Anwesend waren: Anna Andreeva (Heidelberg), Judith Árokay (Heidelberg), Biru David Binder (Heidelberg), Lilli Buschmin (Bochum), David Chwila (Bochum), Katrin Deutsch (Bochum), Aline Dreher (Bochum), Harald Fuess (Heidelberg), Sylvia Grafe (Bochum), Lisa Hammeke (Bochum), Nina Holzschneider (Bochum), Thorsten Kerp (Heidelberg), Bernd Kirchner (Heidelberg), Till Knaudt (Bochum), Robert Kramm-Masaoka (Tübingen), Laura Kuhl (Heidelberg), Michael Mattner (Bochum), David Mervart (Heidelberg), Kenji Nishino (Bonn), Heinrich Reinfried (St. Gallen), Andrea Revelant (Venedig), Johannes Rippin (Heidelberg), Vanessa Schaar (Bochum), Anke Scherer (Köln), Christian Schimanski (Bochum), Daniel Schley (Tôkyô/München), Benjamin Schmalofski (Bochum), Jan Schmidt (Bochum), Tino Schölz (Halle), Miyuki Simon (Heidelberg), Maik Hendrik Sprotte (Halle), Patricia Stammsen (Bochum), Till Weber (Heidelberg), Matthias Zachmann (Heidelberg / München).
Kenji Nishino, Universität Bonn: „Der asobime ‑Diskurs — Unterhalterinnen im Spiegel der buddhistischen Rezeption und dem Ryôjin hishô“;
Bei den im Vortrag untersuchten Quellen handelt es sich um frühmittelalterliche Lieder, die von Kaiser Go-Shirakawa gesammelt und als Ryôjin hishô editiert wurden. Das Interesse des Kaisers an diesen Liedern geht nach einer Legende darauf zurück, dass er sie von Otomae, einer alten Meisterin der Unterhaltung, gelernt hat. Die Lieder selbst wurden von den im japanischen Mittelalter asobime genannten Unterhalterinnen gesungen, um damit Kunden anzulocken und zu unterhalten. Die asobime fuhren in der Regel in Dreiergruppen auf Booten umher und boten die Kunst der Unterhaltung sowie ggf. sexuelle Dienste an. Über sie wird berichtet, dass sie bei einer Gottheit der Sexualität (Hyakudaifu) unter anderem um viele Kunden beteten. Durch ihre im weitesten Sinne der Unterhaltung zugerechneten Dienste lebten die asobime außerhalb der Sphäre des Normalen und werden einerseits der Sphäre des kegare (Verunreinigung) zugeschrieben, aber andererseits wird ihre Tätigkeit auch mit der Sphäre des Heiligen/Sakralen (hare) assoziiert, da ihnen wie tanzenden Schamaninnen die Fähigkeit zugeschrieben wurde, durch ihre Dienstleistungen eine spirituelle Katharsis beim Kunden auslösen zu können. In den Liedern im Ryôjin hishô, die den asobime zugeschrieben werden, finden sich viele allegorische Anspielungen auf Sexualität, die Lieder zur Unterhaltung der Kunden sind zum Teil erotisch und frivol.
In seinem Vortrag widmete sich Nishino spezifisch denjenigen Lieder im Ryôjin hishô, die einen Bezug zum Buddhismus haben, sowie dem Umgang buddhistischer Mönche mit dem Phänomen der asobime. Einige Lieder thematisieren die Tatsache, dass Frauen aufgrund der ihrem Geschlecht eigenen „Hindernisse“ im Zusammenhang mit Menstruation und weiblicher Sexualität der Zugang zu bestimmten Formen der privilegierten Wiedergeburt im Buddhismus versperrt sei. Hier werde demnach das Mann-Sein als Standard oder Norm für das Erreichen der Buddhaschaft betrachtet. Andererseits finden sich im Ryôjin hishô auch Lieder, die Hinweise auf Möglichkeiten der Erlangung der Buddhaschaft durch Frauen enthalten, zum Beispiel die Geschichte der Tochter des Drachenkönigs, die sich in einer Legende erst in einen Mann und dann in einen Buddha verwandeln kann. Hier erinnern die Lieder der asobime daran, dass diese Unterhalterinnen sich — anders als die gewöhnlichen Menschen im Mittelalter — über Provinzgrenzen hinweg bewegen konnten und über mehr Freiheiten als gesellschaftlich üblich verfügten. So lege die Darstellung der asobime als „Gegenbeispiele“ die gesellschaftlich orthodoxen Vorstellungen über die Stellung von Frauen offen.
