Protokolle 13–18 (2009–2011)

Protokolle der 13. bis 18. Tagung aus den Jahren 2009 bis 2011:

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13. Tref­fen an der Frei­en Uni­ver­si­tät Ber­lin am 2. und 3. Mai 2009
14. Tref­fen am Ost­asia­ti­schen Semi­nar der Uni­ver­si­tät Zürich am 7. und 8. Novem­ber 2009
15. Tref­fen an der Ruhr-Universität Bochum am 1. und 2. Mai 2010
16. Tref­fen bei der Abtei­lung für Japa­no­lo­gie und Korea­nis­tik, Uni­ver­si­tät Bonn am 6. und 7. Novem­ber 2010
17. Tref­fen am Insti­tut für Japa­no­lo­gie und beim Exzel­lenz­clus­ter „Asia and Euro­pe in a Glo­bal Con­text“, Uni­ver­si­tät Hei­del­berg am 7. und 8. Mai 2011
18. Tref­fen an der Colo­gne Busi­ness School am 5. und 6. Novem­ber 2011

favicon0213. Tref­fen an der Frei­en Uni­ver­si­tät Ber­lin am 2. und 3. Mai 2009:

Anwe­send waren in Ber­lin: Nils Bader (Ber­lin), Biru David Bin­der (Hei­del­berg), Vere­na Blechinger-Talcott (Ber­lin), Julia­ne Böhm (Ber­lin), Hein­rich Born (Bochum), Ali­ce Busch­mei­er (Ber­lin), David Chia­v­ac­ci (Berlin/Duisburg-Essen), Klaus Det­te (Ber­lin), Anna Ernst (Bochum), Micha­el Faci­us (Ber­lin), Ulri­ke Fla­che (Ber­lin), Judith Fröh­lich (Zürich), Bar­ba­ra Geil­horn (Ber­lin), Lisa-Elaine Ham­me­ke (Bochum), Dani­el Hedin­ger (Ber­lin), Nadin Heé (Ber­lin), Alex­an­der Hoff­mann (Ber­lin), Ste­fan Hüb­ner (Mainz), Frank Käser (Ber­lin), Nadi­ne Kli­meck (Bochum), Till Knaudt (Bochum), Mat­thi­as Koch (Ber­lin), Hans Mar­tin Krä­mer (Bochum), Arne Krauß (Bochum), Ger­hard Krebs (Ber­lin), Made­lei­ne Mai­er (Bochum), Rebec­ca Mak (Ber­lin), Die­go Matz­ke (Ber­lin) Nat­suko Naka­ji­ma (Bochum), Dolf Neu­haus (Ber­lin), David Oli­vi­er, Lorenz Pagen­kopf (Ber­lin), Juli­an Ple­ne­fisch (Ber­lin), Hein­rich Rein­fried (Zürich), Sarah Ross­bach (Ber­lin), Anke Sche­rer (Köln), Ben­ja­min Schmal­of­ski (Bochum), Jan Schmidt (Bochum), Kat­ja Schmidt­pott (Mar­burg), Tino Schölz (Halle-Wittenberg), Simon Schwen­ke (Ber­lin), Sonia Sei­del (Ber­lin), Maik Hen­drik Sprot­te (Halle-Wittenberg), Patri­cia Stamm­sen (Bochum), Rei­ner Stob­be, Det­lev Taran­c­zew­ski (Bonn), Nadi­ne Vogel (Ber­lin), Till Wein­gärt­ner (Ber­lin), Robin Wei­chert (Hei­del­berg), Mat­thi­as Wit­tig (Ber­lin), Danie­la Wuttke;

Nach der Eröff­nung durch Vere­na Blechinger-Talcott und einer kur­zen Vor­stel­lungs­run­de der Teil­neh­mer hielt zuerst Ulri­ke Fla­che, die Fach­re­fe­ren­tin für Japa­no­lo­gie an der Staats­bi­blio­thek Ber­lin (Sta­Bi), einen Vor­trag zu „Infor­ma­tio­nen aus der Sta­Bi: Leih­ver­kehr, Kata­lo­ge, Cross­Asia“. Die Ost­asi­en­ab­tei­lung der Sta­Bi Ber­lin betreut das DFG-geförderte Son­der­sam­mel­ge­biet Ost- und Süd­ost­asi­en und hat u.a. Fach­re­fe­ra­te für Chi­na, Japan, Korea und Zen­tral­asi­en. In ihrem Vor­trag umriss Ulri­ke Fla­che zuerst die Pro­ble­ma­tik der ver­schie­de­nen Kata­lo­ge, die für die Ost­asi­en­be­stän­de der Sta­Bi Ber­lin exis­tie­ren. Zwar ist die Sta­Bi seit 2006 Mit­glied des japa­ni­schen Online-Katalogs NACSIS und arbei­tet der­zeit an der Zusam­men­füh­rung des eige­nen Online-OPAC mit NACSIS, aber Bestän­de, die bis zur Mit­te der 1990er Jah­re ange­schafft wur­den, sind dar­in nicht erfasst. Da Benut­zer nicht ein­deu­tig fest­stel­len kön­nen, ob sich eine gesuch­te japa­nisch­spra­chi­ge Publi­ka­ti­on in der Sta­Bi befin­det, wer­den sie gebe­ten, gesuch­te Publi­ka­tio­nen ein­fach im Rah­men des so genann­ten blau­en Leih­ver­kehrs (benann­te nach der Far­be der Leih­schei­ne) zu bestel­len. Über die­sen Leih­ver­kehr, der inzwi­schen auch online vor­ge­nom­men wer­den kann, kön­nen nur Publi­ka­tio­nen in ost­asia­ti­schen Spra­chen bestellt wer­den, dabei muss vom Bestel­ler kei­ne StaBi-Signatur ermit­telt wer­den. Pro Band soll­te ein Leih­schein geschickt wer­den, der — falls die Publi­ka­ti­on nicht in der Sta­Bi vor­han­den ist — als Anschaf­fungs­vor­schlag betrach­tet wer­den kann. Ulri­ke Fla­che bat Bestel­ler um Geduld. Solan­ge ein Schein nicht mit nega­ti­vem Bescheid zurück geschickt wur­de, sei die Bestel­lung in Arbeit.
Wei­ter­hin stell­te Ulri­ke Fla­che Cross­Asia vor. Die­ses DFG-geförderte Pro­jekt, das seit April 2005 an der Sta­Bi Ber­lin in Zusam­men­ar­beit mit acht Koope­ra­ti­ons­part­ners läuft, bie­tet Mit­ar­bei­tern und Stu­die­ren­den der Insti­tu­te, die am blau­en Leih­ver­kehr teil­neh­men, die Mög­lich­keit auf eine Rei­he japa­nisch­spra­chi­ger Daten­ban­ken zuzu­grei­fen. Neben einer Meta­su­che in ver­schie­de­nen Daten­ban­ken (CiNII, KAKEN, Web­cat Plus, NII-DBR) bie­tet Cross­Asia Recher­che­mög­lich­kei­ten in diver­sen Nach­schla­ge­wer­ken und Daten­ban­ken mit Zeitschriften- und Zei­tungs­ar­ti­kel­ar­chi­ven, teil­wei­se mit Volltext-Angeboten und PDF-Download-Funktionen.

In ihrem Vor­trag ging Nadin Heé der Fra­ge nach der Rol­le von phy­si­scher Gewalt im Rah­men der Herr­schafts­pra­xis des von Akteu­ren wie dem Kolo­ni­al­ver­wal­tungs­be­am­ten und Wis­sen­schaft­ler Gotô Shin­pei so genann­ten wis­sen­schaft­li­chen Kolo­nia­lis­mus nach. Als Quel­len nutzt sie dabei zeit­ge­nös­si­sche For­schungs­be­rich­te und Foto­gra­phien, Akten, Doku­men­te der Kolo­ni­al­ver­wal­tung (teil­wei­se auf Eng­lisch für das Aus­land pro­du­ziert), Zei­tun­gen und Zeit­schrif­ten sowohl der Kolo­ni­al­ver­wal­tung als auch der tai­wa­ne­si­schen Oppo­si­ti­on, Tage­bü­cher sowie Auto­bio­gra­phien japa­ni­sche Kolo­ni­al­be­am­ter, tai­wa­ne­si­scher Beam­te und tai­wa­ne­si­scher Oppositioneller.
Als Bei­spiel für den Umgang mit phy­si­scher Gewalt auf Tai­wan führ­te Nadin Heé die Prü­gel­stra­fe an, die in den frü­hen 1880er Jah­ren in Japan bereits als bar­ba­risch abge­schafft wor­den war. Bei der Kolo­nia­li­sie­rung Tai­wans wur­de sie dort auch zuerst abge­schafft, dann aber als Mit­tel zur Redu­zie­rung der Anzahl von Gefan­ge­nen in den über­füll­ten Gefäng­nis­sen und zur Über­brü­ckung ande­rer Eng­päs­se im Straf­sys­tem 1904 wie­der ein­ge­führt. Im zeit­ge­nös­si­schen Dis­kurs über die ‚Zivi­li­siert­heit‘ bzw. ‚Unzi­vi­li­siert­heit‘ der Peitschenhieb-Verordung in Tai­wan ver­trat Gotô die Ansicht, dass die Prü­gel­stra­fe nur im Rah­men des chi­ne­si­schen Straf­rechts bar­ba­risch sei. Im nicht-barbarischen japa­ni­schen Straf­recht die­ne sie hin­ge­gen der Zivi­li­sie­rung. Die japa­ni­sche Kolo­ni­al­ver­wal­tung über­nahm dabei die chi­ne­si­schen Tech­ni­ken der phy­si­schen Bestra­fung, ‚moder­ni­sier­ten‘ sie aber und kon­stru­ier­ten so eine ‚wis­sen­schaft­li­che‘ Peit­sche, die dem Zweck der lang­fris­ti­gen Zivi­li­sie­rung der Bevöl­ke­rung Tai­wans die­nen sollte.
In der an den Vor­trag anschlie­ßen­den Dis­kus­si­on ging es zuerst um die Ver­wis­sen­schaft­li­chung von Kolo­ni­al­herr­schaft. Hier­bei wer­de die Herr­schaft durch genaue Doku­men­ta­ti­on sowie zur die Hin­ter­le­gung kolo­nia­ler Prak­ti­ken durch wis­sen­schaft­li­che Theo­rien legi­ti­miert. An die­ser Ver­wis­sen­schaft­li­chung haben sich ver­schie­de­ne Dis­zi­pli­nen betei­ligt, in Japan selbst wur­den Kolo­ni­al­wis­sen­schaf­ten eta­bliert, die sich mit der Erfor­schung der kolo­nia­len Welt Japans befass­ten. Obwohl durch die­se Ver­wis­sen­schaft­li­chung die Anwen­dung phy­si­scher Gewalt gere­gelt wer­den soll­te, gab es jedoch in der Pra­xis Will­kür und Regel­ver­stö­ße. Eine Bewe­gung tai­wa­ne­si­scher Oppo­si­tio­nel­ler, die durch loka­le Ein­fluss­nah­me ver­such­te eine Geset­zes­än­de­rung in Sachen Prü­gel­stra­fe zu erwir­ken, hat­te letzt­end­lich kei­ne Erfolg. In der Pra­xis blie­ben die Kör­per­stra­fen ein Teil sym­bo­li­scher Poli­tik, mit der Bestraf­te ernied­rigt und die japa­ni­sche Macht in Tai­wan demons­triert wer­den sollten.

Ali­ce Busch­mei­ers Vor­trag zum The­ma „Kunst und Krieg. Der Maler Fuji­ta Tsu­gu­ji, 1937–45“ hat­te den als pro­pa­gan­dis­tisch bis regime­kri­tisch kon­tro­vers dis­ku­tier­ten Maler Fuji­ta Tsu­gu­ji (1886–1968) zum Gegen­stand und befass­te sich mit dem Ver­hält­nis von doku­men­ta­ri­scher und pro­pa­gan­dis­ti­scher Ebe­ne in sei­nen Bil­dern. Fuji­ta wur­de nach einem Auf­ent­halt in Paris in den 1920er Jah­ren und einer Welt­rei­se, die ihn auch nach Süd­ame­ri­ka führ­te, ‚der‘ Kriegs­ma­ler im Zwei­ten Welt­krieg in Japan. Nach dem Krieg reis­te er wie­der nach Paris, kon­ver­tier­te zum Katho­li­zis­mus und kehr­te nie wie­der nach Japan zurück.
Wäh­rend des Zwei­ten Welt­kriegs dien­te Fuji­ta dem japa­ni­schen Mili­tär als Kriegs­ma­ler und visua­li­sier­te zwi­schen 1937 und 1945 alle wich­ti­gen Schlach­ten. Ali­ce Busch­mei­er demons­trier­te am Bei­spiel eines sei­ner bekann­tes­ten Kriegs­bil­der — dem Bild „Ehren­tod auf Attu“ von 1943 — die Iko­no­gra­phie des Malers. Als Appell an das Durch­hal­te­ver­mö­gen der japa­ni­schen Bevöl­ke­rung stellt das Bild die ver­zwei­fel­te Offen­si­ve der japa­ni­schen Armee ange­sichts einer erdrü­cken­den zah­len­mä­ßi­gen Über­le­gen­heit des US-Militärs dar. Es ent­hält dabei aller­lei Anlei­hen aus der euro­päi­schen Kunst sowie auch christ­li­che Moti­ve. Krieg wird als hei­li­ger Krieg cha­rak­te­ri­siert, die Kriegs­rea­li­tät wird ver­klärt, Sol­da­ten sind Mär­ty­er, die sich für das Vater­land auf­op­fern. Fuji­ta war begeis­tert von sei­nem Bild und insze­nier­te in Inter­views des­sen reli­giö­sen Aspek­te, dem Mili­tär hin­ge­gen erschien es als zu bru­tal und des­halb nicht für die Pro­pa­gan­da geeig­net. Trotz­dem wur­de das Bild auf einer gro­ßen Kriegs­aus­stel­lung gezeigt.
Mit der Fra­ge nach der Wir­kung der ver­wen­de­ten Moti­ve Fuji­tas begann nach dem Vor­trag die Dis­kus­si­on dar­über, wie­so Besu­cher begeis­tert auf sei­ne Bil­der reagier­ten, obwohl sie gera­de die Anlei­hen aus der christ­li­chen Iko­no­gra­phie ver­mut­lich nicht ganz ver­stan­den. Ali­ce Busch­mei­er wies hier­zu auf die all­ge­mei­ne Auf­fas­sung hin, dass sich west­li­che Male­rei bes­ser als Mal­stil für Kriegs­ma­le­rei eig­ne als japa­ni­sche Male­rei. Die von Fuji­ta ver­wen­de­te Iko­no­gra­phie sei auch all­ge­mein reli­gi­ös und wir­ke durch die Dar­stel­lung von indi­vi­du­el­lem Leid.

Der letz­te Vor­trag des Tages von Till Knaudt (Bochum) hat­te den Titel: „Die Neue Lin­ke, der Anti­im­pe­ria­lis­mus und der bewaff­ne­te Kampf in Japan und der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land.“ Dar­in ging er kurz auf die Ent­ste­hung der so genann­ten japa­ni­schen Rote Armee Frak­ti­on — der seki­gun­ha — ein. Deren Ent­füh­rung eines Pas­sa­gier­flug­zeu­ges im Jah­re 1970 war ein Wen­de­punkt in den seit eini­ger Zeit schwe­len­den Stu­den­ten­pro­tes­ten in Japan. Es begann die Ent­wick­lung eines inter­na­tio­na­len lin­ken Ter­ro­ris­mus, beson­ders in Deutsch­land, Japan und Ita­li­en, der oft auch im Zusam­men­hang mit der Ableh­nung des Faschis­mus der jewei­li­gen Eltern­ge­nera­tio­nen gese­hen wird. Tenor die­ser neu ent­stan­den Grup­pen des lin­ken Ter­ro­ris­mus war der Anti-Imperialismus sowie die Unter­stüt­zung paläs­ti­nen­si­scher Guerilla.
In der Erfor­schung die­ses Phä­no­mens in Deutsch­land haben sich zwei Haupt­strö­mun­gen her­aus­ge­bil­det: Zum einen wer­den die Wur­zeln des lin­ken Ter­ro­ris­mus in den Gewalt­ex­zes­sen der Stu­den­ten­be­we­gung besucht, zum ande­ren wird der posi­ti­ve Bezug der Grup­pen auf die post­ko­lo­nia­len natio­na­len und sozi­al­re­vo­lu­tio­nä­ren Bewe­gun­gen betont, bei dem in Abgren­zung von der Zwei-Lager-Theorie ange­nom­men wird, dass natio­na­le Befrei­ungs­be­we­gun­gen zur Ent­wick­lung sozia­ler Wider­sprü­che füh­ren, die dann welt­re­vo­lu­tio­nä­res Poten­ti­al erzeu­gen. Die Stadt­gue­ril­la in den Metro­po­len der ers­ten Welt unter­stüt­ze dann die­se Bewe­gun­gen der Peripherie.
In sei­ner Dis­ser­ta­ti­on plant Till Knaudt nun einen his­to­ri­schen Ver­gleich der deut­schen RAF und der japa­ni­schen seki­gun­ha um fest­zu­stel­len, wie glo­bal das den Grup­pen zugrun­de lie­gen­de Phä­no­men war. Hin­ter­grund des Dis­ser­ta­ti­ons­pro­jek­tes ist, dass sich zwar die Unter­su­chung der deut­schen Geschich­te auf hohem For­schungs­ni­veau befin­de, im Gegen­satz dazu aber die japa­ni­sche seki­gun­ha als For­schungs­ge­gen­stand auf gro­ßes Unver­ständ­nis sto­ße. Japa­ni­sche Gewalt wird in die­sem Zusam­men­hang als Son­der­weg gese­hen. Um aber dem Unter­su­chungs­ge­gen­stand seki­gun­ha gerecht zu wer­den, kann man die von ihr aus­ge­üb­te Gewalt nicht ein­fach als Ent­ar­tung abtun, son­dern muss sie in ihrem his­to­ri­schen Kon­text unter­su­chen. Dabei soll­te nicht von der moralisch-normativen Deu­tung aus­ge­gan­gen wer­den, es geht nicht um Ableh­nung oder Befür­wor­tung von Gewalt, son­dern um die per­so­nel­le und ideen­ge­schicht­li­che Ent­wick­lung des so genann­ten anti­im­pe­ria­lis­ti­schen Ter­ro­ris­mus in Japan.
Die an den Vor­trag anschlie­ßen­de Dis­kus­si­on the­ma­ti­sier­te die inter­na­tio­na­le Ver­net­zung der seki­gun­ha sowie den Stel­len­wert des Anti-Imperialismus. Hit­zig wur­de auch die Fra­ge nach der Legi­ti­ma­ti­on der eige­nen Aktio­nen auf Sei­ten der RAF und der seki­gun­ha sowie die nor­ma­ti­ve und mora­li­sche Bewer­tung von Gewalt in die­sem Kon­text dis­ku­tiert. Die Dis­ser­ta­ti­on wird ver­su­chen die Fra­ge zu klä­ren, wel­che Fak­to­ren dazu bei­tru­gen, dass aus einer natio­nal ange­leg­ten Stu­den­ten­be­we­gung eine inter­na­tio­na­le und dann auch gewalt­tä­ti­ge Bewe­gung wurden.

