Empirie für dieses Thema ausgeklammert, da eine Untersuchung der Ursprünge des japanischen Kaiserhauses mit den gleichen wissenschaftlichen Methoden wie die Suche nach dem Ursprung des Menschen nicht zur Tennô-Ideologie passte, die sich in den letzten Dekaden des 19. Jahrhundert entwickelte. [Die diesem Vortrag zugrunde liegende Publikation von Heinrich Reinfried befindet sich in der Zeitschrift Asiatische Studien 2008: LXII, 1.]
Den zweiten Teil des Samstagnachmittag bildete eine Diskussion über das Verhältnis der Global History und der historischen Japanforschung. Eingeleitet wurde die Diskussion durch ein Inputreferat von Urs Mathias Zachmann (LMU München), in dem er zuerst die Begriffe World History und Global History erklärte. Der ältere Begriff World History entstand in Reaktion auf die Kritik an der eurozentristische Betrachtungsweisen und der Konzentration auf Nationalgeschichtsschreibung. Gefordert wurde demgegenüber eine stärkere Betonung nicht-europäischer Entwicklungen so-wie die Ausweitung des Fokus auf größere geografische Räume und längere Zeitab-schnitte. Diese Betrachtung sollte übergreifende Interdependenzen untersuchen und sichtbar machen. Idealerweise sollte so die „ganze Geschichte der ganzen Welt“ geschrieben werden, im engeren Sinne sollte die Geschichte der Interaktion von Akteuren in einem zeitlich oder räumlich weit gespannten historischen Prozess erforscht werden.
Der Begriff Global History ist eine neuerer Begriff, der die Darstellung und Analyse von historischen Vorgängen benennt, die sachgemäß nur in ihrer globalen Dimension (lokal, national, regional) erfasst werden können. Global History zeigt die Synchronität und Interdependenz von Aktionen auf der ganzen Welt und trägt damit einer neuen Lebenswirklichkeit in einer globalisierten Welt Rechnung. Der Zustand, in dem Raum und Zeit durch moderne Kommunikations- und Transporttechnik komprimiert werden und neben Nationalstaaten und internationalen Organisationen eine Vielzahl anderer Akteure berücksichtigt werden müssen, wurde allerdings erst nach dem zweiten Weltkrieg erreicht, so dass eine Ausdehnung einiger Ansätze der Global History auf andere Epochen methodisch fragwürdig ist.
Praktisch umgesetzt wird der Anspruch der Global History durch Interdisziplinarität, Öffnung der Disziplinen (insbesondere der Geschichtswissenschaft) und die Schaffung und Pflege von Forschungsnetzwerken. Zachmann stellte einige dieser Netzwerke, zum Beispiel The New Global History, sowie ihre Publikationsorgane, zum Beispiel das Journal of Global History, vor.
In der anschließenden lebhaften Diskussion ging es unter anderem um die Frage wie sich Japanhistoriker in dem durch den Ansatz der Global History hervorgerufenen Spannungsfeld von Genauigkeit versus Verallgemeinerung positionieren können. So wurde angemerkt, dass durch die für die Diskussion großer Zusammenhänge notwendige Abstraktion sprachliche und kulturelle Feinheiten verloren gingen oder dass durch die Vorgabe möglichst alle globalen Zusammenhänge in Betracht ziehen zu wollen unverhältnismäßige Vergleiche versucht würden. Der Ansatz der Global History konkurriert dabei mit anderen Konzepten wie der transnationalen Geschichte und dem Ansatz der interkulturellen Vergleiche, die ebenfalls versuchen von traditioneller Nationalgeschichtsschreibung wegzukommen. Kritisch angemerkt wurde weiterhin, dass neben der Betrachtung der großen Zusammenhänge auch weiterhin kleinschrittige Erforschung als Grundlage für die übergeordnete Betrachtungsweisen unabdingbar sei. Eine Rückkehr zum Ideal des Universalgelehrten, wie es im Extremfall der Ansatz der Global History notwendig macht, wurde als Anachronismus bezeichnet.