Im Kontakt mit buddhistischen Mönchen fungierten sie oft als Medium, an dem sich die religiöse Erkenntnis der Mönche, die mit ihnen verkehrten, entzündete. Unter Wissenschaftlern ist strittig, ob sich durch diese Mittlerrolle der Aspekt der den Frauen im Buddhismus zugeschriebenen Unreinheit aufgehoben hat. Die Geschichten, die vom Zusammentreffen von buddhistischen Mönchen und asobime überliefert sind, haben in der Regel einen didaktischen Wert: das soziale Gefälle zwischen Mönchen und asobime wird in den Vordergrund gestellt, die Sexualität der asobime wird durch buddhistische Vorstellungen domestiziert. In einer geschlechterwissenschaftlichen Interpretation werde die Begegnung zwischen asobime und Mönch als sexuelle Erfahrung erklärt, die Darstellung in den Liedern als eine Sublimierung der sexuellen Kontakte der Mönche zu den Unterhalterinnen gesehen.
In der Diskussion wurde zuerst die Autorenschaft des Ryôjin hishô thematisiert. Nishino argumentierte, dass die darin enthaltenen Lieder aller Wahrscheinlichkeit von wirklichen asobime stammen würden und deshalb als authentisch zu bewerten seien. Die Sammlung dieser Lieder durch Go-Shirakawa habe seiner künstlerischen Profilierung gedient. Weiterhin diskutiert wurden die verschiedenen Haltungen des Buddhismus zur gesellschaftlichen Stellung der Frau. Viele asobime seien von der buddhistischen Lehre stark beeinflusst worden und ihre Lieder hätten widergespiegelt, dass sie dadurch an die vom Buddhismus vorgegebenen Geschlechterrollen gebunden waren. In diesem Zusammenhang kam die Frage auf, wie legitim die Anwendung heutiger Geschlechterperspektiven auf vergangene Epochen ist. Die Anwendung heutiger Terminologie bringt immer das Problem der anachronistischen Verwendung von Begrifflichkeiten mit sich, weshalb das Hinterfragen von Begrifflichkeiten bei deren Anwendung auf vergangenen Epochen zur grundsätzlichen Vorgehensweise von Historikern gehört. Auch eine sorgfältige Quellenkritik wurde gefordert, da ansonsten die Gefahr bestünde, literarische Texte unhinterfragt als Auskunft über kulturgeschichtliche Phänomene zu benutzen.
Anna Andreeva, Exzellenzcluster „Asia and Europe in a Global Context“ der Universität Heidelberg: „Tracing the Karmic Bonds: Reading the engi in medieval Japan“;
Anna Andreeva untersuchte, wie im japanischen Mittelalter einheimische Gottheiten in den buddhistischen Pantheon aufgenommen wurden. Hierzu gibt es die literarische Gattung der engi, also buddhistischer Texte und Kunstwerke, die die Herkunft bestimmter Kultstätten und lokaler Gottheiten erklären. Die Art und Weise, wie hier bestehende Mythen in neue Zusammenhänge gebracht wurden, enthält Informationen über die Weltsicht der mittelalterlichen Menschen, die sie produziert haben.