Der Sonn­tag wur­de mit einer Run­de eröff­net, die Gele­gen­heit gab lau­fen­de Pro­jek­te und Abschluss­ar­bei­ten vor­zu­stel­len sowie auf anste­hen­de Ter­mi­ne hin­zu­wei­sen. Unter ande­rem sprach Biru David Bin­der (Hei­del­berg) kurz über sein Dis­ser­ta­ti­ons­pro­jekt zu den Vor­stel­lun­gen der Amur-Gesellschaft (koku­ryû­kai) zu Gen­der. Ste­fan Hüb­ner (Mainz), der sei­ne Abschluss­ar­beit über die Unter­su­chung des Japan-Bildes der NSdAP geschrie­ben hat­te, stell­te kurz sein Dis­ser­ta­ti­ons­pro­jekt zur japa­ni­schen Erin­ne­rung an den Kolo­nia­lis­mus in Korea vor.
Wie immer wur­de auf die Biblio­gra­phie zur his­to­ri­schen Japan­for­schung hin­ge­wie­sen , für die jeder sei­ne deutsch­spra­chi­gen Publi­ka­tio­nen zur japa­ni­schen Geschich­te mel­den soll­te, sowie auf die Daten­bank von Über­set­zun­gen japa­ni­scher Quel­len in euro­päi­sche Spra­chen, zu der eben­falls jeder Hin­wei­se auf ent­spre­chen­de Über­set­zun­gen bei­tra­gen kann.
Für den 14. Deutsch­spra­chi­gen Japa­no­lo­gen­tag, der vom 29.09. bis 02.10.2009 an der Uni­ver­si­tät Halle-Wittenberg statt­fin­det, wur­de einer­seits auf die Sek­ti­on Geschich­te hin­ge­wie­sen, die dies­mal Vor­trä­ge zum Ober­the­ma Kör­per anbie­tet. Wei­ter­hin fin­det ein Panel zum The­ma „Der mobi­li­sier­te Bür­ger? Aspek­te einer zivil­ge­sell­schaft­li­che Par­ti­zi­pa­ti­on im Japan der Kriegs­zeit (1931–1945)“ statt.
Vor dem über­nächs­ten Tref­fen der Initia­ti­ve zur his­to­ri­schen Sozi­al­for­schung am ers­ten Mai­wo­chen­en­de 2010, für das sich Bochum bereits als Gast­ge­ber zur Ver­fü­gung gestellt hat, wird eine Tagung zum The­ma „Lan­ges 19. Jahr­hun­dert“ statt­fin­den, die von einer stu­den­ti­schen Arbeits­grup­pe ver­an­stal­tet wird, die sich der­zeit mit einem Ver­gleich zwi­schen Kyûs­hû und dem Ruhr­ge­biet beschäftigt.

Der letz­te Vor­trag des Tref­fens wur­de von Hein­rich Rein­fried (Zürich) gehal­ten zum The­ma „Wie lässt sich die Effi­zi­enz des Japa­nisch­un­ter­richts auf der Ter­ti­är­stu­fe stei­gern? Zur Rele­vanz des päd­ago­gi­schen Kon­struk­ti­vis­mus in der sprach­li­chen Grund­aus­bil­dung von Japan-Historikern“. Er berich­te­te dar­in über ein von ihm ent­wi­ckel­tes Kon­zept zur Neu­ge­stal­tung des Japa­nisch­un­ter­richts. Aus­gangs­punkt sei­ner Über­le­gun­gen ist, dass Sprach­kennt­nis­se für Japan­his­to­ri­ker unab­ding­bar sind, aller­dings die meis­ten Stu­di­en­an­fän­ger über kei­ner­lei Vor­kennt­nis­se ver­fü­gen. Bei zuneh­mend hete­ro­ge­nen Stu­den­ten­grup­pen, diver­sen Lehr­zie­len und den Vor­ga­ben der Uni­ver­si­tä­ten, Lern­zie­le in immer kür­ze­rer Zeit zu errei­chen, soll­te des­halb der Japa­nisch­un­ter­richt so neu kon­zi­piert wer­den, dass Stu­die­ren­de anfangs schnell Erfol­ge erzie­len und schnell auf einer „Rei­se­flug­hö­he“ im Japa­ni­schen sind. Um dies zu errei­chen, soll­ten Sprach­leh­rer nicht län­ger auf die durch japa­ni­sche Vor­ga­ben gesteu­er­ten Cur­ri­cu­la zurück­grei­fen, son­dern sich auf die Bedürf­nis­se der Ler­ner kon­zen­trie­ren. Dies bräuch­ten im Zeit­al­ter elek­tro­ni­scher Medi­en immer weni­ger Hand­schrift­kennt­nis­se, Com­pu­ter­schrift rei­che anfäng­lich völ­lig aus. Eine an den Kon­struk­ti­vis­mus ange­lehn­te Metho­de, bei der Ler­ner durch stän­di­ge gelenk­te Kon­struk­ti­ons­pro­zes­se eigen­stän­dig Tex­te pro­du­zie­ren führt schon früh zu einer Auto­no­mie der Stu­den­ten beim Sprach­er­werb. Die Rol­le des Leh­ren­den ver­än­dert sich dabei hin zu einer Instanz, die die Pro­duk­te des eigen­stän­di­gen Lern­pro­zes­ses kor­ri­giert und beglei­tet. Das Skript zum Vor­trag von Hein­rich Rein­fried kann unter http://asiaintensiv.pbworks.com/methodik ein­ge­se­hen werden.
In der Dis­kus­si­on des Vor­tra­ges gab es Nach­fra­gen zu den Erfolgs­quo­ten des Kon­zepts, das beim Vor­tra­gen­den zu sehr gerin­gen Abbre­cher­quo­ten im Japa­nisch­un­ter­richt führt. The­ma­ti­siert wur­den auch die unter­schied­li­chen Ziel­vor­stel­lun­gen ver­schie­de­ner Ler­ner. Hier bringt der Kurs zuerst alle auf ein bestimm­tes Niveau, von dem aus sich dann die ein­zel­nen Ler­ner in indi­vi­du­el­le Rich­tun­gen ent­wi­ckeln kön­nen. Auf Sei­ten der japa­ni­schen Japa­nisch­leh­rer sind die Reak­tio­nen auf das neue Kon­zept gemischt, da bei eini­gen Angst davor besteht, die Kon­trol­le über den Unter­richt zu verlieren.

(Pro­to­koll: Anke Scherer)

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favicon0114. Tref­fen am Ost­asia­ti­schen Semi­nar der Uni­ver­si­tät Zürich am 7. und 8. Novem­ber 2009:

Anwe­send waren in Zürich: Anja Batram (Bochum), Biru David Bin­der (Hei­del­berg), Chris­tof Dejung (Kon­stanz), Diet­mar Ebert (Bochum), Jörg Fisch (Zürich), Judith Fröh­lich (Zürich), Aileen Gerl­off, Ben­ja­min Grossman-Hensel, Lisa Ham­me­ke (Bochum), David Johst (Hal­le), Frank Käser (Ber­lin), Hans Mar­tin Krä­mer (Bochum), Misa Lam­dark (Zürich), Mori­ka­wa Tak­emit­su (Luzern), Simo­ne Mül­ler (Zürich), Nishi­no Ken­ji (Bonn), Ôishi Shûhei (Zürich), Hein­rich Rein­fried (Zürich), Jonas Rüegg (Zürich), Anke Sche­rer (Köln), Ben­ja­min Schmal­of­ski (Bochum), Kat­ja Schmidt­pott (Mar­burg), Bern­hard Stech, Det­lev Taran­c­zew­ski (Bonn), Sven Tra­kulhun (Zürich), Rais­sa Trett­wer (Bochum), Pao­la von Wyss-Giacosa (Zürich), Mar­tin Wei­ser; Vere­na Wer­ner (Zürich).

Der ers­te Vor­trag von Jörg Fisch (Uni­ver­si­tät Zürich) hat­te den Titel „Fran­çois Valen­tyn (1666–1727) und Japan. Wie ein asi­en­kun­di­ger euro­päi­scher Beob­ach­ter das Land aus der Fer­ne sieht.“ Aus­gangs­punkt war die Fra­ge­stel­lung danach, was man zur dama­li­gen Zeit in Euro­pa über Japan wuss­te. So ent­hält das Werk des Nie­der­län­ders Fran­çois Valen­tyn län­ge­re Aus­füh­run­gen zu Japan, obwohl der Autor selbst nur sekun­dä­re Kennt­nis­se über das Land hat­te. Valen­tyn war nach einem Theo­lo­gie­stu­di­um in die Diens­te der Nie­der­län­di­schen Ostindien-Kompanie getre­ten und hat­te sich län­ge­re Zeit in Süd­ost­asi­en auf­ge­hal­ten. Nach Strei­tig­kei­ten mit sei­nem Arbeit­ge­ber war er in die Nie­der­lan­de zurück­ge­kehrt. Sein 1726 ver­öf­fent­lich­tes umfang­rei­ches Werk über Ost-Indien ist gedacht als Zusam­men­stel­lung allen Wis­sens, das ein Euro­pä­er zur dama­li­gen Zeit über Asi­en haben konn­te und ent­hält des­halb auch ein Kapi­tel über Japan, das sich auf zeit­ge­nös­si­sche Quel­len und Berich­te stützt. Das Mate­ri­al spie­gelt vor allem die Inter­es­sen der in Japan akti­ven Nie­der­län­der wider und ent­hält die hier­für als dis­kus­si­ons­wür­dig erach­te­ten The­men. Neben all­ge­mei­nen Infor­ma­tio­nen zu Geo­gra­phie, Geschich­te, Kul­tur und Reli­gi­on in Japan taucht des­halb die Pro­ble­ma­tik der Dar­stel­lung von Ten­nô und Shô­gun auf. Durch das im Umgang mit den poli­ti­schen Gege­ben­hei­ten der Tokugawa-Zeit gepräg­te Ver­ständ­nis der Nie­der­län­der von Herr­schaft in Japan beein­flusst, wer­den der Shô­gun als Kai­ser und die Dai­myô als Köni­ge bezeich­net. Der Ten­nô taucht in der Beschrei­bung Valen­tyns als ein reli­giö­ses Ober­haupt auf und wird mit dem Papst ver­gli­chen. Als Fazit der Unter­su­chung des Wer­kes von Fran­çois Valen­tyns zog Fisch den Schluss, dass es sich trotz des von Valen­tyn erho­be­nen Anspruchs auf Voll­stän­dig­keit nicht um einen sys­te­ma­ti­schen über­blick allen Wis­sens über Asi­en han­delt, son­dern die oft anek­do­ti­sche Zusam­men­stel­lung von Infor­ma­tio­nen zeigt, dass man vor allem das wahr­nimmt, was man wis­sen will und dies im Lich­te des eige­nen Vor­wis­sens interpretiert.

Der anschlie­ßen­de Vor­trag von Sven Tra­kulhun (Uni­ver­si­tät Zürich) zu „Asi­en und Euro­pa in der Neu­zeit. Ansät­ze zu einer Geschich­te Eura­si­ens“ wand­te sich der Fra­ge des Kul­tur­trans­fers zu. Die­ser Ansatz ver­führt oft dazu, die Bedeu­tung von Gren­zen zu unter­schät­zen oder in einem kolo­nia­len Kon­text den Man­gel an Rezi­pro­zi­tät zu über­se­hen. Tra­kulhun führ­te dies aus, indem er die Schrif­ten von Engel­bert Kaemp­fer zu Japan und zu Siam ana­ly­sier­te. Kaemp­fer war als Grenz­gän­ger in drei Sys­te­men tätig (Diplo­ma­tie, Han­del und Wis­sen­schaft), die zum Kul­tur­trans­fer bei­tra­gen. Sowohl in Japan als auch in Siam waren die Kon­tak­te zu Euro­pa zweck­ori­en­tiert, bei­de Län­der schot­te­ten sich ansons­ten von euro­päi­schen Ein­flüs­sen nach Mög­lich­keit ab und ent­gin­gen in den fol­gen­den Jahr­hun­der­ten der Kolo­nia­li­sie­rung. Der Grenz­gän­ger Engel­bert Kaemp­fer, der eigent­lich Trä­ger eines Kul­tur­trans­fers sein konn­te, befür­wor­te­te die­se Abschlie­ßung; denn er sah in der Offen­heit für Trans­fer auch die Gefahr der kul­tu­rel­len Kon­ver­si­on. Vol­taire und Jus­ti über­nah­men im Ver­lauf des 18. Jahr­hun­derts die Ansich­ten Kaemp­fers. In der anschlie­ßen­den Dis­kus­si­on wur­de hier­zu die Fra­ge auf­ge­wor­fen, in wie weit Kaemp­fer reprä­sen­ta­tiv für die Ansich­ten sei­ner Zeit war. Es soll­te näm­lich nicht außer Acht gelas­sen wer­den, dass die genann­ten Ansich­ten von Kaemp­fer, Vol­taire und Jus­ti sich von spä­te­ren Gene­ra­tio­nen des­halb als Klas­si­ker lesen las­sen, weil sie für eine Kolo­nia­lis­mus­kri­tik genutzt wer­den kön­nen, die erst in einer viel spä­te­ren Zeit aus­for­mu­liert wurde.

Vor­trag drei des ers­ten Tages wur­de von Hans Mar­tin Krä­mer (Uni­ver­si­tät Bochum) gehal­ten zum The­ma „Von devi­an­ten Dhar­mas und sek­ten­haf­ten Leh­ren: Die Kon­struk­ti­on der Kate­go­rie Reli­gi­on in Japan zwi­schen 1550 und 1900“. Dar­in stell­te er ers­te Ergeb­nis­se einer begriffs­ge­schicht­li­chen Stu­die zum Ver­hält­nis von Reli­gi­on und Poli­tik in Japan in der frü­hen Neu­zeit vor. Im Mit­tel­punkt stand dabei einer­seits die Fra­ge, wie die „Reli­gi­ons­po­li­tik“ des Shog­u­nats in der frü­hen Neu­zeit ihr Objekt fass­te, und ande­rer­seits der Pro­zess der For­mu­lie­rung eines neu­en Objekt­be­griffs „Reli­gi­on“ zu Beginn der Meiji-Zeit. Neue­re Stu­di­en zur moder­nen japa­ni­schen Reli­gi­ons­ge­schich­te beto­nen, dass ein moder­ner Reli­gi­ons­be­griff in Japan erst seit den 1870er Jah­ren exis­tie­re und dass die­ser eine spe­zi­fisch west­li­che Prä­gung habe. Um die Kon­se­quenz die­ser Erklä­rung für die Vor­mo­der­ne zu unter­su­chen wid­me­te Krä­mer sich der Fra­ge, wie in der Tokugawa-Zeit über „Reli­gi­on“ gespro­chen wur­de. So ging auch schon das Tokugawa-Shogunat von einer dicho­to­mi­schen Tren­nung zwi­schen öffent­li­chem Kult und pri­va­ter Reli­gi­on aus, wie sie in der Meiji-Verfassung von 1889 kodi­fi­ziert wur­de. Die Dis­kus­si­on dreht sich dann in wei­tes­ten Sinn um die Mög­lich­keit der Defi­ni­ti­on von Reli­gi­on bzw. dar­um wie Spra­che Rea­li­tä­ten schaf­fen kann. Es wur­de dar­auf hin­ge­wie­sen, dass Reli­gi­on in Euro­pa auch erst durch die Pro­ble­ma­ti­sie­rung des Phä­no­mens in der Auf­klä­rung zum Begriff gemacht wurde.

Als letz­ten Vor­trag des Sams­tags stell­te Simo­ne Mül­ler (Uni­ver­si­tät Zürich) ihr Habi­li­ta­ti­ons­pro­jekt vor: „Schrift­stel­ler als Intel­lek­tu­el­le in der japa­ni­schen Nach­kriegs­zeit (1945–1972) und ihre Bezü­ge zu Jean-Paul Sar­tres Kon­zept des Enga­ge­ments“. Es geht dabei dar­um anhand der Lite­ra­ten­dis­kur­se der japa­ni­schen Nach­kriegs­zeit das Intel­lek­tu­el­len­pro­fil der japa­ni­schen Schrift­stel­ler im Lich­te ihrer Bezü­ge zum exis­ten­tia­lis­ti­schen Enga­ge­ment­kon­zept, das auf Jean-Paul Sart­re zurück geht, neu zu defi­nie­ren. Nach 1945 nah­men in Japan Schrift­stel­ler und Lite­ra­tur­kri­ti­ker die Fra­ge nach der indi­vi­du­el­len Ver­ant­wor­tung in der Gesell­schaft neu auf und ent­deck­ten im Kon­zept Sar­tres ein intel­lek­tu­el­les Ide­al und Vor­bild für die eige­ne Lite­ra­tur. Durch die über­nah­me des Modells und sei­ne Trans­for­ma­ti­on für japa­ni­sche Ver­hält­nis­se ent­stand ein poli­tisch enga­gier­ter und sozi­al­kri­ti­scher Typus des intel­lek­tu­el­len Schrift­stel­lers, der dem Kon­zept des fran­zö­si­schen Intel­lek­tu­el­len in vie­ler Hin­sicht ähnelt. Erst in den 1970er Jah­ren ver­lor die­ser Intel­lek­tu­el­len­ty­pus in Japan an Wirkkraft.

Den Sonn­tag­mor­gen eröff­ne­te eine Run­de, in der lau­fen­de Pro­jek­te vor­ge­stellt wer­den konn­ten. Danach stell­te David Johst (Uni­ver­si­tät Hal­le) das Gra­du­ier­ten­kol­leg „For­men­wan­del der Bür­ger­ge­sell­schaft: Japan und Deutsch­land im Ver­gleich“ vor. Den letz­ten Vor­trag des Tref­fens hielt Kat­ja Schmidt­pott (Uni­ver­si­tät Mar­burg) zum The­ma „150 Jah­re C. Illi­ses & Co.: Ein deut­sches Han­dels­haus in Japan“. Dar­in gab sie einen über­blick über das ers­te Drit­tel der Geschich­te des Unter­neh­mens C. Illies & Co. von der Grün­dung der Fir­ma in Naga­sa­ki im Jah­re 1859 über die nahe­zu unge­brems­te Auf­wärts­ent­wick­lung des Unter­neh­mens bis zur vor­über­ge­hen­den Ein­stel­lung der Geschäfts­tä­tig­keit zu Beginn des Ers­ten Welt­krie­ges. Zuerst behan­del­te sie die Schwie­rig­kei­ten des Markt­ein­tritts und die Anpas­sung an die wech­sel­haf­te Markt­ent­wick­lung im Lau­fe des 19. Jahr­hun­derts, um Stra­te­gien auf­zu­zei­gen, die dazu bei­tru­gen, dass das Han­dels­haus in Japan nicht nur Fuß fas­sen, son­dern auch wach­sen und dau­er­haft bestehen konn­te. Dabei argu­men­tier­te sie, dass ins­be­son­de­re die Aus­wer­tung von Infor­ma­tio­nen über die poli­ti­schen und wirt­schaft­li­chen Ver­hält­nis­se in Japan sowie der Auf­bau von guten Ver­bin­dun­gen zu japa­ni­schen Regie­rungs­krei­sen und Behör­den wesent­lich zum Unter­neh­mens­er­folg in der frü­hen Pha­se bei­getra­gen haben.

