Protokolle der 7. bis 12. Tagung aus den Jahren 2006 bis 2008:
7. Treffen am Institut für Japanologie der Universität Heidelberg am 6. und 7. Mai 2006
Anwesend in Heidelberg waren: Lucia Banholzer (Heidelberg), Juljan Biontino (Heidelberg), Georg Blind (Heidelberg), Thomas Büttner (Heidelberg), Eva Burzynski (Halle), Wolf Hannes Kalden (Marburg), Hans Martin Krämer (Bochum), Heinrich Menkhaus (Marburg), Harald Meyer (Zürich), Gotelind Müller-Saini (Heidelberg), Yoko Nakamura (Wien), Daniel Poch (Heidelberg), Heinrich Reinfried (Zürich), Daniela Schaaf (Heidelberg), Wolfgang Schamoni (Heidelberg), Anke Scherer (Bochum), Jan Schmidt (Heidelberg), Tino Schölz (Halle), Wolfgang Seifert (Heidelberg), Maik Hendrik Sprotte (Heidelberg), Melanie Trede (Heidelberg), Edith Wagner (Erlangen), Martin Wandt (Halle), Robin Weichert (Heidelberg), Asa-Bettina Wuthenow (Heidelberg), Matthias Zachmann (München);
Bereits zum siebten Mal traf sich die Initiative zur Historischen Japanforschung am ersten Mai-Wochenende 2006 zur Vorstellung laufender oder gerade fertig gestellter Arbeiten und zu Diskussionen über Themen aus der historischen Japanforschung.
Den ersten Vortrag des Treffens hielt am Samstag Urs Matthias Zachmann (Universität München) mit dem Titel „Das kurze Schicksal einer großen Idee: Konoe Atsumaros Vorstellung einer panasiatischen Allianz, 1898“. Im Zentrum des Vortrags stand ein Artikel, den Konoe Atsumaro, damals Präsident des japanischen Oberhauses, unter dem Titel „Eine Rassenallianz; gleichzeitig zur Notwendigkeit der Erforschung der Chinesischen Frage“ im Januar 1898 in der Zeitschrift Taiyô veröffentlichte. Darin präsentierte der Verfasser die Idee einer gegen den Westen gerichteten asiatischen Allianz und drängte auf ein verstärktes Engagement Japans in China. Kurze Zeit vor Erscheinen dieses Artikels hatte Konoe noch die Meinung vertreten, dass es keinen Kampf zwischen den Rassen — wie er ihn in besagtem Artikel konstatierte — sondern einen Wettkampf der Kulturen gebe. Konoes Artikel löste in den politischen und diplomatischen Kreisen Japans Befremden aus: Der japanische Gesandte in Paris nannte Konoe in einer Unterredung einen Fanatiker und Anhänger einer Minderheitenmeinung; Ôkuma Shigenobu bezeichnete die von Konoe proklamierte Notwendigkeit einer Allianz der gelben Rasse als Unsinn. Nachdem sich die Aufregung um Konoes äußerung gelegt hatte, wurde dieser dann zu einem Verfechter einer japanisch-britischen Allianz. Zachmann untersuchte in seinem Vortrag anhand dieses Beispiels, welchen Stellenwert Bekenntnisse zum Pan-Asianismus — als ein solches könnte der 1898er Artikel von Konoe gewertet werden — innerhalb der Diskurse in der Meiji-Zeit hatten. Er kam zu dem Schluss, dass solche Bekenntnisse von der politischen Führung Japans möglichst vermieden wurden, da Japan eine Allianz mit westlichen Staaten anstrebte. Nur eine Minderheit nahm pan-asiatische Vorstellungen ernst, allerdings argumentierten sogar diese Befürworter nicht rassistisch, da das Konzept Rasse im politischen Diskurs tabu war; bei einer solchen Argumentation hätte Japan gegenüber dem Westen immer auf der Verliererseite gestanden. Die Allianz der asiatischen Völker wurde nur auf bilateraler Ebene zwischen Japan und China beschworen, international stellte Japan sich auf die Seite des Westens. Konoes Artikel ist demnach als kurzfristige heftige Reaktion auf die vor seinem Artikel im Westen beschworene „gelbe Gefahr“ zu verstehen.
Die Diskussion im Anschluss an den Vortrag ging von diesem damals im Westen verbreiteten Bild der „gelben Gefahr“ aus. Im Westen blieb das Image Konoes als eines Verfechters des Pan-Asianismus und damit Feindbildes westlicher Politiker an ihm haften. In demselben Jahr, in dem sein Artikel erschienen war, machte zum Beispiel ein englischer Science-Fiction-Roman Furore, in dem der Protagonist japanisch-chinesischer Abstammung die beiden Länder China und Japan zusammenbringt und die europäischen Länder gegeneinander aufhetzt. In Japan selbst wurde Konoe dagegen nicht als echter Vertreter des Pan-Asianismus ernst genommen. So findet sich der Aufsatz vom Januar 1898 nicht im einschlägigen Sammelband von Takeuchi Yoshimi zu diesem Thema. Der zweite Teil der Diskussion beschäftigte sich dann mit der Frage nach dem Rassismus als allgemein akzeptierter Vorstellung Ende des 19. Jahrhunderts. In dieser Zeit wurde in Japan das Thema der „starken“ gegen die „schwachen“ Völker im Rahmen des Sozialdarwinismus diskutiert. Problematisch an Konoes Artikel sei auch, dass er sehr abstrakte Ideen enthielt, aber keinerlei praktisch umsetzbare Vorschläge für die tatsächliche Durchführung einer solchen japanisch-chinesischen Allianz enthielt. Dies ist ein weiterer Hinweis darauf, dass der Artikel eher den Charakter einer kurzfristig hingeworfenen Idee als einer wohlüberlegten langfristigen Überzeugung hat.