Im Mittelpunkt der Untersuchung von Anna Andreeva stand der Berg Miwa in der Provinz Yamato als eine Kultstätte mit einer langen Tradition und Verbindung zur kaiserlichen Familie. Der Berg wird bereits im Kojiki und Nihon shoki erwähnt. Ihm wird eine Schlangengottheit zugeschrieben, über die es in den frühen Mythen heißt, dass sie eine junge Frau aus der Umgebung des Miwa-Schreins geschwängert hat. Das engi, das die Integration des Bergs Miwa in buddhistische Vorstellungen vornimmt, wurde im 13th Jahrhundert vom Mönch Eizon (1201–1290) in seinem Tagebuch verfasst.
Aber nicht nur der Miwa-Schrein wurde in Verbindung mit der buddhistischen Lehre gebracht, der buddhistische Klerus interessierte sich auch sehr für den Ise-Schrein. So wurden u.a. buddhistische Pilgerfahrten zum Ise-Schrein durchgeführt, die allerdings nur bis zum Kazenomiya vorgehen durften, da auf dem Hauptgelände des Ise-Schreins buddhistische Mönchskutten offiziell verboten waren. Nichtsdestotrotz wurde der Ise-Schrein in die Ikonographie des esoterischen Buddhismus aufgenommen. In dieser Ikonographie wurden geographische Gebiete wie zum Beispiel Berge als natürliche Manifestationen buddhistischer Konzepte in Form von Mandalas dargestellt. So nahm der esoterische Buddhismus auch japanische kami wie zum Beispiel Amaterasu Ômikami in seinen Pantheon auf. Amaterasu wurde nicht nur als Manifestation des Mahâvairocana dargestellt, sie wurde auch mit Aizen Myôô assoziiert, also mit der buddhistischen Gottheit, die der Legende nach die göttlichen Winde ausgelöst hat, die zweimalig die mongolischen Invasionsversuche Ende des 13. Jahrhunderts scheitern ließen. Engi integrierten vorhandene einheimische Gottheiten in den esoterischen Buddhismus des japanischen Mittelalters und trugen so zu einer Popularisierung buddhistischer Vorstellungen in der Bevölkerung bei. Zwar führte dies manchmal zu einem Spannungsverhältnis der buddhistischen und einheimischen Shintô-Vorstellungen, aber die Zusammenführung von Gottheitsvorstellungen wurde von beiden Seiten betrieben und diente den jeweiligen Kultstätten als Aufwertung ihrer religiösen Bedeutung. Die Mythen des Kojiki und Nihon shoki wurden so neu interpretiert und dienten den Kultstätten als Quelle für die Legitimität ihrer Herrschaft über das umliegende Land.
Andrea Revelant, (Ca’Foscari-Universität Venedig): „Who Bears the Burden? Tax Reform in Interwar Japan“;
Die Zwischenkriegszeit in Japan war eine Phase, in der einerseits durch Industrialisierung und Urbanisierung die ökonomische und soziale Modernisierung des Landes fortschritt und das Parlament im politischen Willensbildungsprozess im Vergleich zum 19. Jahrhundert an Bedeutung gewann. Auf der anderen Seite war die Zwischenkriegszeit gekennzeichnet von gesellschaftlicher Instabilität und sozialen Konflikten. Diese Konflikte, die in Form von Demonstrationen und Pächterstreiks ausgedrückt wurden, beunruhigten die politische Elite, weil die Protestierenden sich häufig sozialistischer Argumentationen bedienten. Da ein Thema der Proteste die Steuerbelastung der armen Bevölkerung war, stellte Relevant in seinem Vortrag die Frage, wie dramatisch diese Belastung im Vergleich zu anderen Ländern und Epochen wirklich war. Dabei kam er zum Ergebnis, dass die durchschnittliche Steuerlast von 15,4% für einen japanischen Haushalt im Jahre 1930 vergleichsweise niedrig war. Was aber zur Beunruhigung der Steuerzahler wesentlich beitrug, war die Tatsache, dass es keine sozialen Sicherungssysteme gab, die Armutsrisiken abfangen konnten. Zudem spiegelt der statistische Durchschnittswert für die Steuerlast nur unzureichend wider, dass die soziale Ungleichheit mit einem GINI Koeffizienten von mehr als 0,5 sehr hoch und die Belastung durch Steuern sehr ungleich verteilt war.