(Pro­to­koll: Anke Scherer)

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favicon0415. Tref­fen an der Ruhr-Universität Bochum am 1. und 2. Mai 2010:

Anwe­send waren in Bochum: Anja Batram (Bochum), Mar­kus Ber­ner (Bochum), Alex­an­der Brink­mann (Bochum), Tho­mas Bütt­ner (Hei­del­berg), David Chwi­la (Bochum), Nele Frie­de­ri­ke Dib­bert (Bochum), Anna Ernst (Bochum), Lisa Elai­ne Ham­me­ke (Bochum), Aya­ko Hara (Wup­per­tal), Nina Holz­schnei­der (Bochum), Ste­fan Hüb­ner (Bre­men), Frank Käser (Ber­lin), Thors­ten Kerp (Bonn), Hans Mar­tin Krä­mer (Bochum), Arne Krauß (Bochum), Daria Kupis (Bochum), Made­lei­ne Mai­er (Bochum), Regi­ne Mathi­as (Bochum), Micha­el Matt­ner (Bochum), Ken­ji Nishi­no (Bonn), Kazu­ki Okauchi (Bochum), Erich Pau­er (Mar­burg), Juli­an Ple­ne­fisch (Ber­lin), Anke Sche­rer (Köln), Jan Schmidt (Bochum), Mer­lin Schmidt (Bochum), Kat­ja Schmidt­pott (Mar­burg), Tino Schölz (Hal­le), Wolf­gang Sei­fert (Hei­del­berg), Nora Stif­ter (Bochum), Nor­man Sud­row (Bochum), Det­lev Taran­c­zew­ski (Bonn), Frie­de­ri­ke Tur­ow­ski (Bochum), Nora Zes­ling (Bochum) sowie als Gäs­te von der Uni­ver­si­tät Kyûs­hû Aka­shi Tomo­no­ri, Noji­ma Yoshit­a­ka und Yama­guchi Teruomi.

Tho­mas Bütt­ner: Auf­lö­sung der Par­tei­en? Kon­ti­nui­tä­ten von Sei­yû­kai und Min­sei­tô über 1940 hinaus;
Den ers­ten Vor­trag des Tref­fens begann Tho­mas Bütt­ner mit der Erklä­rung der Hin­ter­grün­de sei­ner For­schungs­fra­ge nach Kon­ti­nui­tä­ten und Dis­kon­ti­nui­tä­ten im Bereich par­tei­po­li­ti­scher Akteu­re. So ging zwar im Ver­lauf der 1930er Jah­re der Ein­fluss von Par­tei­en stark zurück, bis die Par­tei­en 1940 im Vor­feld der Ein­füh­rung des „Neu­en Poli­ti­schen Sys­tems“ auf­ge­löst wur­den, aber auch ohne die Par­tei­en als Orga­ni­sa­tio­nen behiel­ten Poli­ti­ker ihre Rol­le als Par­la­men­ta­ri­er. Tho­mas Bütt­ner stell­te sich hier die Fra­ge, in wel­chem Maße es Par­tei­po­li­ti­kern gelang, sich trotz des Nie­der­gangs ihrer Orga­ni­sa­tio­nen ein­fluss­rei­che Plät­ze in der Poli­tik zu sichern. Hier erga­ben sich Unter­schie­de zwi­schen der Sei­yû­kai und der Min­sei­tô sowie zwi­schen den ver­schie­de­nen Fak­tio­nen, die sich inner­halb der Sei­yû­kai her­aus­ge­bil­det hat­ten. Bei der Wahl 1942 wur­den die meis­ten Mit­glie­der der Nakajima-Faktion der Sei­yû­kai in ihre Man­da­te zurück gewählt, wäh­rend Mit­glie­der der Kuhara-Fraktion und Abge­ord­ne­te der Min­sei­tô häu­fig ihr Man­dat ver­lo­ren, da die­se Grup­pen nicht offi­zi­ell durch die Tais­ei yoku­san­kai emp­foh­len wor­den waren, wie dies bei den Mit­glie­dern der Nakajima-Faktion der Fall war. Als Fazit for­mu­lier­te Tho­mas Bütt­ner, dass zwar die Par­tei­en auf­ge­löst wur­den, die Poli­ti­ker aber ohne­hin im Rah­men ihrer per­sön­li­chen Netz­wer­ke und Seil­schaf­ten funk­tio­nier­ten und sich die­je­ni­gen Poli­ti­ker durch­set­zen konn­ten, die sich am Bes­ten mit den poli­ti­schen Gege­ben­hei­ten arrangierten.
Dis­ku­tiert wur­de dann, ob das Kon­strukt des „1940er Sys­tems“ heu­ris­tisch sinn­voll ist, da im Ver­gleich zu 1945 der Bruch 1940 nicht so groß war und 1940 nichts wirk­lich Neu­es ein­ge­führt wur­de. Ent­schei­dend waren laut Bütt­ner nicht die insti­tu­tio­nel­len Struk­tu­ren son­dern die per­sön­li­chen Netz­wer­ke. Wei­ter­hin wur­de dis­ku­tiert, wel­che Rol­le das Vor­bild Deutsch­land spiel­te und ob es im Pro­zess der „Gleich­schal­tung“ ande­rer Ein­hei­ten ähn­li­che Dyna­mi­ken gab wie im Bereich der Par­tei­en­land­schaft. In Bezug auf das Vor­bild Deutsch­land argu­men­tier­te Tho­mas Bütt­ner, dass hier vor allem zu Beginn des Pro­zes­ses die Idee vom deut­schen Bei­spiel stammt, sich der Pro­zess dann aber schnell vom Vor­bild ent­fern­te. Die „Gleich­schal­tung“ ver­lief in den meis­ten Bereich rela­tiv ähn­lich. Die­je­ni­gen, die sich in ihrem Bereich enga­gier­ten und wei­ter­ar­bei­ten woll­ten, tra­ten in der Regel der poli­ti­schen Groß­wet­ter­la­ge fol­gend der Tais­ei yoku­san­kai bei und gaben nach Kriegs­en­de an, Mit­läu­fer gewe­sen zu sein, so dass sie nach kur­zer Unter­bre­chung meis­tens im alten Job wei­ter­ar­bei­ten konnten.

David Merv­art: Govern­ment, Com­mer­ce, Man­ners. The Dis­cour­se of Com­mer­cial Socie­ty in 18th-century Japan and Europe;
Der Vor­trag von David Merv­art nahm die Dis­kus­si­on über Moral zum Aus­gangs­punkt, die mit der Aus­brei­tung von Han­del und sei­ner Aus­wir­kung auf die Gesell­schaft begann. Sein Bei­spiel ist der Han­del mit Reis- und Getreide-Futures auf dem Markt in Ôsa­ka, bei dem kein Reis gehan­delt wur­de, son­dern Pro­fit mit vir­tu­el­len Waren, die auf Papier notiert waren, gemacht wur­de. Nakai Chi­ku­zan kri­ti­sier­te 1790 die­sen Han­del, da er die Moral kor­rum­pie­re, in einem Memo­ran­dum an Mat­su­d­ai­ra Sad­ano­bu. Die­se Kri­tik ist exem­pla­risch für die dama­li­ge Ten­denz, die Kom­mer­zia­li­sie­rung als schäd­lich für die gesell­schaft­li­che Ent­wick­lung anzu­se­hen. Danach zeig­te David Merv­art die Par­al­le­len zu die­sen Ansich­ten in der euro­päi­schen Geis­tes­ge­schich­te auf, wo eben­falls am Ende des 18. Jahr­hun­derts der Waren­han­del als sub­ver­si­ve sozia­le Inter­ak­ti­on kri­ti­siert wur­de. Die­se Dege­ne­ra­ti­on im mensch­li­chen Umgang wur­de im Euro­pa der dama­li­gen Zeit mit dem Nie­der­gang Roms in Ver­bin­dung gebracht. Aus die­ser Kri­tik lei­tet sich die Fra­ge ab, wie die Herr­schen­den auf die zuneh­men­de Kor­rup­ti­on durch Han­del reagie­ren soll­ten, schließ­lich führ­te die Kor­rup­ti­on erfah­rungs­ge­mäß zum Nie­der­gang, z.B. von Dynas­tien im kai­ser­li­chen Chi­na. Eine mög­li­che Reak­ti­on ist die ver­stärk­te Beto­nung der alten Vor­bil­der und der Erzie­hung zum mora­li­schen Han­deln. Da aber die­je­ni­gen, die an der Kom­mer­zia­li­sie­rung teil­neh­men, nicht mer­ken, dass sie sich mora­lisch kor­rupt ver­hal­ten, ist die­ser Ansatz zum Schei­tern ver­ur­teilt. Strik­te Ver­bo­te füh­ren nur dazu, dass die Metho­den, sie zu umge­hen, krea­ti­ver wer­den und die Herr­schen­den an Auto­ri­tät ein­bü­ßen. Die ande­re Mög­lich­keit der Reak­ti­on ist es, den Ent­wick­lun­gen frei­en Lauf zu las­sen, da sie sich ohne­hin nicht auf­hal­ten lassen.
Die Dis­kus­si­on begann mit der Fra­ge danach, in wie weit die Reak­ti­on auf die Kom­mer­zia­li­sie­rung der Welt im 18. Jahr­hun­dert gene­rell dar­auf zurück­zu­füh­ren war, dass die Ent­wick­lung neu war und von den Herr­schen­den nicht ver­stan­den wur­de. Wei­ter­hin wur­de der Unter­schied zwi­schen dem gesell­schaft­li­chen Umfeld the­ma­ti­siert, in dem einer­seits die schot­ti­schen Kri­ti­ker der Kom­mer­zia­li­sie­rung in einer bür­ger­li­chen Gesell­schaft (David Hume, Adam Smith) leb­ten und ande­rer­seits die japa­ni­schen Kri­ti­ker einer den Sor­gen des gemei­nen Vol­kes nicht aus­ge­setz­ten Eli­ten ange­hör­ten. Ange­merkt wur­de, dass die von den Herr­schen­den in Japan gefor­der­te Fru­ga­li­tät für die­je­ni­gen, die sie for­der­ten, ein leicht zu leis­ten­der Luxus war und nicht eine Über­le­bens­not­wen­dig­keit wie für den Groß­teil der Bevöl­ke­rung. Pro­ble­ma­ti­siert wur­den wei­ter­hin die Ver­wen­dung des Begriffs „Gesell­schaft“, ein Begriff, der erst Ende des 19. Jahr­hun­derts im moder­nen Japa­nisch auf­taucht, und die Über­set­zung von fûzo­ku als „man­ners“. Wenigs­tens heu­te sei­en „man­ners“ eher etwas, das Indi­vi­du­en zuge­schrie­ben wer­de, wäh­rend fûzo­ku auch heu­te noch für gan­ze Gesell­schaf­ten oder Regio­nen Anwen­dung fin­de — soll­ten bei­de Begrif­fe im 18. Jahr­hun­dert ähn­lich kon­no­tiert gewe­sen sein, so müs­se es irgend­wann einen Bruch gege­ben haben. Die Urhe­ber­schaft für die­sen Bruch in West­eu­ro­pa schrieb Merv­art der im 19. Jahr­hun­dert auf­kom­men­den Sozio­lo­gie zu. Nach­fra­gen gab es auch zu der Fra­ge, ob die Dis­kus­si­on im 18. Jahr­hun­dert wirk­lich neu war, oder ob es in Euro­pa und Japan nicht schon frü­her Peri­oden der Kom­mer­zia­li­sie­rung gab, die unter ähn­li­chen Gesichts­punk­ten kri­ti­siert wur­den. Merv­art argu­men­tier­te, dass es natür­lich im Lau­fe der Geis­tes­ge­schich­te oft Ten­den­zen gab, mensch­li­ches Pro­fit­stre­ben als unmo­ra­lisch zu cha­rak­te­ri­sie­ren, dass aber die Dis­kus­si­on im 18. Jahr­hun­dert auf­grund der neu­en öko­no­mi­schen Ent­wick­lung auch eine neue Dimen­si­on der mora­li­schen Empö­rung gab.

Frank Käser: Vor­stel­lung des Dis­ser­ta­ti­ons­vor­ha­bens „Das japa­ni­sche Rote Kreuz im Russisch-Japanischen Krieg“;
Frank Käser erläu­ter­te zunächst die his­to­ri­schen Hin­ter­grün­de, die zur Grün­dung des Japa­ni­schen Roten Kreu­zes führ­ten. Ent­schei­dend war die Begeg­nung Sano Tsu­n­e­t­amis (eines Schü­lers des rang­aku­s­ha Oga­ta Kôan, der nach den ethi­schen Ideen des Ber­li­ner Arz­tes Hufe­land arbei­te­te) mit den Ideen der Gen­fer Kon­ven­ti­on (1864) auf der Pari­ser Welt­aus­stel­lung 1867, wo das Rote Kreuz einen Pavil­lon hat­te. 1877 ergriff Sano in Japan die Initia­ti­ve zur Grün­dung der Hakuai­sha, deren Sta­tu­ten sich aus Bestim­mun­gen der Gen­fer Kon­ven­ti­on speis­ten. 1887 kam es dann zur Grün­dung des Japa­ni­schen Roten Kreu­zes durch Umfunk­tio­nie­ren der Hakuai­sha. Der vor­an­ge­gan­ge­ne Bei­tritt Japans zur Gen­fer Kon­ven­ti­on bedeu­te­te die Unter­zeich­nung des ers­ten inter­na­tio­na­len Ver­tra­ges, bei dem Japan Part­ner auf Augen­hö­he war. Als Moti­ve, war­um Japan über­haupt der Kon­ven­ti­on bei­trat, ver­wies Käser auf die in Zei­ten der Wehr­pflicht­ar­mee (1872 ein­ge­führt) neue Art der Ver­pflich­tung des Staa­tes der Armee gegen­über (die ja nun aus der gan­zen Bevöl­ke­rung rekru­tiert wur­de). Das Rote Kreuz ermög­licht somit also den moder­nen Krieg im Zeit­al­ter der Wehr­pflicht. Wich­tig sei auch gewe­sen, dass ein neu­es Ret­tungs­we­sen nach einer lan­gen Zeit des Frie­dens in Euro­pa wie in Japan nötig gewor­den sei.
Käser schil­der­te dann die Rol­le des Japa­ni­schen Roten Kreu­zes und des Sani­täts­we­sens des Hee­res im Russisch-Japanischen Krieg. Die­ser sei in vie­ler­lei Hin­sicht ein moder­ner Krieg gewe­sen mit gra­vie­ren­den Fol­gen für das Sani­täts­we­sen, d.h. er war ein Bewe­gungs­krieg mit schnel­lem Vor­marsch, dem der Sani­täts­dienst fol­gen muss­te; zugleich gab es län­ge­re Trans­port­we­ge; es sei ein Win­ter­krieg und Stel­lungs­krieg gewe­sen; erst­mals sei­en in grö­ße­rem Stil Maschi­nen­ge­weh­re und Artil­le­rie mit Hoch­ge­schwin­dig­keits­ge­schos­sen mit Stahl­um­man­te­lung ein­ge­setzt wor­den. Das japa­ni­sche Sani­täts­we­sen, das auch Objekt euro­päi­scher Beob­ach­ter vor Ort gewe­sen sei, habe sich unter die­sen Bedin­gun­gen im Ver­gleich mit ande­ren Krie­gen des­sel­ben Zeit­raums erfolg­reich behaup­ten kön­nen: So habe das Ver­hält­nis von Toten durch Krank­heit zu Gefal­le­nen etwa 1 zu 4 betra­gen, wäh­rend es im Spanisch-Amerikanischen Krieg von 1898 noch bei 14 zu 1 gele­gen habe. Über­dies hät­ten 45 % der Ver­letz­ten auf japa­ni­scher Sei­te ein­satz­fä­hig gemacht wer­den kön­nen, was wie­der­um auf die mili­tär­stra­te­gi­sche Bedeu­tung des Sani­täts­diens­tes, der für die Fort­füh­rung und Ver­län­ge­rung des Krie­ges gesorgt habe, hin­deu­te. Zum Erfolg des Sani­täts­diens­tes hät­ten nicht zuletzt zahl­rei­che medi­zi­ni­sche Vor­sor­ge­ak­ti­vi­tä­ten und Hygie­ne­maß­nah­men bei­getra­gen. Zur Orga­ni­sa­ti­on des Japa­ni­schen Roten Kreu­zes selbst führ­te Käser aus, die­ses habe 1904 1,25 Mio. Mit­glie­der gehabt, womit es der welt­größ­te Lan­des­ver­band des Roten Kreu­zes gewe­sen sei. Es sei streng zen­tra­lis­tisch und hier­ar­chisch orga­ni­siert gewe­sen, mit der staat­li­chen Ver­wal­tung und dem Mili­tär eng ver­netzt, so dass man auch von einem semi-offiziellen Cha­rak­ter des Japa­ni­schen Roten Kreu­zes spre­chen kön­ne. Im Russisch-Japanischen Krieg sei das Rote Kreuz mit ca. 4.000 Hel­fe­rIn­nen im Ein­satz gewe­sen (in Ver­sor­gung und Etap­pe, nicht an Front). Es sei ins­be­son­de­re für den Rück­trans­port zustän­dig gewe­sen, wozu ihm nicht nur zwei eige­ne Laza­rett­schif­fe zur Ver­fü­gung gestan­den hät­ten, son­dern auch 20 vom japa­ni­schen Mili­tär gestell­te Laza­rett­schif­fe, auf denen Rotkreuz-HelferInnen ein­ge­setzt gewe­sen seien.
Abschlie­ßend wies Käser noch ein­mal auf zwei Punk­te hin. Zum einen beton­te er die Gefahr, ein­sei­tig und unkri­tisch auf den huma­ni­tä­ren Aspekt des Roten Kreu­zes ein­zu­ge­hen und die mili­tär­stra­te­gi­sche Dimen­si­on zu ver­nach­läs­si­gen. Zum ande­ren wies er kri­tisch auf die Ten­denz hin, die Vor­ge­schich­te des Roten Kreu­zes allein im Krim­krieg (Stich­wort: Flo­rence Night­in­gale) und der Schlacht von Sol­fe­ri­no 1859 zu sehen. Damit wer­de ins­be­son­de­re der Ein­fluss des preußisch-deutschen Modells auf das Japa­ni­sche Rote Kreuz her­un­ter­ge­spielt. So sei­en etwa die Sta­tu­ten des Japa­ni­schen Roten Kreu­zes von 1887 unter Betei­li­gung und Bera­tung von Alex­an­der von Sie­bold (damals Diplo­mat in japa­ni­schen Diens­ten) ver­fasst wor­den; auch Mili­tär­me­di­zin und Hee­res­sa­ni­täts­we­sen in Japan sei­en nach preußisch-deutschem Mus­ter auf­ge­baut wor­den (Mori Ogai z.B. war in 1880er Jah­ren in Deutsch­land). Japan habe also Mili­tär­we­sen, Medi­zin­we­sen und Mili­tär­me­di­zin an Deutsch­land aus­ge­rich­tet, wes­halb es unver­ständ­lich sei, war­um dies in der Lite­ra­tur nicht betont werde.
Ein Schwer­punkt der Dis­kus­si­on war die Fra­ge der pro­pa­gan­dis­ti­schen Nut­zung des Roten Kreu­zes sowohl nach Innen als auch nach Außen. So konn­te sich Japan im Krieg der Welt­öf­fent­lich­keit als zivi­li­sier­te Nati­on zei­gen; zugleich wur­de die Gen­fer Kon­ven­ti­on auch nach Innen benutzt, um den Krieg zu recht­fer­ti­gen. In Fra­ge gestellt wur­de der behaup­te­te Zusam­men­hang zwi­schen Ent­ste­hung von Wehr­pflicht und Ent­ste­hung eines Sani­täts­we­sens, da zumin­dest in Groß­bri­tan­ni­en und den USA auch ohne Wehr­pflicht Sani­täts­diens­te ent­stan­den sei­en (in den USA aller­dings zur Zeit des Bür­ger­krie­ges, als Wehr­pflicht herrsch­te). Eben­falls wur­de der Wunsch geäu­ßert, mehr zur Bin­nen­or­ga­ni­sa­ti­on des Japa­ni­schen Roten Kreu­zes zu erfah­ren, um die Fra­ge nach dem Grad der staat­li­chen Len­kung bes­ser beur­tei­len zu kön­nen. Hier­zu führ­te Käser aus, dass der Zen­tra­lis­mus zwar dadurch abge­mil­dert war, dass es pro Prä­fek­tur eige­ne Orga­ni­sa­tio­nen gab, die­se aber jeweils den Gou­ver­neu­ren unter­stan­den, hier die Ver­flech­tung mit dem Staat also beson­ders augen­fäl­lig gewe­sen sei.