Der Sonntagmorgen begann mit der Vorstellung zweier Disserationsprojekte und des Internationalen Graduiertenkollegs in Halle, in dessen Räumlichkeiten das Treffen der Initiative stattfand.
Zuerst stellte Daniel Hedinger (Humboldt-Universität Berlin) den Sonderforschungsbereich „Repräsentationen sozialer Ordnung im Wandel“ vor, in dem es nicht nur um die Widerspiegelung sozialer Ordnungen geht, sondern auch darum, wie die Darstellung solcher Ordnungen sich auf ihre Schaffung auswirkt. Innerhalb des Teilprojektes „ ‚Zeremonielle Pädagogik‘ in post-revolutionären Gesellschaften. öffentliche Inszenierung und soziale Mobilisierung in Meiji-Japan, in der frühen Sowjetunion und im Mexiko der 1920er-1930er Jahre.“ beschäftigt sich Hedinger dabei mit der zeremoniellen Indoktrinierung des Volkes außerhalb von Schulen und Kasernen, zum Beispiel durch Feste am Yasukuni-Schrein. Für seine Dissertation untersucht er Ordnungsvorstellungen im Japan der Meiji-Zeit, die sich in der Konzeption von Ausstellungen ausdrücken. Diese Ordnungsvorstellungen analysiert er unter folgenden thematischen Schwerpunkten: Erziehung und Wissen, Zivilisation und Zukunft, Kunst und Kommerz, Architektur und Konsum, Kaiser und Nation sowie Kolonialismus und Krieg. Um seine Ergebnisse mit den Analysen zur UdSSR und zu Mexiko vergleichen zu können, ist es allerdings notwendig dies auf einer sehr hohen Abstraktionsebene mit Meta-Begriffen wie zum Beispiel „Inszenierung“ oder „politische Repräsentation“ zu tun, da die sehr unterschiedlichen Verhältnisse in den drei untersuchten Ländern keine Vergleiche institutioneller Strukturen zulassen. Das Dissertationsprojekt „Wissenschaft und Gewalt: Japans koloniale Herrschaft in Taiwan 1895–1945“ von Nadin Heé (Freie Universität Berlin) ist im Teilprojekt „Wissen und Herrschaft: Scientific Colonialism in deutschen und japanischen Kolonien“ des Sonderforschungsbereiches „Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit“ angesiedelt. Sie untersucht darin die Verschränkung von wissenschaftlichem Kolonialismus und die Ausübung physischer Gewalt als Herrschaftspraxis am Beispiel Taiwans. Ihre zentralen Fragestellung lauten: Inwiefern hingen wissenschaftlicher Kolonialismus und Formen von physischer Gewalt in der kolonialen Herrschaft zusammen? Verlief die Handlungsmacht der Akteure, die physische Gewalt ausübten, entlang wissenschaftlicher Zuschreibungen? Inwiefern wurden sie entweder als Ressource genutzt oder in Frage gestellt und unterlaufen? Um diese Fragen zu beantworten untersucht sie verschiedene Formen von Gewalt im Rahmen der japanischen Kolonialherrschaft, z. B. Guerillakriege, Bestrafungen, alltägliche Gewalt, Aufstände oder die Gewalt im Zusammenhang mit medizinischer Forschung und versucht aufzuzeigen, inwiefern diese an „wissenschaftliche“ Klassifizierung der taiwanesischen Bevölkerung einerseits und Legitimationsdiskurse der Ausübung von Gewalt andererseits gekoppelt ist. Zentral dabei ist, nicht nur „japanische“ Gewalt zu untersuchen, sondern zu analysieren, Angehörige welcher Bevölkerungsgruppen geregelte physische Gewalt im Rahmen von Bestrafungsinstitutionen der Regierung ausübten und wer beispielsweise in Aufständen der taiwanesischen Bevölkerung gegen die kolo-niale Herrschaft agierte Anschließend gab Tino Schölz, der Wissenschaftliche Koordinator des Internationalen Graduiertenkollegs Halle-Tokyo „Formenwandel der Bürgergesellschaft Japan und Deutschland im Vergleich“ einen Einblick in die Konzeptionalisierung und die Arbeitsweise dieses einzigartigen