Als Grund für diese große Ungleichheit führte Revelant die Steuerpolitik der Meiji-Zeit an. Ziel des Steuersystems in der Meiji-Zeit war es gewesen, ausreichende Mittel für die Zentralregierung und die Landesverteidigung zu generieren. Um dies zu erreichen handelte der Staat als Wirtschaftsakteur, der sich am Aufbau des großindustriellen Sektors beteiligte. Dies ging allerdings zulasten der kleinen und mittelständischen Betriebe und geschah ohne die Berücksichtigung möglicher sozialer Probleme durch die Industrialisierung. Durch das Steuersystem wurde Kapital aus dem ländlichen, schlecht verdienenden Japan in Richtung Großindustrie geleitet. Das Steuersystem belastete Haushalte mit geringem Einkommen vergleichsweise stärker (zum Beispiel durch die Besteuerung bestimmter Verbrauchsgüter wie Tabak, Sake, etc.), die unabhängig vom Einkommen bezahlt werden mussten. Zudem wurden Landbesitz und Unternehmen vergleichsweise unfair besteuert.
In der Zwischenkriegszeit wurde deshalb die Reformbedürftigkeit des Steuersystems thematisiert, u.a. um das davon ausgehende gesellschaftliche Konfliktpotential zu verringern. Die Teilnehmer an dieser Diskussion waren neben den Regierungsvertretern vor allem politische Parteien, die beiden Kammern des Parlaments, die Bürokratie, unternehmerische Interessenverbände, der Reichslandwirtschaftsverband und bis zu einem gewissen Grad auch das Militär. Keiner dieser Akteure konnte jedoch die Diskussion entscheidend bestimmen, weshalb die Beteiligten Kompromisse finden mussten. Die Seiyûkai verfolgte dabei eine Politik, die auf Entwicklungsförderung zur Verringerung der Ungerechtigkeiten setzte und somit vorteilhaft für die ländliche Bevölkerung und die Interessen der produzierenden Industrie war. Die Minseitô hingegen betonte in ihrer Politik Rationalisierung und Stabilität und bediente so mehr die Interessen von Banken und Handelshäusern. In den 1920er Jahren scheiterten beide politischen Ansätze. Im Falle der Seiyûkai war der Widerstand gegen die von der Partei vorgebrachte neue direkte Besteuerung von Land und Einkommen durch die Zentrale zu groß. Die Steuerreform der Minseitô war teilweise erfolgreich, aber auch hier war die politische Unterstützung letztendlich schwach. Der Faktor, der dann in den 1930er Jahren regelmäßig alle Anstrengungen zur Konsolidierung der Staatsfinanzen zunichte machte, war der beständige Anstieg der Rüstungsausgaben. Erst eine allgemeine Steuerreform im Jahre 1940 erreichte eine Verbesserung des Steuersystems, die den Kommunen höhere Steuereinnahmen brachte.
In seiner Zusammenfassung kam Revelant zu dem Schluss, dass diese letztgenannten Steuerreformen die progressivsten Reformen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren. Die davor vorgenommenen Reformen hatten den Willen gezeigt das System zu reformieren und dabei soziale Aspekte zu berücksichtigen, waren aber an den zu verschiedenen Interessen der Akteure, die sich nicht aufeinander zu bewegten, gescheitert.
In der anschließenden Diskussion ging es dann um die Frage der Einnahmen aus den Kolonien und deren Einfluss auf das Steuersystem. Diese hatte Revelant nicht in die Untersuchung einbezogen, weil die Steuergesetzgebung in Japan nicht eins zu eins auf die Kolonien angewendet wurden. Die Kolonien wurden als rückständig betrachtet und die Einnahmen aus den Kolonien sind nicht in den Quellen zu Steuereinnahmen in Japan selbst aufgeführt.