Rundlauf:
Nishi­no Ken­ji (Bonn) arbei­tet an einer Diss. zu Bud­dhis­mus und Unter­hal­te­rin­nen im Mit­tel­al­ter. Thors­ten Kerp (Bonn): arbei­tet auf eine B.A.-Arbeit zu Stell­schirm von Tawa­ra­ya Sotatsu hin. David Merv­art (Hei­del­berg): über­ar­bei­tet zur Zeit sei­ne an der Todai erstell­te Dis­ser­ta­ti­on für ein eng­lisch­spra­chi­ges Buch; nächs­tes Pro­jekt: Mög­lich­keit alter­na­ti­ver Spra­chen poli­ti­scher Legi­ti­ma­ti­on ohne (euro­päi­sche) Teleo­lo­gie libe­ra­ler Moder­ne. Nina Holz­schnei­der (Bochum) arbei­tet an B.A.-Arbeit zu Schiff­bruch eines deut­schen Schif­fes vor Miya­ko­ji­ma 1873 bzw. zur Erin­ne­rung dar­an um 1900 (Errich­tung eines Gedenk­steins). Det­lev Taran­c­zew­ski (Bonn) berich­tet von einem geplan­ten Pro­jekt zur Rol­le von Was­ser (inkl. SO-Asien). Yama­guchi Teruo­mi (Univ. Kyûs­hû) schreibt das Kapi­tel zur Neu­zeit in einem Buch Ten­nô to shûkyô, gibt eine Serie von 5 Bän­den mit 50 Tage­bü­chern zur moder­nen Geschich­te her­aus und möch­te gern in Zukunft Anre­gun­gen aus dem Work­shop zu Nord-Kyûshû und Ruhr­ge­biet im lan­gen 19. Jahr­hun­dert wei­ter­ent­wi­ckeln. Tino Schölz (Hal­le) erzählt, die Bei­trä­ge zum Panel des Japa­no­lo­gen­tags zur Mobi­li­sie­rung der Bür­ger sei­en als Arbeits­pa­pier in Hal­le erschie­nen. Er weist auch auf zwei Kon­fe­ren­zen im Hal­len­ser Gra­du­ier­ten­kol­leg hin: Ende Sep­tem­ber 2010 wird es einen Work­shop „Bür­ger­ge­sell­schaft als männ­li­che Ver­an­stal­tung?“ geben, im Früh­jahr 2011 eine Tagung zum Ver­gleich kom­mu­na­le Selbst­ver­wal­tung Japan-Deutschland (inkl. der Fra­ge Tradition-Bruch durch die Meiji-Zeit). Aka­shi Tomo­no­ri (Univ. Kyûs­hû): schreibt eine Diss. zu Gefäng­nis­we­sen der Meiji-Zeit (pol. Pro­zess, Rol­le von Reli­gi­on) und hat über­dies Inter­es­se an Gefäng­nis­ar­chi­tek­tur. Hans Mar­tin Krä­mer (Bochum) weist erneut auf die Online-Datenbank „Japa­ni­sche Quel­len in Über­set­zung“ hin, die in die­sem Jahr von der Uni­ver­si­täts­bi­blio­thek Bochum in eine pro­fes­sio­nel­le Datenbank-Lösung über­führt wird. Ste­fan Hüb­ner (Jacobs-Universität Bre­men) bear­bei­tet inner­halb eines Pro­jek­tes „Asia­nis­men im 20. Jah­rund­ert“ ein Teil­pro­jekt zu den Asi­an Games und Far Eas­tern Cham­pi­on­ship Games. Alex­an­der Brink­mann (Bochum): B.A.-Arbeit zu Bio­lo­gie­ge­schich­te in Neu­zeit (z.B. Dar­wi­nis­mus). Micha­el Matt­ner (Bochum) plant eine Semi­nar­ar­beit zu Yama­mo­to Mus­a­shi; danach steht die M.A.-Arbeit an, viel­leicht zur Falk­ne­rei in der Vor­mo­der­ne. David Chwi­la (Bochum) inter­es­siert sich für die Mis­si­ons­ge­schich­te des jap. Bud­dhis­mus am Bei­spiel des Hon­gan­ji Betsuin in Dai­ren; Rol­le der bud­dh. Tem­pel bei Ver­brei­tung des jap. Ultra­na­tio­na­lis­mus in Nord-China. Daria Kupis (Bochum) möch­te eine Semi­nar­ar­beit zur Rol­le von Frau­en in Neu­en Reli­gio­nen zu schrei­ben. Arne Krauß (Bochum) inter­es­siert sich für Farb­holz­schnit­te aus den Krie­gen der Meiji-Zeit und Amateur-Schmalfilme in Japan. Till Knaudt (Bochum) arbei­tet an einer Diss. zu Rote Armee Frak­ti­on. Jan Schmidt (Bochum) arbei­tet an einer Diss. zur Wahr­neh­mung des Ers­ten Welt­kriegs in Japan 1914–1923. Er weist dar­auf hin, dass die Sta­Bi nur einen klei­nen Teil ihrer Japan-Bestände im Online-Katalog nach­ge­wie­sen hat. Regi­ne Mathi­as (Bochum) arbei­tet zu Bild­rol­len im Berg­bau, ver­fasst Lem­ma­ta für die Enzy­klo­pä­die der Neu­zeit; Pro­jekt Arbeit welt­weit, dar­in Teil­pro­jekt Arbeit in der Edo-Zeit (Über­gang zur Lohn­ar­beit). Erich Pau­er (Mar­burg) bear­bei­tet Vor­le­sungs­mit­schrif­ten und Prak­ti­kums­be­rich­te von Stu­den­ten der inge­nieur­wis­sen­schaft­li­chen Hoch­schu­le Kôbu dai­gak­kô (1872–1885).

(Pro­to­koll: Anke Sche­rer und Hans Mar­tin Krämer)

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favicon0516. Tref­fen bei der Abtei­lung für Japa­no­lo­gie und Korea­nis­tik, Uni­ver­si­tät Bonn am 6. und 7. Novem­ber 2010:

Anwe­send waren in Bonn: Alex Albrecht (Bonn), Simon Acker (Hei­del­berg), Aki­ra Baba (Tôkyô), Biru David Bin­der (Hei­del­berg), Mar­cel Bou­ley (Mann­heim), Ulrich Bran­den­burg (Bonn), Tho­mas Bütt­ner (Hei­del­berg), Roc­co Butz (Bremen/Bonn), David Chwi­la (Bochum), Anna­bel Grab (Bonn), Syl­via Gra­fe (Bochum), Nadin Heé (Ber­lin), Sabri­na Heep (Bonn), Mile­na Iciek (Köln), Frank Jacob (Erlan­gen), Kath­rin Jür­gen­ha­ke (Bonn), Frank Käser (Ber­lin), Thors­ten Kerp (Hei­del­berg), Mich­ale Klos­sek (Bonn), Till Phil­ip Kol­ter­mann (Frei­burg), Peter Chris­ti­an Kerz (Bonn), Karin Kies­ling (Bonn), Till Knaudt (Bochum), Hans-Martin Krä­mer (Bochum), Sil­va­na Lotz (Bonn), Kers­tin A. Mei­er (Bonn), Mathi­as Mun­ken­beck (Bonn), Kenji‑T. Nishi­no (Bonn), Ali­na Piwen (Bonn), Juli­an Ple­ne­fisch (Ber­lin), Caro­lin Rei­mers (Bonn), Hein­rich Rein­fried (Zürich), Anke Sche­rer (Köln), Chris­ti­an Schi­man­ski (Bochum), Lars Schla­ditz (Erfurt), Jan Schmidt (Bochum), Dia­na Schnel­le (Bonn), Paul Schop­pe (Bonn), Maik Hen­drik Sprot­te (Halle/Saale), Annika-Mareen Schul­ze (Bonn), Jani­na Schwelm (Bonn), Det­lev Taran­c­zew­ski (Bonn), Micha­el Thorn­ton (Hei­del­berg).

Frank Jacob: Geheim­ge­sell­schaf­ten in Deutsch­land und Japan — Die Thule-Gesellschaft und die Koku­ryû­kai: Den ers­ten Vor­trag des Tref­fens begann Frank Jacob mit der Vor­stel­lung sei­nes Dis­ser­ta­ti­ons­pro­jek­tes, einer Kom­pa­ra­tiv­ana­ly­se zwei­er Geheim­ge­sell­schaf­ten, der radikal-nationalistischen Thule-Gesellschaft, die 1917 aus dem Ger­ma­nen­or­den her­vor­ging und von Rudolf von Sebot­ten­dorf (1875–1945) gelei­tet wur­de, und der expansionistisch-nationalistischen Koku­ryû­kai, die 1901 von Uch­ida Ryôhei (1874–1937) als Nach­fol­ge­or­ga­ni­sa­ti­on der Gen’yô­sha gegrün­det wur­de. Die Ana­ly­se zielt dar­auf ab her­aus­zu­fin­den, war­um sich zur sel­ben Zeit zwei von­ein­an­der unab­hän­gi­ge Geheim­ge­sell­schaf­ten radikalisierten.
Nach Vor­stel­lung der Defi­ni­ti­on „Geheim­ge­sell­schaft“ nach Franz Schwey­ers (Gesell­schaft, deren eigent­li­che Cha­rak­te­ris­ti­ka das sind, was geheim bleibt) gab Frank Jacob einen kur­zen Über­blick zum For­schungs­stand für bei­de Gesell­schaf­ten, ging auf „tra­di­tio­nel­le Geheim­ge­sell­schaf­ten“ ein und stell­te die Ent­ste­hung, ideo­lo­gi­schen Vor­läu­fer bzw. Kon­tak­te, cha­ris­ma­ti­sche Füh­rungs­per­sön­lich­kei­ten, Mit­glie­der­struk­tur, Akti­vi­tä­ten und poli­ti­sches Wir­ken bei­der Gesell­schaf­ten vor, die bei­de kei­ne Mas­sen­ge­sell­schaf­ten waren und ihre eige­ne his­to­ri­sche Rol­le in Selbst­dar­stel­lun­gen über­be­wer­te­ten. Frank Jacob mach­te den impe­ria­lis­ti­schen Rück­schlag bei­der Län­der als Kata­ly­sa­tor der Radi­ka­li­sie­rung für Geheim­ge­sell­schaf­ten in Japan und Deutsch­land fest.
In der Dis­kus­si­on wur­de nach der Rol­le von Ras­sis­mus und Anti­se­mi­tis­mus in bei­den Gesell­schaf­ten gefragt, die der Refe­rent für die Koku­ryû­kai als nicht exis­tie­rend beant­wor­te­te. Hin­ter­fragt wur­de, inwie­weit bei der Koku­ryû­kai der Begriff „Geheim­ge­sell­schaft“ adäquat sei, ob für Japan von einer „Kri­se“ gespro­chen wer­den kön­ne und inwie­weit die bei­den Gesell­schaf­ten mit­ein­an­der ver­gleich­bar sind. Die Thule-Gesellschaft, so Frank Jacob, sei in Reak­ti­on auf Ver­schwö­rungs­theo­rien zur Geheim­or­ga­ni­sa­ti­on gewor­den wäh­rend bei der Koku­ryû­kai die Unzu­frie­den­heit über das poli­ti­sche Sys­tem das aus­schlag­ge­ben­de Moment gewe­sen sei.

Biru David Bin­der: Zum ‚Weg des Man­nes‘ — Bushidô-Diskurs in The Asi­an Review (1920–21): Im zwei­ten Vor­trag des Tref­fens stell­te Biru David Bin­der ein Teil­ka­pi­tel sei­nes lau­fen­den Dis­ser­ta­ti­ons­pro­jek­tes (Arbeits­ti­tel „Natio­na­lism and gen­der — dis­cur­si­ve con­s­truc­tions of mas­cu­li­ni­ty in publi­ca­ti­ons of the Amur Socie­ty, a case stu­dy (1917–1936)“) vor. Gen­der wird im Rah­men der Arbeit wie im Vor­trag als eine basa­le Wis­sens­ka­te­go­rie ver­stan­den, die durch Inter­sek­tio­na­li­tät, Dyna­mik und Rela­tio­na­li­tät cha­rak­te­ri­siert ist. Bei der Idea­li­sie­rung der bushi han­delt es sich gesell­schaft­lich um ein jun­ges Phä­no­men, das sich erst im Zuge der Natio­nen­bil­dung nach der Meiji-Restauration durch­setz­te. Wäh­rend der Edo-Zeit legi­ti­mier­te die­ser Mythos noch die offi­zi­ell herr­schen­de, aber zuneh­mend öko­no­misch wie sozi­al abstei­gen­de ein­zi­ge Klas­se, deren Ange­hö­ri­ge kei­ne pro­duk­ti­ve Arbeit ver­rich­te­ten, nach der offi­zi­el­len Abschaf­fung der Krie­ger­klas­se (1876) soll­te er einen mili­ta­ris­ti­schen Natio­na­lis­mus recht­fer­ti­gen und wur­de in sei­ner „christ­li­chen“ Aus­prä­gung dazu ver­wen­det, Ängs­ten vor der „Gel­ben Gefahr“ ent­ge­gen­zu­wir­ken. Die ana­ly­sier­ten Arti­kel in The Asi­an Review zeich­nen sich durch die ana­chro­nis­ti­sche Ver­stär­kung der krie­ge­ri­schen (bu) Kom­po­nen­te aus, womit sie als Gegen­dis­kurs zu zeit­ge­nös­si­schen Reprä­sen­ta­tio­nen von u.a. „ver­west­lich­ter“ Gentlemen-Maskulinität ver­stan­den wer­den kön­nen, und prä­sen­tie­ren den Bushidô-Mythos als his­to­ri­sches Fak­tum und als all­ge­mei­ne Prak­tik unter bushi, wobei die Aspek­te Gerech­tig­keit und Huma­ni­tät an Bus­hi­dô gebun­den und für die eng­lisch­spra­chi­ge Leser­schaft mit „chi­val­ry“ über­setzt werden.
In der Dis­kus­si­on wur­de auf den sozialistisch-patriotischen Aspekt des meiji-zeitlichen Bushidô-Diskurses hin­ge­wie­sen und nach der Ver­bin­dung zwi­schen japa­ni­schem und aus­län­di­schem Dis­kurs gefragt, die womög­lich in einer „Kri­se der Männ­lich­keit“ zu ver­or­ten sei. Die­ses von Rae­wyn Con­nell gepräg­te Schlag­wort sei eher unge­eig­net, so Bin­der, da durch sei­nen mitt­ler­wei­le infla­tio­nä­ren Gebrauch eine per­ma­nen­te Kri­se sug­ge­riert wür­de. Des Wei­te­ren stand die Fra­ge zur Debat­te, ob ein Unter­schied zwi­schen dem Selbst­bild bestand, das ins Aus­land getra­gen wur­de und dem Bild, das im Inland Japans herrsch­te. Fer­ner wur­de ange­merkt, dass es sich beim Bushidô-Diskurs auch um eine Freundbild-Korrektur gehan­delt habe und nach sei­ner Funk­ti­on im Sin­ne eines Nation-Branding gefragt, da die Innen-Außen-Wechselwirkung mit­ent­schei­dend war.

Lars Schla­ditz: Wal­fang als trans­na­tio­na­le kul­tu­rel­le Pra­xis, Japan 1899–1941: Japa­ni­scher Wal­fang und die Pro­duk­ti­on des ant­ark­ti­schen Mee­res­rau­mes: Im drit­ten Vor­trag des Tref­fens stell­te Lars Schla­ditz einen Teil­aspekt sei­ner lau­fen­den Dis­ser­ta­ti­ons­ar­beit vor, in dem er den japa­ni­schen Wal­fang und sei­ne Pro­duk­ti­on in umwelt­his­to­ri­schem Zusam­men­hang unter­sucht. Sei­nen Fokus legt er dabei auf trans­na­tio­na­le Pro­zes­se und den umwelt­his­to­ri­schen Zusam­men­hang. In Japan gab es Wal­fang regio­nal bereits seit der Edo-Zeit, im Jahr 1899 eta­blier­te sich die nor­we­gi­sche Fang­me­tho­de und in den 1930er Jah­ren wur­den Wal­fang­ope­ra­tio­nen auch über­re­gio­nal in die Ant­ark­tis ver­legt. Japa­ni­sche Wal­fang­flot­ten, deren Har­pu­nie­re zumeist Nor­we­ger und deren lei­ten­de Besat­zung Japa­ner waren, führ­ten Expe­di­tio­nen in den ant­ark­ti­schen Oze­an durch. Gleich­zei­tig bewirk­te der Anspruch auf „Wis­sen­schaft­lich­keit“, dass Wal­fang in engem Zusam­men­hang mit der Pro­duk­ti­on des Mee­res­rau­mes durch Bio­lo­gie, Meteo­ro­lo­gie und Ozea­no­gra­phie stand. Aller­dings tru­gen die­se Expe­di­tio­nen durch den glo­ba­len Dis­kurs über die Ver­knap­pung der Res­sour­ce Wal auch zur Schaf­fung eines inter­na­tio­na­len Span­nungs­fel­des bei. Schla­ditz beton­te, dass Japan von Beginn an ver­sucht habe, sich vom ent­ste­hen­den inter­na­tio­na­len Dis­kurs abzu­kop­peln, bei­spiels­wei­se in der Fra­ge inter­na­tio­na­ler Wal­fang­quo­ten. In einem wei­ter­füh­ren­den Teil des Vor­trags prä­sen­tier­te er Walfang-Bildbände aus Japan. Dar­in wird das Schiff als Prot­ago­nist prä­sen­tiert und der Kon­trast von Schiff und Eis bei per­ma­nent gutem Wet­ter insze­niert, wobei kaum Indi­vi­du­en son­dern viel­mehr die Pro­duk­ti­ons­be­din­gun­gen in den Vor­der­grund gerückt wer­den. Die­se Bild­bän­de dien­ten der Wer­bung für den Wal­fang, in denen u.a. Wal­knapp­heit kon­se­quent aus­ge­blen­det wird.
In der Dis­kus­si­on wur­de nach der Spe­zi­fik der japa­ni­schen Wal­fan­g­art gefragt, die Schla­ditz als nor­we­gisch, zumin­dest von Sei­ten der Tech­no­lo­gie her, beant­wor­te­te. Den­noch habe es einen Deu­tungs­un­ter­schied und eine spe­zi­fisch natio­na­le Kon­struk­ti­on gege­ben, wel­che eine ein­deu­ti­ge Wal­fang­ver­mark­tung beinhal­tet habe. Wal­öl sei ein wirt­schaft­lich wich­ti­ges Pro­dukt gewe­sen und mit dem Wal­fang auf­grund der Moder­ni­sie­rung der Indus­trie begon­nen wor­den. Zu Beginn habe es sich noch um einen kla­ren Tech­no­lo­gie­trans­fer von Außen nach Japan gehan­delt, wobei die Har­pu­nen­ka­no­ne selbst erst im Jahr 1868 ein­ge­führt wor­den sei und deren Trans­fer nach Japan nicht son­der­lich spät erfolg­te. Ange­merkt wur­de, dass sich in den Bild­bän­den auch eine Ent­mensch­li­chung durch die Indus­trie zei­ge bzw. deren Macht und Domi­nanz über die Natur.