Graduiertenkollegs. Getragen wird das Gemeinschaftsprojekt von der Graduate School for Arts and Science der Universität Tôkyô und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Seine Laufzeit ist auf viereinhalb Jahre angelegt mit einer möglichen Verlängerung auf insgesamt neun Jahre. Beteiligt sind die Fächer Japanologie, Deutschlandstudien, Geschichte, Politikwissenschaften, Geschichte, Philosophie und Theologie. Sowohl in Halle als auch in Tôkyô arbeitet jeweils eine Kollegiatengruppe von circa zehn Doktoranden, die sich auf folgende fünf Forschungsteilbereiche verteilen: Begriffsgeschichte, Akteure und Selbstorganisation, Bürger-Staat-Beziehungen, Bürgergesellschaft in transnationalen Bezügen und Gegenbewegung zur Bürgergesellschaft. An beiden Universitäten finden forschungsbezogene interdisziplinäre Lehrveranstaltungen statt. Studienaufenthalte, der Austausch von Lehrenden, ein System des Co-Teachings mit dem Lehrende beider Institutionen in den Lehrbetrieb der jeweils anderen Institution integriert werden können, sowie Symposien, Workshops und halbjährliche stattfindende Akademien in Halle und Tokyo bilden die organisatorische Grundlage für den Forschungsaustausch. Ziel des Graduiertenkollegs ist es unter anderem einen Beitrag zur Internationalisierung der Bürgergesellschaftsforschung zu leisten, die Teilnehmer für transdisziplinärer Forschungskooperation zu qualifizieren sowie neue Formen internationaler Betreuung und interkulturelle Fähigkeiten in unterschiedlichen Wissenschaftskulturen einzuüben. Im letzten Vortrag des Treffens stellte Juljan Biontino (Universität Heidelberg) seine geplante Magisterarbeit zum Thema „General Utsunomiya Tarô (1861–1922) und die Bewegung vom 1. März 1919 in Korea“ vor. General Utsunomiya sammelte vor seiner Versetzung nach Korea 1918 Erfahrungen in Indien und galt durch Reisen in China und Korea als Spezialist für diese Länder. Er war während der Unabhängigkeitsbewegung im März 1919 als Kommandant der japanischen Army in Seoul stationiert. Ende 2007 erschienen die Tagebücher des 1922 verstorbenen Utsunomiya in drei Bänden, von denen der dritte Band die Jahre 1918 bis 1921 abdeckt. Angeregt durch die Möglichkeiten, die diese nun erstmal zugängliche Quelle bietet, plant Biontino eine Analyse der Perzeption der 1.-März-Bewegung durch den Tagebuchschreiber. Durch die Auswertung der Tagebucheinträge und deren Einordnung möchte Biotino die Rolle Utsunomiyas bei der japanischen Reaktion auf die koreanische Unabhängigkeitsbewegung sowie dessen Einfluss auf die japanische Sichtweise der Ereignisse untersuchen. In der anschließenden Diskussion wurde vor allem die Verwendung einer solchen Quellen wie die lange nach dem Tode des Verfassers herausgegebenen Tagebücher kritisch hinterfragt. Das Verfassen dieser Tagebücher geschah in der Regel mit der Absicht, der Nachwelt bestimmte Sichtweisen des Autors zu vermitteln, was ihre Verwendung als Primärquellen sehr problematisch macht.
Den Abschluss des Treffens bildete eine Kurzvorstellung der vielen studentischen Teilnehmer, die von ihren derzeitigen Studienvorhaben berichteten. Weiterhin wies Maik Hendrik Sprotte (Universität Heidelberg) darauf hin, dass der Tagungsband der 2005 zum 100. Jahrestag des Russisch-Japanischen Krieges abgehaltenen Konferenz nun erschienen sei: Sprotte, Maik Hendrik / Seifert, Wolfgang / Löwe, Heinz-Dietrich (Hrsg.) Der Russisch-Japanische Krieg 1904/05. Anbruch einer neuen Zeit? Wiesbaden: Harrassowitz. ISBN 978–3‑447–05707‑3, 302 Seiten, 39,80 Euro. (Protokoll: Anke Scherer) |