Eine weitere Frage war die nach der Rolle des Militärs in der Steuerdiskussion. Zwar war der Einfluss des Militärs im Kabinett in den 1920er Jahren bereits sehr stark, aber im Prozess der Steuergesetzgebung taucht das Militär dennoch kaum auf. Das Militär nahm lediglich massiven Einfluss auf die Ausgabenseite, wo der Anteil der Militärausgaben am BIP bis in die 1930er Jahre von 30% auf 50% anstieg.
Die im Titel gestellte Frage danach, wer in der Zwischenkriegszeit in Japan die Steuerlast getragen hat, beantwortete Revelant damit, dass er ausführte, dass in der Meiji-Zeit die Hauptlast auf der ländlichen Bevölkerung gelegen hatte, diese aber dann in der Taishô-Zeit auf die städtischen Konsumenten überging.
Den zweiten Tag des Treffens, der im Karl Jaspers Center, der Heimat des Clusters of Excellence „Asia and Europe in a Global Context“, stattfand, leitete eine ausführliche Vorstellung von laufenden Projekten und Arbeiten ein. Unter anderem erging von Maik Hendrik Sprotte, der einen erfolgreichen DFG-Einzelforschungsantrag für sein laufendes Habilitationsprojekt zu verbuchen hatte, und Jan Schmidt einmal mehr die Aufforderung zur Meldung von deutschsprachigen Veröffentlichungen (Monographien, Sammelbände, Aufsätze und Rezensionen) mit Bezug zur Geschichte Japans für die ständig erweiterte „Bibliographie zur historischen Japanforschung“ ein. Die Bibliographie umfasst derzeit knappt unter 900 Einträge und ist unter http://www.historische-japanforschung.de zu erreichen, von wo aus Meldungen über ein Formular erfolgen können.
Maik Hendrik Sprotte wies zudem auf die Möglichkeit hin, eigene Skizzen von Projekten mit Bezug zur Geschichte Japans in der Linkliste der Initiative aufzuführen (bei Interesse bitte per E‑mail den Projekttitel, gegebenenfalls mit funktionierendem Link, an maik@sprotte.name — Bitte in die Adresszeile der Mail kopieren. — senden).
Des weiteren stellte Robert Kramm-Masaoka (Tübingen) kurz sein Promotionsprojekt „Kolonisierte Körper und imperiale Grenzen“ zur Prostitution in Japan und Korea während der US-Besatzungszeit als Beziehungsgeschichte unter globalgeschichtlichen Vorzeichen sowie Daniel Schley (Tôkyô/München) seines zur Herrschaftssakralität im japanischen Mittelalter vor. Jan Schmidt (Bochum) berichtete kurz auf der Grundlage eines zweimonatigen eigenen Forschungsaufenthalts von den Möglichkeiten zu Kurzaufenthalten als Gastforscher am Nationalmuseum für Geschichte und Völkerkunde (Kokuritsu rekishi minzoku hakubutsukan) in Sakura, Chiba.