Juli­an Ple­ne­fisch: Faschis­mus in Japan als Teil einer glo­ba­len Moder­ne — ein Dis­kus­si­ons­bei­trag zum Stel­len­wert von Trans­fer­pro­zes­sen in der Faschis­mus­for­schung: Juli­an Ple­ne­fisch kon­sta­tier­te zu Beginn sei­nes Vor­tra­ges metho­do­lo­gi­sche Pro­ble­ma­ti­ken in der inter­na­tio­na­len Faschis­mus­for­schung seit 1990. Die Arbei­ten von Roger Grif­fen, Roger Eat­well und Micha­el Mann bean­spru­chen eine uni­ver­sel­le Defi­ni­ti­on von Faschis­mus zu lie­fern. Als eine der weni­gen nicht-europäischen Indus­trie­na­tio­nen des frü­hen 20. Jh. und als Bünd­nis­part­ner Ita­li­ens und Deutsch­lands im Zwei­ten Welt­krieg spielt Japan in der ver­glei­chen­den Faschis­mus­for­schung eine her­aus­ra­gen­de Rol­le. Mit den seit den 1980er Jah­ren ent­wi­ckel­ten For­schungs­an­sät­zen der Kul­tur­trans­fer­for­schung prüf­te Ple­ne­fisch am Bei­spiel Japans, wel­chen Stel­len­wert die gegen­wär­ti­gen Faschis­mus­for­schung trans­kul­tu­rel­len Trans­fers in der Ent­wick­lung faschis­ti­schen Den­kens ein­räumt. Er kam zu dem Schluss, dass sie sich auf kurz­fris­ti­ge Trans­fers (seit den 1920ern) kon­zen­trie­ren. Anhand einer kon­kre­ten Fall­stu­die zu Naka­no Sei­gô (1886–1943), der in der inter­na­tio­na­len Faschis­mus­for­schung oft als Nach­ah­mung Hit­lers oder Mus­so­li­nis inter­pre­tiert wird, argu­men­tier­te Ple­ne­fisch, dass die Phi­lo­so­phie Naka­nos den Ideo­lo­gien euro­päi­scher Faschis­ten in vie­len Punk­ten ähnel­te, die­se Gemein­sam­kei­ten aber nicht das Resul­tat kurz­fris­ti­ger Trans­fers seit 1922 gewe­sen sein. Die­se Gemein­sam­kei­ten sei­en auf gemein­sa­me Wis­sens­tra­di­tio­nen zurück­zu­füh­ren, die im Kon­text einer seit der Mit­te des 19. Jh. anhal­ten­den Inte­gra­ti­on Japans in eine „glo­ba­le Moder­ne“ (Arif Dir­lik) zu ver­ste­hen sein. Die Über­set­zung euro­päi­schen Wis­sens seit den 1850er Jah­ren und die Ein­bin­dung Japans in das euro-amerikanische Macht­sys­tem mache eine Unter­schei­dung in „west­li­ches Wis­sen“ und „tra­di­tio­na­les Wis­sen“ ab dem Ende des 19. Jahr­hun­derts obso­let (Maru­ya­ma Masao). Faschis­ti­sches Den­ken in Japan sei daher als Teil einer glo­ba­len Moder­ne zu ver­ste­hen. Die inter­na­tio­nal ver­glei­chen­de Faschis­mus­for­schung müs­se somit lang­fris­ti­ge Kul­tur­trans­fers als Pro­dukt der Glo­ba­li­sie­rung mehr Beach­tung schenken.
In der Dis­kus­si­on wur­de zum einen begrüßt, dass Faschis­mus als Ideo­lo­gie betrach­tet wird, zum ande­ren auf die beding­te Eig­nung des Begrif­fes „Faschis­mus“ für His­to­ri­ke­rIn­nen hin­ge­wie­sen, da es sich um einen „poli­ti­schen Kampf­be­griff“ han­de­le. Es wur­de die Fra­ge auf­ge­wor­fen, wie das The­ma inner­halb der japanisch-sprachigen For­schung behan­delt und mit wel­cher Arbeits­de­fi­ni­ti­on von „Faschis­mus“ kon­kret gear­bei­tet wird. Letzt­ge­nann­te Fra­ge beant­wor­te­te Ple­ne­fisch mit einer Ori­en­tie­rung an anglo-amerikanischen Defi­ni­tio­nen und begrün­de­te sei­ne Wahl damit, da sie durch ihre Abfas­sung in eng­li­scher Spra­che am stärks­ten rezi­piert würden.

Ulrich Bran­den­burg: Japan und der Islam in der ers­ten Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts: Im letz­ten Bei­trag des Tref­fens stell­te Ulrich Bran­den­burg die Kon­tak­te Japans mit dem Islam in fol­gen­den drei Teil­aspek­ten dar: die Ent­wick­lung der japanisch-osmanischen Bezie­hun­gen, die Ent­wick­lung des Islams in Japan in sei­nen poli­ti­schen Kon­no­ta­ti­on sowie die Ana­ly­se drei­er ägyp­ti­scher Tex­te über Japan, die er im Rah­men sei­ner Magis­ter­ar­beit unter­sucht hat­te. Bis 1924 gab es kei­ne diplo­ma­ti­schen Kon­tak­te zwi­schen Osma­nen und Japa­nern, ledig­lich inof­fi­zi­el­len Aus­tausch wie z.B. die Rei­se eines osma­ni­schen Kriegs­schiffs 1889/90 nach Japan mit dem Ziel eines Freund­schafts­be­suchs. Das Schiff sank auf der Rück­rei­se, ein klei­ner Teil der Besat­zung wur­de von Japa­nern geret­tet, was als Sym­bol für den Beginn gegen­sei­ti­ger Sym­pa­thien dien­te, sich aber nicht real­po­li­tisch aus­drück­te. Ver­stärk­tes Inter­es­se am Islam war auf Mili­tär­krei­se und bestimm­te poli­ti­sche Gesell­schaf­ten wie u.a. die Koku­ryû­kai begrenzt, die sich hier­über erhoff­ten, beson­de­re Sym­pa­thie­punk­te zu bekom­men, Kon­ver­ti­ten gibt es bis heu­te nur rela­tiv weni­ge. Das stei­gen­de Inter­es­se am Islam zeig­te sich in den 20er und 30er Jah­ren in einem Boom der Islam­for­schung in Japan. Pan-Asianismus und Pan-Islamismus über­schnit­ten sich inso­weit, dass bei­den die oppo­si­tio­nel­le Hal­tung gegen­über dem Wes­ten gemein­sam war und eine Ver­bin­dung über Chi­na her­ge­stellt wur­de, das mit einer auf bis zu 70 Mil­lio­nen Men­schen geschätz­ten mus­li­mi­schen Com­mu­ni­ty als Teil der isla­mi­schen Welt gese­hen wer­den konn­te. In den unter­such­ten ägyp­ti­schen Quel­len wird Japan ent­we­der zum Ide­al für die eige­ne Moder­ni­sie­rung erho­ben oder als Objekt für die isla­mi­sche Mis­si­on gese­hen. Das Ein­for­dern von Mis­si­ons­be­mü­hun­gen wird kaum theo­lo­gisch begrün­det, son­dern Japans Isla­mi­sie­rung soll ent­we­der die Bin­dung zwi­schen den Län­dern des Ori­ents stär­ken oder der japa­ni­schen Moder­ne durch eine moder­ne Reli­gi­on ergänzen.
In der Dis­kus­si­on wur­de ange­merkt, dass der Islam aus euro­päi­scher Sicht oft aus­ge­blen­det wer­de, und gefragt, ob es in Japan eine theo­lo­gi­sche Dis­kus­si­on mit dem Ziel der Japa­ni­sie­rung des Islam gege­ben habe, was der Refe­rent ver­nein­te. Die von dem ägyp­ti­schen Japan­rei­sen­den geschil­der­te isla­mi­sche Mis­si­ons­me­tho­de in Japan sei christ­lich inspi­riert gewe­sen (gro­ße Vor­trags­ver­an­stal­tun­gen). Es wur­de auf das Phä­no­men des „Anti­se­mi­tis­mus ohne Juden“ und „Isla­mis­mus ohne Mus­li­me“ hin­ge­wie­sen und nach einer inner­ja­pa­ni­schen Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Poten­ti­al des Islam­ein­flus­ses in Japan gefragt. Laut Bran­den­burg kam es zu kei­nen kul­tu­rel­len Zusam­men­stö­ßen, japa­ni­sches Leben sei kaum durch den Islam beein­flusst wor­den, denn es habe nur sehr weni­ge Mus­li­me in Japan gege­ben (nicht mehr als weni­ge Tausend).

Vor­stel­lung aktu­el­ler Pro­jek­te und Arbei­ten: Nishi­no Ken­ji (Bonn) arbei­tet an einer Dis­ser­ta­ti­on zu Bud­dhis­mus und Unter­hal­te­rin­nen im Mit­tel­al­ter, wel­che die Kon­struk­tio­nen von Sexua­li­tät unter­sucht; Hans-Martin Krä­mer (Bochum) gibt zwei Publi­ka­tio­nen bekannt (Bochu­mer Jahr­buch Bd. 33, 2009 sowie in kom­pa­ra­tiv 4/2010); Micha­el Thorn­ton (Hei­del­berg), BA Yale Uni­ver­si­ty, inter­es­siert sich für die The­ma­tik Aus­län­der in Japan; Tho­mas Bütt­ner (Hei­del­berg) arbei­tet an sei­ner Dis­ser­ta­ti­on zu Eli­ten im Zwei­ten Welt­krieg in Japan; Till Phil­ip Kol­ter­mann (Frei­burg) berich­tet von sei­ner Ver­öf­fent­li­chung zum Unter­gang des Drit­ten Rei­ches und arbei­tet an sei­ner Dis­ser­ta­ti­on zu Mau­re­ta­ni­en im 17./18. Jahr­hun­dert. Sei­ne For­schungs­in­ter­es­sen lie­gen in der Rezep­ti­on der „Gel­ben Gefahr“ im Drit­ten Reich, der Gen’yô­sha und deutsch­spra­chi­gen Publi­ka­tio­nen zu die­ser Gesell­schaft (u.a. von Kima­se), eine Koope­ra­ti­on mit Prof. Kubo­ta (Rikkyû-daigaku) ist in Pla­nung; Biru David Bin­der (Hei­del­berg) arbei­tet an einer Dis­ser­ta­ti­on zu Natio­na­lis­mus und Geschlecht am Fall­bei­spiel der Amur-Gesellschaft 1917–1936; Ulrich Bran­den­burg (Bonn) plant, Tei­le sei­nes Vor­trags zu Japan und Islam am Anfang des 20. Jahr­hun­derts für sei­ne Magis­ter­ar­beit aus­zu­wer­ten; Juli­an Ple­ne­fisch (Ber­lin) arbei­tet an einer Dis­ser­ta­ti­on unter dem Arbeits­ti­tel „Glo­ba­les Bewusst­sein im vor­mo­der­nen Japan (1800–1850)“ und kün­digt einen Sammelband-Aufsatz zu Ras­sis­mus an sowie einen Arti­kel zu Area His­to­ries in Zusam­men­ar­beit mit dem JFK-Institut; Nadin Heé (Ber­lin) berich­tet vom Abschluss ihrer Pro­mo­ti­on zu Kolo­nia­lis­mus in Tai­wan und Ver­schrän­kung von Gewalt; David Chwi­la (Bochum): For­schungs­in­ter­es­se an der Rol­le der Geng­akus­ho in der Heian-Zeit; Maik Hen­drik Sprot­te (Hal­le) weist wie­der auf die Biblio­gra­fie zur his­to­ri­schen Japan­for­schung hin, die Mel­dun­gen deutsch­spra­chi­ger Publi­ka­tio­nen ent­ge­gen­nimmt sowie auf das Ange­bot einer Link­sei­te, in der unter Anga­be von Name und Titel bzw. Link zu einer Pro­jekt­skiz­ze im Inter­net via E‑Mail an maik@sprotte.name (Bit­te in die Adress­zei­le kopie­ren) lau­fen­de For­schungs­pro­jek­te gesam­melt wer­den kön­nen; Simon Acker (Hei­del­berg) arbei­tet an einer Magis­ter­ar­beit zu Pan-Asianismus inner­halb der japa­ni­schen Armee; Frank Jacob (Erlan­gen) arbei­tet an einer Dis­ser­ta­ti­on zu Thule-Gesellschaft und Koku­ryû­kai und an einem Auf­satz zur Takarazuka-Revue; Ali­na Piwen (Bonn) plant eine B.A.-Arbeit zum Ver­gleich von Jugend- und Ver­bands­ar­beit in Deutsch­land und Japan; Till Knaudt (Bochum) arbei­tet an einer Dis­ser­ta­ti­on zu Rote Armee Frak­ti­on; Jan Schmidt (Bochum) arbei­tet an einer Dis­ser­ta­ti­on zur Wahr­neh­mung des Ers­ten Welt­kriegs von Eli­ten in Japan 1914–1923. Er berich­tet von sei­nem Auf­ent­halt am Koku­rit­su haku­but­sukan, das For­sche­rIn­nen Kurz­auf­ent­hal­te ermög­licht, und kün­digt für Mit­te nächs­ten Jah­res einen Work­shop zu Kolo­nia­lis­mus an; Det­lev Taran­c­zew­ski (Bonn) berich­tet von einem geplan­ten Pro­jekt zur Rol­le von Was­ser unter dem Titel „Flui­de Res­sour­cen in Ost­asi­en“. Unter dem Kris­tal­li­sa­ti­ons­punkt „Was­ser“ soll unter­sucht wer­den, wie Brauch- und Agrar­was­ser die Gesell­schaf­ten auch in öko­no­mi­scher und ethnologisch-anthropologischer Hin­sicht prägten.
In der all­ge­mei­nen Dis­kus­si­on kam man über­ein, daß ab dem nächs­ten Tref­fen wie­der eine Input-Diskussion statt­fin­den und Wis­sen­schafts­or­ga­ni­sa­to­ri­sches dis­ku­tiert wer­den soll.

(Pro­to­koll: Biru David Bin­der, in Zusam­men­ar­beit mit Thors­ten Kerp und Ken­ji Nishino)

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favicon0317. Tref­fen am Insti­tut für Japa­no­lo­gie und beim Exzel­lenz­clus­ter „Asia and Euro­pe in a Glo­bal Con­text“, Uni­ver­si­tät Hei­del­berg am 7. und 8. Mai 2011:

Anwe­send waren: Anna And­ree­va (Hei­del­berg), Judith Áro­kay (Hei­del­berg), Biru David Bin­der (Hei­del­berg), Lil­li Busch­min (Bochum), David Chwi­la (Bochum), Kat­rin Deutsch (Bochum), Ali­ne Dre­her (Bochum), Harald Fuess (Hei­del­berg), Syl­via Gra­fe (Bochum), Lisa Ham­me­ke (Bochum), Nina Holz­schnei­der (Bochum), Thors­ten Kerp (Hei­del­berg), Bernd Kirch­ner (Hei­del­berg), Till Knaudt (Bochum), Robert Kramm-Masaoka (Tübin­gen), Lau­ra Kuhl (Hei­del­berg), Micha­el Matt­ner (Bochum), David Merv­art (Hei­del­berg), Ken­ji Nishi­no (Bonn), Hein­rich Rein­fried (St. Gal­len), Andrea Reve­lant (Vene­dig), Johan­nes Rip­pin (Hei­del­berg), Vanes­sa Schaar (Bochum), Anke Sche­rer (Köln), Chris­ti­an Schi­man­ski (Bochum), Dani­el Schley (Tôkyô/München), Ben­ja­min Schmal­of­ski (Bochum), Jan Schmidt (Bochum), Tino Schölz (Hal­le), Miy­u­ki Simon (Hei­del­berg), Maik Hen­drik Sprot­te (Hal­le), Patri­cia Stamm­sen (Bochum), Till Weber (Hei­del­berg), Mat­thi­as Zach­mann (Hei­del­berg / München).

Ken­ji Nishi­no, Uni­ver­si­tät Bonn: „Der asobi­me ‑Dis­kurs — Unter­hal­te­rin­nen im Spie­gel der bud­dhis­ti­schen Rezep­ti­on und dem Ryô­jin hishô“;
Bei den im Vor­trag unter­such­ten Quel­len han­delt es sich um früh­mit­tel­al­ter­li­che Lie­der, die von Kai­ser Go-Shirakawa gesam­melt und als Ryô­jin his­hô edi­tiert wur­den. Das Inter­es­se des Kai­sers an die­sen Lie­dern geht nach einer Legen­de dar­auf zurück, dass er sie von Oto­mae, einer alten Meis­te­rin der Unter­hal­tung, gelernt hat. Die Lie­der selbst wur­den von den im japa­ni­schen Mit­tel­al­ter asobi­me genann­ten Unter­hal­te­rin­nen gesun­gen, um damit Kun­den anzu­lo­cken und zu unter­hal­ten. Die asobi­me fuh­ren in der Regel in Drei­er­grup­pen auf Boo­ten umher und boten die Kunst der Unter­hal­tung sowie ggf. sexu­el­le Diens­te an. Über sie wird berich­tet, dass sie bei einer Gott­heit der Sexua­li­tät (Hya­ku­dai­fu) unter ande­rem um vie­le Kun­den bete­ten. Durch ihre im wei­tes­ten Sin­ne der Unter­hal­tung zuge­rech­ne­ten Diens­te leb­ten die asobi­me außer­halb der Sphä­re des Nor­ma­len und wer­den einer­seits der Sphä­re des kega­re (Ver­un­rei­ni­gung) zuge­schrie­ben, aber ande­rer­seits wird ihre Tätig­keit auch mit der Sphä­re des Heiligen/Sakralen (hare) asso­zi­iert, da ihnen wie tan­zen­den Scha­ma­nin­nen die Fähig­keit zuge­schrie­ben wur­de, durch ihre Dienst­leis­tun­gen eine spi­ri­tu­el­le Kathar­sis beim Kun­den aus­lö­sen zu kön­nen. In den Lie­dern im Ryô­jin his­hô, die den asobi­me zuge­schrie­ben wer­den, fin­den sich vie­le alle­go­ri­sche Anspie­lun­gen auf Sexua­li­tät, die Lie­der zur Unter­hal­tung der Kun­den sind zum Teil ero­tisch und frivol.

In sei­nem Vor­trag wid­me­te sich Nishi­no spe­zi­fisch den­je­ni­gen Lie­der im Ryô­jin his­hô, die einen Bezug zum Bud­dhis­mus haben, sowie dem Umgang bud­dhis­ti­scher Mön­che mit dem Phä­no­men der asobi­me. Eini­ge Lie­der the­ma­ti­sie­ren die Tat­sa­che, dass Frau­en auf­grund der ihrem Geschlecht eige­nen „Hin­der­nis­se“ im Zusam­men­hang mit Mens­trua­ti­on und weib­li­cher Sexua­li­tät der Zugang zu bestimm­ten For­men der pri­vi­le­gier­ten Wie­der­ge­burt im Bud­dhis­mus ver­sperrt sei. Hier wer­de dem­nach das Mann-Sein als Stan­dard oder Norm für das Errei­chen der Bud­dha­schaft betrach­tet. Ande­rer­seits fin­den sich im Ryô­jin his­hô auch Lie­der, die Hin­wei­se auf Mög­lich­kei­ten der Erlan­gung der Bud­dha­schaft durch Frau­en ent­hal­ten, zum Bei­spiel die Geschich­te der Toch­ter des Dra­chen­kö­nigs, die sich in einer Legen­de erst in einen Mann und dann in einen Bud­dha ver­wan­deln kann. Hier erin­nern die Lie­der der asobi­me dar­an, dass die­se Unter­hal­te­rin­nen sich — anders als die gewöhn­li­chen Men­schen im Mit­tel­al­ter — über Pro­vinz­gren­zen hin­weg bewe­gen konn­ten und über mehr Frei­hei­ten als gesell­schaft­lich üblich ver­füg­ten. So lege die Dar­stel­lung der asobi­me als „Gegen­bei­spie­le“ die gesell­schaft­lich ortho­do­xen Vor­stel­lun­gen über die Stel­lung von Frau­en offen.

Im Kon­takt mit bud­dhis­ti­schen Mön­chen fun­gier­ten sie oft als Medi­um, an dem sich die reli­giö­se Erkennt­nis der Mön­che, die mit ihnen ver­kehr­ten, ent­zün­de­te. Unter Wis­sen­schaft­lern ist strit­tig, ob sich durch die­se Mitt­ler­rol­le der Aspekt der den Frau­en im Bud­dhis­mus zuge­schrie­be­nen Unrein­heit auf­ge­ho­ben hat. Die Geschich­ten, die vom Zusam­men­tref­fen von bud­dhis­ti­schen Mön­chen und asobi­me über­lie­fert sind, haben in der Regel einen didak­ti­schen Wert: das sozia­le Gefäl­le zwi­schen Mön­chen und asobi­me wird in den Vor­der­grund gestellt, die Sexua­li­tät der asobi­me wird durch bud­dhis­ti­sche Vor­stel­lun­gen domes­ti­ziert. In einer geschlech­ter­wis­sen­schaft­li­chen Inter­pre­ta­ti­on wer­de die Begeg­nung zwi­schen asobi­me und Mönch als sexu­el­le Erfah­rung erklärt, die Dar­stel­lung in den Lie­dern als eine Sub­li­mie­rung der sexu­el­len Kon­tak­te der Mön­che zu den Unter­hal­te­rin­nen gesehen.

In der Dis­kus­si­on wur­de zuerst die Autoren­schaft des Ryô­jin his­hô the­ma­ti­siert. Nishi­no argu­men­tier­te, dass die dar­in ent­hal­te­nen Lie­der aller Wahr­schein­lich­keit von wirk­li­chen asobi­me stam­men wür­den und des­halb als authen­tisch zu bewer­ten sei­en. Die Samm­lung die­ser Lie­der durch Go-Shirakawa habe sei­ner künst­le­ri­schen Pro­fi­lie­rung gedient. Wei­ter­hin dis­ku­tiert wur­den die ver­schie­de­nen Hal­tun­gen des Bud­dhis­mus zur gesell­schaft­li­chen Stel­lung der Frau. Vie­le asobi­me sei­en von der bud­dhis­ti­schen Leh­re stark beein­flusst wor­den und ihre Lie­der hät­ten wider­ge­spie­gelt, dass sie dadurch an die vom Bud­dhis­mus vor­ge­ge­be­nen Geschlech­ter­rol­len gebun­den waren. In die­sem Zusam­men­hang kam die Fra­ge auf, wie legi­tim die Anwen­dung heu­ti­ger Geschlech­ter­per­spek­ti­ven auf ver­gan­ge­ne Epo­chen ist. Die Anwen­dung heu­ti­ger Ter­mi­no­lo­gie bringt immer das Pro­blem der ana­chro­nis­ti­schen Ver­wen­dung von Begriff­lich­kei­ten mit sich, wes­halb das Hin­ter­fra­gen von Begriff­lich­kei­ten bei deren Anwen­dung auf ver­gan­ge­nen Epo­chen zur grund­sätz­li­chen Vor­ge­hens­wei­se von His­to­ri­kern gehört. Auch eine sorg­fäl­ti­ge Quel­len­kri­tik wur­de gefor­dert, da ansons­ten die Gefahr bestün­de, lite­ra­ri­sche Tex­te unhin­ter­fragt als Aus­kunft über kul­tur­ge­schicht­li­che Phä­no­me­ne zu benutzen.

Anna And­ree­va, Exzel­lenz­clus­ter „Asia and Euro­pe in a Glo­bal Con­text“ der Uni­ver­si­tät Hei­del­berg: „Tra­cing the Kar­mic Bonds: Rea­ding the engi in medieval Japan“;
Anna And­ree­va unter­such­te, wie im japa­ni­schen Mit­tel­al­ter ein­hei­mi­sche Gott­hei­ten in den bud­dhis­ti­schen Pan­the­on auf­ge­nom­men wur­den. Hier­zu gibt es die lite­ra­ri­sche Gat­tung der engi, also bud­dhis­ti­scher Tex­te und Kunst­wer­ke, die die Her­kunft bestimm­ter Kult­stät­ten und loka­ler Gott­hei­ten erklä­ren. Die Art und Wei­se, wie hier bestehen­de Mythen in neue Zusam­men­hän­ge gebracht wur­den, ent­hält Infor­ma­tio­nen über die Welt­sicht der mit­tel­al­ter­li­chen Men­schen, die sie pro­du­ziert haben.

Im Mit­tel­punkt der Unter­su­chung von Anna And­ree­va stand der Berg Miwa in der Pro­vinz Yama­to als eine Kult­stät­te mit einer lan­gen Tra­di­ti­on und Ver­bin­dung zur kai­ser­li­chen Fami­lie. Der Berg wird bereits im Koji­ki und Nihon sho­ki erwähnt. Ihm wird eine Schlan­gen­gott­heit zuge­schrie­ben, über die es in den frü­hen Mythen heißt, dass sie eine jun­ge Frau aus der Umge­bung des Miwa-Schreins geschwän­gert hat. Das engi, das die Inte­gra­ti­on des Bergs Miwa in bud­dhis­ti­sche Vor­stel­lun­gen vor­nimmt, wur­de im 13th Jahr­hun­dert vom Mönch Eizon (1201–1290) in sei­nem Tage­buch verfasst.

Aber nicht nur der Miwa-Schrein wur­de in Ver­bin­dung mit der bud­dhis­ti­schen Leh­re gebracht, der bud­dhis­ti­sche Kle­rus inter­es­sier­te sich auch sehr für den Ise-Schrein. So wur­den u.a. bud­dhis­ti­sche Pil­ger­fahr­ten zum Ise-Schrein durch­ge­führt, die aller­dings nur bis zum Kazeno­mi­ya vor­ge­hen durf­ten, da auf dem Haupt­ge­län­de des Ise-Schreins bud­dhis­ti­sche Mönchs­kut­ten offi­zi­ell ver­bo­ten waren. Nichts­des­to­trotz wur­de der Ise-Schrein in die Iko­no­gra­phie des eso­te­ri­schen Bud­dhis­mus auf­ge­nom­men. In die­ser Iko­no­gra­phie wur­den geo­gra­phi­sche Gebie­te wie zum Bei­spiel Ber­ge als natür­li­che Mani­fes­ta­tio­nen bud­dhis­ti­scher Kon­zep­te in Form von Man­da­las dar­ge­stellt. So nahm der eso­te­ri­sche Bud­dhis­mus auch japa­ni­sche kami wie zum Bei­spiel Ama­ter­asu Ômi­ka­mi in sei­nen Pan­the­on auf. Ama­ter­asu wur­de nicht nur als Mani­fes­ta­ti­on des Mahâ­vai­ro­ca­na dar­ge­stellt, sie wur­de auch mit Aizen Myôô asso­zi­iert, also mit der bud­dhis­ti­schen Gott­heit, die der Legen­de nach die gött­li­chen Win­de aus­ge­löst hat, die zwei­ma­lig die mon­go­li­schen Inva­si­ons­ver­su­che Ende des 13. Jahr­hun­derts schei­tern lie­ßen. Engi inte­grier­ten vor­han­de­ne ein­hei­mi­sche Gott­hei­ten in den eso­te­ri­schen Bud­dhis­mus des japa­ni­schen Mit­tel­al­ters und tru­gen so zu einer Popu­la­ri­sie­rung bud­dhis­ti­scher Vor­stel­lun­gen in der Bevöl­ke­rung bei. Zwar führ­te dies manch­mal zu einem Span­nungs­ver­hält­nis der bud­dhis­ti­schen und ein­hei­mi­schen Shintô-Vorstellungen, aber die Zusam­men­füh­rung von Gott­heits­vor­stel­lun­gen wur­de von bei­den Sei­ten betrie­ben und dien­te den jewei­li­gen Kult­stät­ten als Auf­wer­tung ihrer reli­giö­sen Bedeu­tung. Die Mythen des Koji­ki und Nihon sho­ki wur­den so neu inter­pre­tiert und dien­ten den Kult­stät­ten als Quel­le für die Legi­ti­mi­tät ihrer Herr­schaft über das umlie­gen­de Land.

Andrea Reve­lant, (Ca’Foscari-Universität Vene­dig): „Who Bears the Bur­den? Tax Reform in Inter­war Japan“;
Die Zwi­schen­kriegs­zeit in Japan war eine Pha­se, in der einer­seits durch Indus­tria­li­sie­rung und Urba­ni­sie­rung die öko­no­mi­sche und sozia­le Moder­ni­sie­rung des Lan­des fort­schritt und das Par­la­ment im poli­ti­schen Wil­lens­bil­dungs­pro­zess im Ver­gleich zum 19. Jahr­hun­dert an Bedeu­tung gewann. Auf der ande­ren Sei­te war die Zwi­schen­kriegs­zeit gekenn­zeich­net von gesell­schaft­li­cher Insta­bi­li­tät und sozia­len Kon­flik­ten. Die­se Kon­flik­te, die in Form von Demons­tra­tio­nen und Päch­ter­streiks aus­ge­drückt wur­den, beun­ru­hig­ten die poli­ti­sche Eli­te, weil die Pro­tes­tie­ren­den sich häu­fig sozia­lis­ti­scher Argu­men­ta­tio­nen bedien­ten. Da ein The­ma der Pro­tes­te die Steu­er­be­las­tung der armen Bevöl­ke­rung war, stell­te Rele­vant in sei­nem Vor­trag die Fra­ge, wie dra­ma­tisch die­se Belas­tung im Ver­gleich zu ande­ren Län­dern und Epo­chen wirk­lich war. Dabei kam er zum Ergeb­nis, dass die durch­schnitt­li­che Steu­er­last von 15,4% für einen japa­ni­schen Haus­halt im Jah­re 1930 ver­gleichs­wei­se nied­rig war. Was aber zur Beun­ru­hi­gung der Steu­er­zah­ler wesent­lich bei­trug, war die Tat­sa­che, dass es kei­ne sozia­len Siche­rungs­sys­te­me gab, die Armuts­ri­si­ken abfan­gen konn­ten. Zudem spie­gelt der sta­tis­ti­sche Durch­schnitts­wert für die Steu­er­last nur unzu­rei­chend wider, dass die sozia­le Ungleich­heit mit einem GINI Koef­fi­zi­en­ten von mehr als 0,5 sehr hoch und die Belas­tung durch Steu­ern sehr ungleich ver­teilt war.

Als Grund für die­se gro­ße Ungleich­heit führ­te Reve­lant die Steu­er­po­li­tik der Meiji-Zeit an. Ziel des Steu­er­sys­tems in der Meiji-Zeit war es gewe­sen, aus­rei­chen­de Mit­tel für die Zen­tral­re­gie­rung und die Lan­des­ver­tei­di­gung zu gene­rie­ren. Um dies zu errei­chen han­del­te der Staat als Wirt­schafts­ak­teur, der sich am Auf­bau des groß­in­dus­tri­el­len Sek­tors betei­lig­te. Dies ging aller­dings zulas­ten der klei­nen und mit­tel­stän­di­schen Betrie­be und geschah ohne die Berück­sich­ti­gung mög­li­cher sozia­ler Pro­ble­me durch die Indus­tria­li­sie­rung. Durch das Steu­er­sys­tem wur­de Kapi­tal aus dem länd­li­chen, schlecht ver­die­nen­den Japan in Rich­tung Groß­in­dus­trie gelei­tet. Das Steu­er­sys­tem belas­te­te Haus­hal­te mit gerin­gem Ein­kom­men ver­gleichs­wei­se stär­ker (zum Bei­spiel durch die Besteue­rung bestimm­ter Ver­brauchs­gü­ter wie Tabak, Sake, etc.), die unab­hän­gig vom Ein­kom­men bezahlt wer­den muss­ten. Zudem wur­den Land­be­sitz und Unter­neh­men ver­gleichs­wei­se unfair besteuert.

In der Zwi­schen­kriegs­zeit wur­de des­halb die Reform­be­dürf­tig­keit des Steu­er­sys­tems the­ma­ti­siert, u.a. um das davon aus­ge­hen­de gesell­schaft­li­che Kon­flikt­po­ten­ti­al zu ver­rin­gern. Die Teil­neh­mer an die­ser Dis­kus­si­on waren neben den Regie­rungs­ver­tre­tern vor allem poli­ti­sche Par­tei­en, die bei­den Kam­mern des Par­la­ments, die Büro­kra­tie, unter­neh­me­ri­sche Inter­es­sen­ver­bän­de, der Reichs­land­wirt­schafts­ver­band und bis zu einem gewis­sen Grad auch das Mili­tär. Kei­ner die­ser Akteu­re konn­te jedoch die Dis­kus­si­on ent­schei­dend bestim­men, wes­halb die Betei­lig­ten Kom­pro­mis­se fin­den muss­ten. Die Sei­yû­kai ver­folg­te dabei eine Poli­tik, die auf Ent­wick­lungs­för­de­rung zur Ver­rin­ge­rung der Unge­rech­tig­kei­ten setz­te und somit vor­teil­haft für die länd­li­che Bevöl­ke­rung und die Inter­es­sen der pro­du­zie­ren­den Indus­trie war. Die Min­sei­tô hin­ge­gen beton­te in ihrer Poli­tik Ratio­na­li­sie­rung und Sta­bi­li­tät und bedien­te so mehr die Inter­es­sen von Ban­ken und Han­dels­häu­sern. In den 1920er Jah­ren schei­ter­ten bei­de poli­ti­schen Ansät­ze. Im Fal­le der Sei­yû­kai war der Wider­stand gegen die von der Par­tei vor­ge­brach­te neue direk­te Besteue­rung von Land und Ein­kom­men durch die Zen­tra­le zu groß. Die Steu­er­re­form der Min­sei­tô war teil­wei­se erfolg­reich, aber auch hier war die poli­ti­sche Unter­stüt­zung letzt­end­lich schwach. Der Fak­tor, der dann in den 1930er Jah­ren regel­mä­ßig alle Anstren­gun­gen zur Kon­so­li­die­rung der Staats­fi­nan­zen zunich­te mach­te, war der bestän­di­ge Anstieg der Rüs­tungs­aus­ga­ben. Erst eine all­ge­mei­ne Steu­er­re­form im Jah­re 1940 erreich­te eine Ver­bes­se­rung des Steu­er­sys­tems, die den Kom­mu­nen höhe­re Steu­er­ein­nah­men brachte.

In sei­ner Zusam­men­fas­sung kam Reve­lant zu dem Schluss, dass die­se letzt­ge­nann­ten Steu­er­re­for­men die pro­gres­sivs­ten Refor­men der ers­ten Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts waren. Die davor vor­ge­nom­me­nen Refor­men hat­ten den Wil­len gezeigt das Sys­tem zu refor­mie­ren und dabei sozia­le Aspek­te zu berück­sich­ti­gen, waren aber an den zu ver­schie­de­nen Inter­es­sen der Akteu­re, die sich nicht auf­ein­an­der zu beweg­ten, gescheitert.

In der anschlie­ßen­den Dis­kus­si­on ging es dann um die Fra­ge der Ein­nah­men aus den Kolo­nien und deren Ein­fluss auf das Steu­er­sys­tem. Die­se hat­te Reve­lant nicht in die Unter­su­chung ein­be­zo­gen, weil die Steu­er­ge­setz­ge­bung in Japan nicht eins zu eins auf die Kolo­nien ange­wen­det wur­den. Die Kolo­nien wur­den als rück­stän­dig betrach­tet und die Ein­nah­men aus den Kolo­nien sind nicht in den Quel­len zu Steu­er­ein­nah­men in Japan selbst aufgeführt.

Eine wei­te­re Fra­ge war die nach der Rol­le des Mili­tärs in der Steu­er­dis­kus­si­on. Zwar war der Ein­fluss des Mili­tärs im Kabi­nett in den 1920er Jah­ren bereits sehr stark, aber im Pro­zess der Steu­er­ge­setz­ge­bung taucht das Mili­tär den­noch kaum auf. Das Mili­tär nahm ledig­lich mas­si­ven Ein­fluss auf die Aus­ga­ben­sei­te, wo der Anteil der Mili­tär­aus­ga­ben am BIP bis in die 1930er Jah­re von 30% auf 50% anstieg.

Die im Titel gestell­te Fra­ge danach, wer in der Zwi­schen­kriegs­zeit in Japan die Steu­er­last getra­gen hat, beant­wor­te­te Reve­lant damit, dass er aus­führ­te, dass in der Meiji-Zeit die Haupt­last auf der länd­li­chen Bevöl­ke­rung gele­gen hat­te, die­se aber dann in der Taishô-Zeit auf die städ­ti­schen Kon­su­men­ten überging.