Im Anschluss daran hielt Thomas Büttner (Heidelberg) ein Inputreferat zum Thema „Eine soziale Funktion der historischen Japanforschung: Strategien der Vermittlung Japans in der Öffentlichkeit“. Hintergrund war die Berichterstattung in den deutschen Medien im Zusammenhang mit dem Erdbebens und der dadurch ausgelösten Flutwelle vom 11. März 2011 und der nachfolgenden Atomkatastrophe um das AKW Fukushima I. Büttner postulierte eine soziale Verantwortung der deutschen Japanforschung, wobei er offen ließ, wie weit die Verpflichtung zu einer Zusammenarbeit wegen der Finanzierung der Japanforschung aus öffentlichen Mitteln reiche, und einschränkte, dass die Japanologie eben über keine feste Anbindung an die Medien verfüge und dass somit vielfach ein Problem der Vermittlung herrsche. Medienvertreter hätten zudem häufig gerade in den ersten Tagen nach dem 11. März, aber auch generell, ein geringes Interesse an einer differenzierten Betrachtungsweise gezeigt. Büttner verwies aber auch auf das generell bestehende Spannungsverhältnis zwischen wissenschaftlicher Arbeitsweise und einer zu einem gewissen Grad in den Medien notwendigen Pauschalisierung. Hieran schloss er die Frage an, ob „die“ Japanologie, wenn es auch gar keinen Anspruch auf eines solche als homogener Zusammenhang geben könne, das Ziel haben wolle, ein möglichst korrektes Bild von den Verhältnissen in Japan zu vermitteln oder eher graduell die Annäherung an ein solches und den Abbau von Stereotypen mitzugestalten. Büttner problematisierte auch die Tatsache, dass die Bereitschaft zur Mitwirkung an der Medienberichterstattung nach wie vor bisweilen als das Betreiben von „Populärwissenschaft“ kritisiert würde und eine gefürchtete Blamage bei Fachkollegen, auch angesichts der Gefahr von unlauteren Verkürzungen durch die Medienvertreter, gerade junge WissenschaftlerInnen von ihr abhalte.
An das Inputreferat schloss sich eine lebendige Debatte an, die mit einem Austausch der unterschiedlichen Erfahrungen der TeilnehmerInnen in den Wochen nach dem 11. März begann. Unter anderem wurde das Portal „Blickpunkt Japan“ (http://www.blickpunkt-japan.de) im Wiki-Format mit seiner möglichen Scharnierfunktion hervorgehoben, das bei journalistischen Berufsverbänden bekannt gemacht werden müsse. Auch wurde davor gewarnt, dass zu häufig von den Medien und den Japanologen gesprochen werde. Die Vorstellung, durchaus vorhandene Missstände eines historisch gewachsenen journalistischen Systems — wenn auch nur im Hinblick auf die Japanberichterstattung — durch die Stimmen einiger weniger JapanforscherInnen zu größeren Veränderungen zwingen zu können, wurde ebenso kritisiert und dazu aufgerufen, schlichtweg bei der Wahl des Mediums, mit dem zusammengearbeitet würde, vorher die Qualität von dessen Berichterstattung zu evaluieren. Es wurde auch angemerkt, dass die Japanologie als Institution von den exotischen Stereotypen lange Zeit auch — nolens-volens — profitiert habe. „Japan“ habe sich allerdings auch in der „Kulturindustrie“ als Wert bzw. als eine Art Produkt verselbständigt, was vielen TeilnehmerInnen beim Versuch der Zusammenarbeit mit Medienvertretern immer wieder schmerzhaft bewusst gemacht worden ist. Andere TeilnehmerInnen warfen ein, dass manchen FachvertreterInnen etwa in ihren Äußerungen zur Atomkraft, die bis hin zu technischen Details des havarierten AKWs gereicht haben, angesichts fachlichen Unwissens im Bereich der Naturwissenschaften etwas mehr Zurückhaltung anzuraten wäre, während andererseits gefordert wurde, dass die Japanforschung — aber auch die Geistes- und Sozialwissenschaften generell — sich durchaus häufiger populärwissenschaftlich betätigen sollte. Flankierend wurde angemerkt, dass häufig das Problem unterschätzt würde, die jeweiligen Medienkonsumenten bei ihrem Wissensstand „abzuholen“ zu müssen und dass es auch eine Aufgabe sei, zwar eine wissenschaftliche Darstellungsweise zu verteidigen, aber auf eine jargonartige Fachsprache in den Medien nach Möglichkeit zu verzichten. Dem Einwand, die Japanforschung solle sich an benachbarten Fächern wie der Sinologie oder etwa an den Islamwissenschaften im Hinblick auf deren Umgang mit den Medien orientieren, wurde entgegen gehalten, dass es beispielsweise trotz des hohen Niveaus der Forschung zur heutigen islamischen Welt immer noch vielfach am Ende Peter Scholl-Latour sei, der die Deutungshoheit inne habe. (Protokoll: Anke Scherer und Jan Schmidt) |