Den zwei­ten Tag des Tref­fens, der im Karl Jas­pers Cen­ter, der Hei­mat des Clus­ters of Excel­lence „Asia and Euro­pe in a Glo­bal Con­text“, statt­fand, lei­te­te eine aus­führ­li­che Vor­stel­lung von lau­fen­den Pro­jek­ten und Arbei­ten ein. Unter ande­rem erging von Maik Hen­drik Sprot­te, der einen erfolg­rei­chen DFG-Einzelforschungsantrag für sein lau­fen­des Habi­li­ta­ti­ons­pro­jekt zu ver­bu­chen hat­te, und Jan Schmidt ein­mal mehr die Auf­for­de­rung zur Mel­dung von deutsch­spra­chi­gen Ver­öf­fent­li­chun­gen (Mono­gra­phien, Sam­mel­bän­de, Auf­sät­ze und Rezen­sio­nen) mit Bezug zur Geschich­te Japans für die stän­dig erwei­ter­te „Biblio­gra­phie zur his­to­ri­schen Japan­for­schung“ ein. Die Biblio­gra­phie umfasst der­zeit knappt unter 900 Ein­trä­ge und ist unter http://www.historische-japanforschung.de zu errei­chen, von wo aus Mel­dun­gen über ein For­mu­lar erfol­gen können.
Maik Hen­drik Sprot­te wies zudem auf die Mög­lich­keit hin, eige­ne Skiz­zen von Pro­jek­ten mit Bezug zur Geschich­te Japans in der Link­lis­te der Initia­ti­ve auf­zu­füh­ren (bei Inter­es­se bit­te per E‑mail den Pro­jekt­ti­tel, gege­be­nen­falls mit funk­tio­nie­ren­dem Link, an maik@sprotte.name — Bit­te in die Adress­zei­le der Mail kopie­ren. — senden).
Des wei­te­ren stell­te Robert Kramm-Masaoka (Tübin­gen) kurz sein Pro­mo­ti­ons­pro­jekt „Kolo­ni­sier­te Kör­per und impe­ria­le Gren­zen“ zur Pro­sti­tu­ti­on in Japan und Korea wäh­rend der US-Besatzungszeit als Bezie­hungs­ge­schich­te unter glo­bal­ge­schicht­li­chen Vor­zei­chen sowie Dani­el Schley (Tôkyô/München) sei­nes zur Herr­schafts­sa­kra­li­tät im japa­ni­schen Mit­tel­al­ter vor. Jan Schmidt (Bochum) berich­te­te kurz auf der Grund­la­ge eines zwei­mo­na­ti­gen eige­nen For­schungs­auf­ent­halts von den Mög­lich­kei­ten zu Kurz­auf­ent­hal­ten als Gast­for­scher am Natio­nal­mu­se­um für Geschich­te und Völ­ker­kun­de (Koku­rit­su reki­shi minz­o­ku haku­but­sukan) in Saku­ra, Chiba.

Im Anschluss dar­an hielt Tho­mas Bütt­ner (Hei­del­berg) ein Input­re­fe­rat zum The­ma „Eine sozia­le Funk­ti­on der his­to­ri­schen Japan­for­schung: Stra­te­gien der Ver­mitt­lung Japans in der Öffent­lich­keit“. Hin­ter­grund war die Bericht­erstat­tung in den deut­schen Medi­en im Zusam­men­hang mit dem Erd­be­bens und der dadurch aus­ge­lös­ten Flut­wel­le vom 11. März 2011 und der nach­fol­gen­den Atom­ka­ta­stro­phe um das AKW Fuku­shi­ma I. Bütt­ner pos­tu­lier­te eine sozia­le Ver­ant­wor­tung der deut­schen Japan­for­schung, wobei er offen ließ, wie weit die Ver­pflich­tung zu einer Zusam­men­ar­beit wegen der Finan­zie­rung der Japan­for­schung aus öffent­li­chen Mit­teln rei­che, und ein­schränk­te, dass die Japa­no­lo­gie eben über kei­ne fes­te Anbin­dung an die Medi­en ver­fü­ge und dass somit viel­fach ein Pro­blem der Ver­mitt­lung herr­sche. Medi­en­ver­tre­ter hät­ten zudem häu­fig gera­de in den ers­ten Tagen nach dem 11. März, aber auch gene­rell, ein gerin­ges Inter­es­se an einer dif­fe­ren­zier­ten Betrach­tungs­wei­se gezeigt. Bütt­ner ver­wies aber auch auf das gene­rell bestehen­de Span­nungs­ver­hält­nis zwi­schen wis­sen­schaft­li­cher Arbeits­wei­se und einer zu einem gewis­sen Grad in den Medi­en not­wen­di­gen Pau­scha­li­sie­rung. Hier­an schloss er die Fra­ge an, ob „die“ Japa­no­lo­gie, wenn es auch gar kei­nen Anspruch auf eines sol­che als homo­ge­ner Zusam­men­hang geben kön­ne, das Ziel haben wol­le, ein mög­lichst kor­rek­tes Bild von den Ver­hält­nis­sen in Japan zu ver­mit­teln oder eher gra­du­ell die Annä­he­rung an ein sol­ches und den Abbau von Ste­reo­ty­pen mit­zu­ge­stal­ten. Bütt­ner pro­ble­ma­ti­sier­te auch die Tat­sa­che, dass die Bereit­schaft zur Mit­wir­kung an der Medi­en­be­richt­erstat­tung nach wie vor bis­wei­len als das Betrei­ben von „Popu­lär­wis­sen­schaft“ kri­ti­siert wür­de und eine gefürch­te­te Bla­ma­ge bei Fach­kol­le­gen, auch ange­sichts der Gefahr von unlau­te­ren Ver­kür­zun­gen durch die Medi­en­ver­tre­ter, gera­de jun­ge Wis­sen­schaft­le­rIn­nen von ihr abhalte.

An das Input­re­fe­rat schloss sich eine leben­di­ge Debat­te an, die mit einem Aus­tausch der unter­schied­li­chen Erfah­run­gen der Teil­neh­me­rIn­nen in den Wochen nach dem 11. März begann. Unter ande­rem wur­de das Por­tal „Blick­punkt Japan“ (http://www.blickpunkt-japan.de) im Wiki-Format mit sei­ner mög­li­chen Schar­nier­funk­ti­on her­vor­ge­ho­ben, das bei jour­na­lis­ti­schen Berufs­ver­bän­den bekannt gemacht wer­den müs­se. Auch wur­de davor gewarnt, dass zu häu­fig von den Medi­en und den Japa­no­lo­gen gespro­chen wer­de. Die Vor­stel­lung, durch­aus vor­han­de­ne Miss­stän­de eines his­to­risch gewach­se­nen jour­na­lis­ti­schen Sys­tems — wenn auch nur im Hin­blick auf die Japan­be­richt­erstat­tung — durch die Stim­men eini­ger weni­ger Japan­for­sche­rIn­nen zu grö­ße­ren Ver­än­de­run­gen zwin­gen zu kön­nen, wur­de eben­so kri­ti­siert und dazu auf­ge­ru­fen, schlicht­weg bei der Wahl des Medi­ums, mit dem zusam­men­ge­ar­bei­tet wür­de, vor­her die Qua­li­tät von des­sen Bericht­erstat­tung zu eva­lu­ie­ren. Es wur­de auch ange­merkt, dass die Japa­no­lo­gie als Insti­tu­ti­on von den exo­ti­schen Ste­reo­ty­pen lan­ge Zeit auch — nolens-volens — pro­fi­tiert habe. „Japan“ habe sich aller­dings auch in der „Kul­tur­in­dus­trie“ als Wert bzw. als eine Art Pro­dukt ver­selb­stän­digt, was vie­len Teil­neh­me­rIn­nen beim Ver­such der Zusam­men­ar­beit mit Medi­en­ver­tre­tern immer wie­der schmerz­haft bewusst gemacht wor­den ist. Ande­re Teil­neh­me­rIn­nen war­fen ein, dass man­chen Fach­ver­tre­te­rIn­nen etwa in ihren Äuße­run­gen zur Atom­kraft, die bis hin zu tech­ni­schen Details des hava­rier­ten AKWs gereicht haben, ange­sichts fach­li­chen Unwis­sens im Bereich der Natur­wis­sen­schaf­ten etwas mehr Zurück­hal­tung anzu­ra­ten wäre, wäh­rend ande­rer­seits gefor­dert wur­de, dass die Japan­for­schung — aber auch die Geistes- und Sozi­al­wis­sen­schaf­ten gene­rell — sich durch­aus häu­fi­ger popu­lär­wis­sen­schaft­lich betä­ti­gen soll­te. Flan­kie­rend wur­de ange­merkt, dass häu­fig das Pro­blem unter­schätzt wür­de, die jewei­li­gen Medi­en­kon­su­men­ten bei ihrem Wis­sens­stand „abzu­ho­len“ zu müs­sen und dass es auch eine Auf­ga­be sei, zwar eine wis­sen­schaft­li­che Dar­stel­lungs­wei­se zu ver­tei­di­gen, aber auf eine jar­gon­ar­ti­ge Fach­spra­che in den Medi­en nach Mög­lich­keit zu ver­zich­ten. Dem Ein­wand, die Japan­for­schung sol­le sich an benach­bar­ten Fächern wie der Sino­lo­gie oder etwa an den Islam­wis­sen­schaf­ten im Hin­blick auf deren Umgang mit den Medi­en ori­en­tie­ren, wur­de ent­ge­gen gehal­ten, dass es bei­spiels­wei­se trotz des hohen Niveaus der For­schung zur heu­ti­gen isla­mi­schen Welt immer noch viel­fach am Ende Peter Scholl-Latour sei, der die Deu­tungs­ho­heit inne habe.

(Pro­to­koll: Anke Sche­rer und Jan Schmidt)

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favicon0218. Tref­fen an der Colo­gne Busi­ness School am 5. und 6. Novem­ber 2011:

Bei der Tagung an der Colo­gne Busi­ness School waren anwe­send Aka­shi Tomo­no­ri (Bochum, Fuku­o­ka), Anja Batram (Bochum), David Chwi­la (Bochum), Kat­rin Deutsch (Bochum), Kat­ja Ferstl (Mün­chen), Maj Hart­mann (Bochum), Anna-Lena Heid­rich (Bochum), Nina Holz­schnei­der (Bochum), Ste­fan Hüb­ner (Bre­men), Thors­ten Kerp (Hei­del­berg), Till Knaudt (Hei­del­berg), Arne Kraß (Bochum), Daria Kupis (Bochum), Micha­el Matt­ner (Bochum), Taku­ma Mel­ber (Mainz), Martha-Christine Men­zel (Hei­del­berg), Nara Kat­su­ji (Bochum, Kyô­to), Kenji-Thomas Nishi­no (Bonn), Johan­na Pop­pek (Bochum), Anke Sche­rer (Köln), Christian-Ariel Schi­man­ski (Bochum), Dani­el Schley (Mün­chen), Jan Schmidt (Bochum), Mer­lin Schmidt (Bochum), Patryc­ja Soj­ka (Köln), Maik Hen­drik Sprot­te (Halle-Wittenberg), Taka­ha­shi Jun­ko (Bochum) und Teraza­wa Yû (Bochum, Kyôto).

Die Tagung begann mit einer Vor­stel­lungs­run­de, wobei ins­be­son­de­re drei Wis­sen­schaft­le­rIn­nen aus Japan, Nara Kat­su­ji (Rit­sumei­kan Uni­ver­si­tät Kyô­to), Aka­shi Tomo­no­ri (Kyûs­hû Uni­ver­si­tät Fuku­o­ka) sowie Teraza­wa Yû (Rit­sumei­kan Uni­ver­si­tät Kyô­to), die zur­zeit ihre For­schung an der Ruhr-Universität Bochum betrei­ben, begrüßt wurden.

Micha­el Matt­ner (Bochum) hielt den ers­ten Vor­trag mit dem Titel „Der Fal­ke als Herr­schafts­sym­bol — Jagd­re­vie­re, Fal­ken­han­del, Gesetz­ge­bung von der Sen­go­ku bis zur Edo-Zeit“, wor­in er einen Teil­be­reich sei­ner Magis­ter­ar­beit vor­stell­te. Die Haupt­fra­ge war, inwie­fern die Fal­ken­jagd zu einem Selbst­ver­ständ­nis der Herr­scher­eli­ten bei­trug und als Herr­schafts­sym­bol ver­wen­det wur­de. Um die Sym­bol­träch­tig­keit des Fal­ken und der Fal­ken­jagd adäquat fas­sen zu kön­nen, ver­wen­de­te Matt­ner die Theo­rie zum Sozi­al­ka­pi­tal nach Pierre Bour­dieu, wobei er einen beson­de­ren Fokus auf den Begriff des Kul­tu­rel­len Kapi­tals leg­te. Eben­so aber ging er auf den Begriff der Macht ein und folg­te den Arbei­ten Max Webers und Kur­o­da Toshi­os, der Macht als gegen­sei­ti­ges Wech­sel­spiel betrachtete.
Ein Schwer­punkt des Vor­trags bezog sich auf die Gesetz­ge­bung des Unter­su­chungs­zeit­raums, in dem die Falk­ne­rei bereits strik­ten Vor­schrif­ten, Wei­sun­gen und Rege­lun­gen unter­wor­fen war. So wur­de die Fal­ken­jagd bei­zei­ten nur bestimm­ten Grup­pen oder Indi­vi­du­en gestat­tet oder auch gänz­lich ver­bo­ten. Vor allem dem Hof­adel war dar­an gele­gen, die Falk­ne­rei als ein Pri­vi­leg für sich selbst zu sichern, was aber ein frucht­lo­ses Unter­fan­gen war, da die an Macht gewin­nen­de Krie­ge­r­aris­to­kra­tie ihnen die­ses strei­tig mach­te. Ein wei­te­rer Fokus lag auf der Geschenk­kul­tur der Zeit, in der der Aus­tausch von Fal­ken eben­falls stren­gen Regle­ments unter­wor­fen war. Im Stän­de­sys­tem der Edo-Zeit war es nur dem obers­ten Stand gestat­tet, sich der Falk­ne­rei zu wid­men. Doch auch inner­halb die­ser klei­nen Grup­pe waren die Regeln zur Falk­ne­rei deut­lich gekenn­zeich­net, was bei­spiels­wei­se die Anzahl der Vögel pro Per­son ein­schränk­te. Die Falk­ne­rei wur­de u.a. von Kon­oe Saki­hi­sa (1536–1612) zu einer regel­rech­ten Kunst­form erho­ben. Der Hof­ade­li­ge wur­de als ein Ken­ner der Fal­ken­jagd bekannt und pro­fi­lier­te sich als Fal­ken­kun­di­ger, ‑trai­ner und auch Autor von Wer­ken über die Falk­ne­rei. Ein kur­zer Exkurs stell­te den Fal­ken in der japa­ni­schen Kunst vor, an der das Pres­ti­ge­ob­jekt „Fal­ke“ noch­mals ver­deut­licht wur­de. So waren Fal­ke wie auch Pra­xis der Falk­ne­rei ein Mit­tel, den beson­de­ren Stand der bushi zu ver­deut­li­chen und er wur­de zu einem Sym­bol von Macht und Herrschaft.
Wäh­rend der Dis­kus­si­on wur­de nach der Domes­ti­zie­rungs­pra­xis sowie der Ein­fuhr gefragt. Die Vögel wur­den dem­nach bereits im Jung­vo­gel­al­ter her­an­ge­zo­gen und abge­rich­tet. Die pri­mä­ren Import­ka­nä­le wäh­rend der Edo-Zeit waren die lega­len aus­län­di­schen Händ­ler­sta­tio­nen. Zur Fal­ken­jagd als Natur­wis­sen­schaft und der Fal­ken­jagd als Ver­gnü­gung konn­te ers­te­res aus­ge­schlos­sen wer­den. Wer­ke über den Umgang mit dem Fal­ken waren zahl­reich vor­han­den, doch dar­un­ter befand sich wohl kei­ne bio­lo­gi­sche Abhand­lung. Wei­te­re Teil­neh­mer sahen im Fal­ken als Dar­stel­lungs­ob­jekt in der Kunst erheb­li­ches Poten­ti­al für Reprä­sen­ta­ti­ons­fä­hig­keit von Macht und Herrschaft.

Im dar­auf fol­gen­den Vor­trag „Die frü­hen Asi­an Games und ihre Vor­gän­ger (1913–1974): Sport, Natio­na­lis­mus, Asia­nis­mus und ‚Moder­ni­sie­rung‘ “ ging Ste­fan Hüb­ner (Bre­men) auf die Wech­sel­be­zie­hung zwi­schen Sport, Poli­tik und natio­na­len Inter­es­sen ein. Ein Fokus lag auf dem Zusam­men­hang von Sport, natio­na­ler Iden­ti­tät, und wie letz­te­re sich im Span­nungs­feld zwi­schen inter-asiatischer Diplo­ma­tie und Kon­kur­renz zum „Wes­ten“ ver­such­te zu eta­blie­ren. In den seit 1951 alle vier Jah­re statt­fin­den­den Asi­an Games wur­den Sport­funk­tio­nä­re zu Poli­ti­kern, die die trans­na­tio­na­le Reprä­sen­ta­ti­on des Natio­nen­bil­des mit­ge­stal­te­ten. Ziel war es meist, Unab­hän­gig­keit und Selbst­stän­dig­keit zu demons­trie­ren. Dar­über hin­aus gab es jedoch wei­te­re Moti­va­tio­nen. Zum einen soll­te die Maxi­me des Fair Play und der Völ­ker­ver­stän­di­gung, ein Kern­ge­dan­ke der Olym­pi­schen Spie­le, pro­pa­giert wer­den. Zum ande­ren wur­de die Orga­ni­sa­ti­on der Asi­an Games als ein Mit­tel zur „Moder­ni­sie­rung“ und Ent­wick­lung gese­hen, durch wel­che die nicht immer span­nungs­freie Annä­he­rung an sowie die Aner­ken­nung durch den „Wes­ten“ voll­zo­gen wer­den soll­te. Die Ursprün­ge „west­lich“ gepräg­ter inter­na­tio­na­ler Sport­er­eig­nis­se in Asi­en gehen auf den Ame­ri­ka­ner Elwood S. Brown zurück, der im Rah­men einer ame­ri­ka­ni­schen „Zivi­li­sie­rungs­mis­si­on“ unter dem YMCA-Stichwort „Mus­cu­lar Chris­tia­ni­ty“ demo­kra­ti­sche, kapi­ta­lis­ti­sche und reli­giö­se Wer­te ver­brei­ten woll­te. Hier­aus ent­wi­ckel­ten sich die Far Eas­tern Cham­pi­on­ship Games.
Nach dem Zwei­ten Welt­krieg kam auf der Asi­an Rela­ti­ons Con­fe­rence (1947) die Idee der Asi­an Games auf, die zum ers­ten Mal 1951 in Delhi abge­hal­ten wur­den. Die Rol­le Japans in den Asi­an Games wur­de hier, auf­grund Japans Rol­le als Kriegs­ver­ur­sa­cher, zu einem Streit­punkt. So war es letzt­end­lich u.a. das Ein­schrei­ten Mac­Ar­thurs, das Japan die Teil­nah­me ermög­lich­te. Mit der zwei­ten Aus­tra­gung in Mani­la wur­de die Aus­söh­nung zwi­schen Japan und den Phil­ip­pi­nen vor­an­ge­trie­ben, indem sich Japan als reu­mü­ti­ge Nati­on dar­stell­te. Bereits die drit­ten Asi­an Games konn­ten in Tôkyô statt­fin­den. Um Span­nun­gen zu mini­mie­ren, wur­de dem Ten­nô nicht die Rol­le des Patrons der Spie­le zuge­spro­chen, son­dern dem Kron­prin­zen. Wei­ter­hin erfolg­te ein Reinter­pre­ta­ti­on von zuvor für japa­ni­sche Aggres­si­on und Krieg ste­hen­den japa­ni­schen Sym­bo­len durch deren Nut­zung im Rah­men der inter­na­tio­na­le Ver­stän­di­gung und Frie­den reprä­sen­tie­ren­den Spiele.
Hüb­ner kam zu dem Schluss, dass über Sport­ver­an­stal­tun­gen inner­asia­ti­sche Span­nun­gen aus­ge­lebt und arti­ku­liert wur­den, wie zum Bei­spiel die pro­ble­ma­ti­sche Rol­le Japans nach Kriegs­en­de im ost- und süd­ost­asia­ti­schen Raum oder auch der Vietnam-Krieg. Die Idee eines Pan-Asiens wur­de stets als Anker ver­wen­det, eine Ein­heit zu schaf­fen. Es blieb hier aber ledig­lich bei einer pan-asiatischen Rhe­to­rik, die die grund­le­gen­den Posi­tio­nen nicht erschüt­tern konn­te. Ein wei­te­rer Zweck war, die auch nach der Deko­lo­nia­li­sa­ti­on wei­ter­hin bestehen­de Macht­asym­me­trie zwi­schen „Wes­ten“ und Asi­en visu­ell zu reduzieren.
In der Dis­kus­si­on wur­de unter ande­rem der euro-amerikanische Ein­fluss auf die Asi­an Games und die Far Eas­tern Cham­pi­on­ship Games näher beleuch­tet. Zudem wur­de das Kon­flikt­po­ten­ti­al der teil­neh­men­den Län­der the­ma­ti­siert. Die Span­nungs­la­ge bezog sich nicht nur auf die Eman­zi­pa­ti­on vom „Wes­ten“, des­sen Defi­ni­ti­on „moder­nen“ Sports aber über­nom­men wur­de, son­dern auch auf die Ver­tei­di­gung und Fes­ti­gung natio­na­ler Iden­ti­tä­ten. Eine wei­te­re Fra­ge ging auf die media­le Über­tra­gung der Spie­le ein, die bereits via Wochen­schau­en, Radio- und nach dem Zwei­ten Welt­krieg auch via Fern­seh­über­tra­gun­gen die Men­schen erreichten.

Der letz­te Pro­gramm­punkt des Tages trug den Titel „Geschich­te Japans zwi­schen Nor­mal­be­trieb, Inter­na­tio­na­li­sie­rungs­druck und Exzel­lenz — Dis­kus­si­on mit drei jun­gen japa­ni­schen Japan­his­to­ri­ke­rIn­nen über den Sta­tus quo der his­to­ri­schen For­schung in Japan und in Deutsch­land“ und schloss vor allem die japa­ni­schen Gäs­te mit ein.
Die Dis­kus­si­on behan­del­te zwei Haupt­fra­gen. Zum einen die nach dem Inter­na­tio­na­li­sie­rungs­druck in Japan, der aber inner­halb der japa­ni­schen Geschichts­for­schung kei­ne son­der­li­che Rol­le zu spie­len scheint. Dies ändert sich, sobald es um Stu­di­en inter­na­tio­na­len Ver­gleichs geht, oder aber wenn eta­blier­te, west­li­che Arbei­ten über­setzt wer­den und damit eine höhe­re Rezep­ti­on in Japan erhal­ten. Die zwei­te Fra­ge schloss an die ers­te an und dreh­te sich um den Sinn (oder Unsinn) deut­scher japa­no­lo­gi­scher For­schung und deren Rezep­ti­on in Japan. Zwi­schen Publi­ka­ti­ons­spra­che und Rezi­pi­en­ten wur­de ein star­ker Zusam­men­hang fest­ge­stellt, wobei Publi­ka­tio­nen auf Japa­nisch dem japa­ni­schen Stan­dard genü­gen müs­sen, um ernst genom­men zu wer­den. For­schung von Aus­län­dern zu Japan muss nicht vorn­her­ein abge­lehnt wer­den, doch die Qua­li­tät der Quel­len­ar­beit muss wert­voll genug sein, um einen soli­den Betrag zum inter­na­tio­na­len Aus­tausch zu gewährleisten.

Der Fol­ge­tag begann mit einem Vor­trag von Kat­ja Ferstl (Mün­chen) mit dem Titel „His­to­ri­sche Etap­pen der Ver­wen­dungs­zu­sam­men­hän­ge pri­va­ter Foto­gra­fie in Japan“, wobei es sich um einen Aspekt ihrer Dis­ser­ta­ti­ons­ar­beit han­del­te. Ferstl beschrieb, wie sich Gebrauchs­wei­sen pri­va­ter Foto­gra­fie in Japan his­to­risch ent­wi­ckelt haben. Sie leis­tet damit einen Bei­trag zum Schlie­ßen einer For­schungs­lü­cke in Bezug auf Fami­li­en­fo­to­gra­fie und Knipser-Kultur. Der his­to­ri­sche Über­blick illus­trier­te den engen Zusam­men­hang zwi­schen Tech­nik, Erin­ne­rungs­kul­tur und Kommerzialisierung.
Nach­dem die Foto­gra­fie in den 1830er Jah­ren zeit­gleich in Frank­reich und Eng­land ent­wi­ckelt wur­de, erreich­te sie Japan bereits vor dem Zusam­men­bruch des Shog­u­nats. Die ers­ten Foto­gra­fen, die in Japan Stu­di­os eröff­ne­ten, waren Aus­län­der, die bald schon von ihren japa­ni­schen Kol­le­gen ver­drängt wur­den. Bereits in die­sem Zeit­ab­schnitt fällt die Eta­blie­rung des Wor­tes shash­in. Mit stei­gen­der Akzep­tanz der Foto­gra­fie wäh­rend der zwei­ten Hälf­te des 19. Jahr­hun­derts wur­de sie zum Instru­ment von Inten­tio­nen einer brei­ten Mas­se. Hohe preis­li­che Aus­ga­ben waren vor allem Erin­ne­rungs­fo­to­gra­fien an Sol­da­ten wert, die kurz davor stan­den, in die Schlacht zu zie­hen, oder auch Fotos älte­rer Men­schen, die ihren Hin­ter­blie­be­nen in Erin­ne­rung blei­ben woll­ten Mit Ent­wick­lung güns­ti­ge­rer und schnel­le­rer Ver­fah­ren konn­ten Kos­ten und Auf­wand redu­ziert wer­den. Zu einer die­ser Neue­run­gen gehör­te das Tro­cken­plat­ten­ver­fah­ren, das sich in Japan ab den 1880er Jah­ren verbreitete.
Mit Beginn des 20. Jahr­hun­derts erreich­te die Amateur-Fotografie die japa­ni­sche Mit­tel­schicht; Rat­ge­ber wur­den geduckt und Fotos wur­den zum ers­ten Mal in Zei­tun­gen ver­öf­fent­licht. Der Zwei­te Welt­krieg ver­hin­der­te die wei­te­re Aus­brei­tung, pri­va­te Foto­gra­fie wur­de aber wei­ter ausgeübt.
Nach Kriegs­en­de wur­de Foto­gra­fie von den Besat­zungs­mäch­ten als „fried­li­che“ Indus­trie gewer­tet und konn­te wie­der Teil des All­tags wer­den. Der zwei­te Foto­boom wur­de im Land ver­zeich­net, das sich ab den 1950er Jah­ren ein Fai­ble für Familien- und Kin­der­fo­to­gra­fie ent­wi­ckel­te. Kame­ras wur­den für den Export, aber auch die stei­gen­de Bin­nen­nach­fra­ge pro­du­ziert. Mit dem stei­gen­den Kon­sum von Fotografie-Equipment aber auch Fotos selbst ist die Tren­nung zwi­schen pri­va­ter und kom­mer­zi­el­ler Foto­gra­fie zuneh­mend ver­schwom­men. So kann man mitt­ler­wei­le Foto­al­ben von Berufs­fo­to­gra­fen, deren Fotos inti­me Fami­li­en­sze­nen oder Kin­der­por­traits zei­gen, auf dem frei­en Markt erstehen.
Die Fra­ge nach der Unter­schei­dung zwi­schen pri­va­ter und kom­mer­zi­el­ler Foto­gra­fie wur­de auch in der Dis­kus­si­on the­ma­ti­siert. Die Trenn­li­nie ist nicht ein­deu­tig fest­zu­stel­len, da es schwie­rig ist, einen Defi­ni­ti­ons­an­satz fest­zu­set­zen. Einer­seits könn­te die Inten­ti­on wäh­rend des Schie­ßens zu einem Anhalts­punkt gemacht wer­den, doch ande­rer­seits könn­te auch die rei­ne Ver­wen­dung die Defi­ni­ti­on kom­mer­zi­el­ler und pri­va­ter Foto­gra­fie bestim­men. Inten­ti­on und Ver­wen­dung müs­sen nicht kon­gru­ent sein.

Zur Pro­jekt­run­de, zu der alle Teil­neh­mer am Sonn­tag die Gele­gen­heit beka­men, sich selbst und ihre lau­fen­den Pro­jek­te vor­zu­stel­len: Martha-Christine Men­zel (Hei­del­berg) unter­sucht die Hokkaid6ocirc;-Besiedlung im Spie­gel zeit­ge­nös­si­scher japa­ni­scher Lite­ra­tur. Ste­fan Hüb­ner (Bre­men) arbei­tet an sei­ner Dis­ser­ta­ti­on zu den frü­hen Asi­an Games und wird vor­aus­sicht­lich im Mai nächs­ten Jah­res einen Arti­kel zum Bild der Natio­nal­so­zia­lis­ten in japa­ni­schen Zeit­schrif­ten der Vor­kriegs­zeit ver­öf­fent­li­chen. Taku­ma Mel­ber (Mainz) hat ein Dis­ser­ta­ti­ons­pro­jekt zur Besat­zung in Süd­ost­asi­en durch Japan und unter­sucht die Kol­la­bo­ra­teu­re und Wider­ständ­ler. David Chwi­la (Bochum) arbei­tet zu einem The­ma inner­halb der Kolo­ni­al­wis­sen­schaf­ten, bei dem es um Phil­ipp Franz von Sie­bolds ‚Flo­ra Japo­nica‘ und die Bedeu­tung der moder­nen bota­ni­schen Taxo­no­mie des Carl von Lin­né für die Ent­wick­lung der Pflan­zen­kun­de im spä­te­do­zeit­li­chen Japan geht. Christan Schi­man­ski (Bochum) hat zur­zeit eine Arbeit, in wel­cher er sich der Bau­ern wäh­rend der Sengoku-Zeit wid­met. Arne Kraß (Bochum) been­det dem­nächst sei­ne kunst­ge­schicht­li­che Bache­lor­ar­beit zu nishiki‑e im Russisch-Japanischen Krieg in unter­schied­li­chen Dar­stel­lun­gen. Aka­shi Tomo­no­ri (Fukuoka/Bochum) hat ein Dis­ser­ta­ti­ons­vor­ha­ben, bei dem er die Meiji-zeitlichen Mis­sio­nie­rungs­be­stre­bun­gen der Jôdô-shin-Sekte in Gefäng­nis­sen unter­sucht, sowie deren Finan­zie­rung und inter­na­tio­na­le Ein­bin­dung. Nara Kat­su­ji (Kyôto/Bochum) beschäf­tigt sich mit der baku­matsu-Zeit und strebt hier die Unter­su­chung der deut­schen Per­spek­ti­ve auf die Gescheh­nis­se an. Einen spe­zi­el­len Fokus legt er auf das euro­päi­sche Ver­trags­we­sen mit Sicht auf den West­fä­li­schen Frie­den. Patri­cia Soj­ka (Köln) arbei­tet zu dem The­ma „Inter­kul­tu­rel­le Schwie­rig­kei­ten und Anfor­de­run­gen: Deutschland-Japan“. Dani­el Schley (Mün­chen) bewegt sich im Bereich der Medi­ävis­tik zur sakra­len Königschaft im japa­ni­schen König­reich. Kaja Ferstl (Mün­chen) hat kürz­lich ihre Dis­ser­ta­ti­on zu Foto­gra­fie in Japan ein­ge­reicht und berei­tet sich nun auf ihre Dis­pu­ta­tio vor. Maik Hen­drik Sprot­te (Halle-Wittenberg) kün­dig­te die Ver­öf­fent­li­chung eines Arbeits­pa­piers von Mita­ni Hiro­shi an. Der vol­le Titel lau­tet: Hiro­shi Mita­ni (2011): Die For­mie­rung von Öffent­lich­keit in Japan. Eine Bilanz in ver­glei­chen­der Per­spek­ti­ve. Hal­le: Mar­tin Luther Uni­ver­si­tät Halle-Wittenberg (= For­men­wan­del der Bür­ger­ge­sell­schaft — Arbeits­pa­pie­re des Inter­na­tio­na­len Gra­du­ier­ten­kol­legs Halle-Tôkyô, Nr. 10). Es kann über die Adres­se http://www.igk-buergergesellschaft.uni-halle.de/publikationen/arbeitspapiere/ ein­ge­se­hen wer­den. Dar­über hin­aus kön­nen stets neue Titel für die „Biblio­gra­phie zur his­to­ri­schen Japan­for­schung“ unter http://www.historische-japanforschung.de direkt über die Sei­te, die von Maik Hen­drik Sprot­te und Jan Schmidt gepflegt wird, gemel­det wer­den. Unter http://www.japanische-geschichte.de ste­hen außer­dem die Pro­to­kol­le aller bis­he­ri­ger Tagun­gen der Initia­ti­ve zur Ein­sicht­nah­me zur Ver­fü­gung. Sprot­te bot an, dort auch auf Pro­jekt­skiz­zen im Netz in der Link­lis­te auf die­ser Sei­te zu ver­wei­sen. Nach dem Prin­zip „first-come, first-served“ reich­te dazu eine Mail mit dem Pro­jekt­ti­tel, den Namen der betei­lig­ten Wis­sen­schaft­ler und einem funk­tio­nie­ren­den Link an: maik@sprotte.name. In der genann­ten Link­lis­te fin­det sich neben der Biblio­gra­phie auch bereits ein Ver­weis zur Bochu­mer Daten­bank von Hans-Martin Krä­mer mit Quel­len­über­set­zun­gen unter http://dbs-win.rub.de/japanquellen/de/home.php. Teraza­wa Yû (Kyôto/Bochum) möch­te in Deutsch­land an ihrer Mas­ter­ar­beit zu Pro­sti­tu­ti­on in der Gegen­wart im deutsch-japanischen Ver­gleich arbei­ten. Kenji‑T. Nishi­no (Bonn) hat ein Dis­ser­ta­ti­ons­vor­ha­ben zu Unter­hal­tung, Sexua­li­tät und Bud­dhis­mus im japa­ni­schen Mit­tel­al­ter und arbei­tet außer­dem an einem Arti­kel zur Geschlech­ter­po­li­tik in der Zei­chen­trick­se­rie „Ava­tar: The Last Air­ben­der“. Jan Schmidt (Bochum) wird dem­nächst sei­ne Dis­ser­ta­ti­on zur Rezep­ti­on des 1. Welt­kriegs in Japan ein­rei­chen. Anke Sche­rer (Köln) beschäf­tigt sich zur­zeit mit dem The­ma „Cor­po­ra­te Social Respon­si­bi­li­ty — Busi­ness Ethics“ mit dem Fokus auf Ostasien.

Den Schluss­vor­trag durf­te Martha-Christine Men­zel (Hei­del­berg) prä­sen­tie­ren. Mit dem Titel „Die Besied­lung Hok­kai­dôs im Spie­gel der Lite­ra­tur“ kon­zen­trier­te sich Men­zel nicht nur auf die Lite­ra­tur, die die Besied­lung beschrieb, son­dern leg­te einen Schwer­punkt auf die Metho­do­lo­gie ihrer For­schung. Unter dem vor­ge­stell­ten Schlag­wort „Lite­ra­tur­geo­gra­phie“, bei wel­chem die Hand­lungs­or­te zum Haupt­au­gen­merk wer­den, sind nicht nur rea­le Schau­plät­ze zu ver­ste­hen, son­dern auch pro­ji­zier­te Orte und damit ver­bun­de­ne Gra­de der Fik­tio­na­li­sie­rung. Die Annah­me, die Wahl der Hand­lungs­or­te im Text durch den/die AutorIn sei klar inten­tio­nal, wird hier­mit zum metho­di­schen Anker. Unter der Leit­fra­ge, wie die Schau­plät­ze Hok­kai­dôs in den Tex­ten aus­se­hen und fik­tio­na­li­siert wer­den, hat Men­zel topo­gra­phi­sche Mar­ker iden­ti­fi­ziert und ent­spre­chen­de Kar­ten zu den Tex­ten ange­fer­tigt. Der Ort Hok­kai­dô dien­te ihr als Modell­re­gi­on auf­grund diver­ser Vor­tei­le: Es han­delt sich hier­bei um eine abge­schlos­se­ne Regi­on mit vie­len ver­schie­de­nen Land­schafts­ty­pen und um einen gut ein­grenz­ba­ren Unter­su­chungs­zeit­raum durch die spä­te Besied­lungs­zeit, wodurch eine natür­li­che Ein­schrän­kung des Text­s­amples gege­ben ist.
In ihren exem­pla­ri­schen Text­ana­ly­sen zeig­te Men­zel die Vor­tei­le einer lite­ra­tur­geo­gra­phi­schen Ana­ly­se und band hier­bei den frei­en Online­dienst Goog­le Maps mit ein. Im ers­ten Text Kuni­ki­da Dop­pos „Sora­chi­ga­wa no kishi­be“ aus dem Jahr 1904 wird die auto­fik­tio­na­le Geschich­te eines Man­nes erzählt, der nach Hok­kai­dô aus­wan­dern und sich zu die­sem Zweck zunächst ein­mal ein Stück Land zutei­len las­sen möch­te. Der Text berich­tet von den Gescheh­nis­sen wäh­rend sei­ner Rei­se zu den Sied­lungs­stät­ten im Inland. Men­zel unter­such­te die Dar­stel­lung auf ihre Authen­ti­zi­tät und Fik­tio­na­li­sie­rungs­gra­de hin, um eine adäqua­te Inter­pre­ta­ti­on zuzu­las­sen. Im zwei­ten Text von Arishi­ma Takeo, „Kain no mat­su­ei“ aus dem Jahr 1917, wird die Geschich­te eines rohen Bau­ern in Hok­kai­dô erzählt, der wegen sei­ner ani­ma­li­schen Art an den mensch­li­chen Sozi­al­ge­fü­gen schei­tert. Der Autor selbst stu­dier­te Agrar­wis­sen­schaft am Sap­po­ro Agri­cul­tu­ral Col­lege und leb­te in Hok­kai­dô. Eini­ge der in der Geschich­te vor­kom­men­den Schau­plät­ze, die einen kla­ren Ver­weis auf sei­ne eige­ne Lebens­ge­schich­te ver­mu­ten las­sen, wur­den aber an ande­re Orte ver­legt. Die Auf­ga­be der lite­ra­tur­geo­gra­phi­schen Ana­ly­se liegt dar­in, sol­che Details offen­zu­le­gen, die Ent­schei­dung des Autors zur Ände­rung des Schau­plat­zes zu hin­ter­fra­gen und die Ergeb­nis­se einer sol­chen Ana­ly­se bei der Gesamt­in­ter­pre­ta­ti­on des Tex­tes mit einzubeziehen.
Wie auch in der nach­fol­gen­den Dis­kus­si­on ange­spro­chen, müs­sen die Schlüs­se aus einer sol­chen Ana­ly­se vom jewei­li­gen Werk abhän­gig gezo­gen wer­den. Die Fra­ge nach einem his­to­ri­schen Mehr­wert hin­ge­gen konn­te mit dem Ver­weis beant­wor­tet wer­den, dass durch die Ein­bin­dung his­to­ri­scher und geo­gra­phi­scher Quel­len die Inter­pre­ta­ti­on eines Tex­tes um eine wei­te­re Ebe­ne erwei­tert wer­den kön­ne, näm­lich um die der Hand­lungs­or­te. Unab­hän­gig von der Lite­ra­tur­wis­sen­schaft kön­ne die­ses Ver­fah­ren aber auch bei der Ana­ly­se his­to­ri­scher Quel­len­tex­te ange­wandt werden.

(Pro­to­koll: Kenji-Thomas Nishino)

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