Nach diesem Vortrag folgte ein Diskussionsbeitrag von Melanie Trede (Universität Heidelberg) zum Thema „Geschichtswissenschaft und Kunsthistorie: Plädoyer für mehr Interdisziplinarität“. Als Ausgangspunkt diente die Beobachtung, dass sich nur wenige Kunsthistoriker im Bereich Europa auch mit den historischen Hintergründen beschäftigten, die mit der Entstehung der jeweiligen Kunstobjekte zusammen hängen. In Japan sei es üblich, dass sich japanische Kunsthistoriker entsprechende Informationen von Historikern holten. Westliche Historiker japanischer Kunst wiederum bezögen oft ihre Informationen zu historischen Hintergründen von den japanischen Kunsthistorikerkollegen. Am Beispiel eines Bildrollensets veranschaulichte Trede, warum die Erforschung der Entstehungsgeschichte und die Kontextualisierung von Kunstobjekten einen Erkenntnisgewinn für Kunsthistoriker darstellt. Ein besonders spektakulärer Fall, in dem die interdisziplinäre Zusammenarbeit zu neuen Erkenntnissen führt, sei das 1995 vom japanischen Kunsthistoriker Yonekura Michio publizierte Buch, in dem er ausführt, dass das berühmteste Porträt von Minamoto no Yoritomo im Jingoji-Tempel in Kyôto wahrscheinlich 200 Jahre nach dem Tod des Porträtierten entstanden ist und Ashikaga Shigemori darstellt. Die Quelle für die Zuschreibung des Porträts zu Minamoto no Yoritomo ist ein ähnliches Bild im British Museum, auf dem sich eine Aufschrift befindet, die Yoritomo erwähnt. Historiker, die diese Aufschrift untersucht haben, haben aber festgestellt, dass sie geographische Namen und Bezeichnungen für Yoritomo enthält, die im 12. Jahrhundert noch nicht verwendet wurden. Da diese Referenz für die Zuschreibung des Porträts eine Fälschung ist, fällt eines der wichtigsten Argumente für eine Identifikation Yoritomos auf dem Jingoji-Porträt weg. Außerdem wurde der für die Auseinandersetzung zwischen Methoden der Historiker und Kunsthistoriker maßgebliche japanische Historiker Kuroda Hideo und sein Werk kurz vorgestellt.
Die Diskussion zu diesem Beitrag drehte sich um die generelle Frage der Verlässlichkeit von Quellen. Sowohl bei der Verwendung von Texten als auch bei der Verwendung von Bildern als Quellen muss deren Zuverlässigkeit beurteilt werden. Wenn Historiker Bilder als Quellen oder zur Illustration verwenden, so sollten sie auch auf diese die Prinzipien der Quellenkritik anwenden, bei Bildern besonders, da Menschen dazu tendieren, ihnen stärker als Texten die getreue Abbildung der „Wirklichkeit“ zuzutrauen. Trede erinnerte daran, dass Bilder auch immer die Sichtweise der jeweiligen Auftrag- bzw. Geldgeber darstellten und dass man diesen Faktor in der Nutzung einer Darstellung als Quelle berücksichtigen muss. Abschließend drehte sich die Diskussion um die Frage der Benutzung von Bildern als Illustrationen im Unterricht. Hier wurde einerseits auf die Wirkung der Visualisierung in der didaktischen Aufbereitung von Unterrichtsstoff hingewiesen, andererseits muss der Einsatz von Bildern durch die quellenkritische Betrachtung unterstützt werden, für die der Beitrag von Melanie Trede die Diskussionsrunde sensibilisiert hat.
In der nachfolgenden Rubrik „Vorstellung eigener Arbeiten und Projekte“ berichtete Hans Martin Krämer (Universität Bochum) zuerst über die AAS-Konferenz im April 2006 in San Francisco. Danach stellte Yoko Nakamura (Universität Wien) ihr Dissertationsprojekt zu Bushidô-Diskursen in der späten Meiji-Zeit (1890–1912) vor. Gegenstand dieser Arbeit soll der Diskurs in der späten Meiji-Zeit sein, in dem ein neues Loyalitätsgefüge entwickelt werden sollte. Dabei sollte der historische Bushidô benutzt werden, um Loyalität vom Shôgun auf den Tennô zu übertragen. Dadurch sollte eine neue, allgemein verbindliche Ethik geschaffen werden. Die Forschungsfrage der Arbeit ist dabei, welche Argumente benutzt wurden, um Bushidô als Grundlage für diese neu zu schaffende Loyalitätsstruktur zu nutzen und inwieweit diese Anstrengungen Früchte getragen haben. Als Quellengrundlage dienen verschiedene Zeitschriften, in denen dieser Diskurs geführt wurde. In der Diskussion über diese Arbeit gab es die Anregung, zuerst zu klären, was mit diesem im Diskurs verwendeten Begriff des Bushidô gemeint war sowie sich mit der Frage auseinander zu setzen, in wie weit eine eigentlich auf der elitären Vorstellung eines nur für die Kriegerelite vorgesehenen Wertesystems basierende Ethik überhaupt auf das gesamte Volk übertragbar sei. Weiterhin wurde angeregt, sich mit der Rolle zu befassen, die dem Bushidô im Schulunterricht zukommen sollte und zu untersuchen, wie Japan sich mit dieser erklärtermaßen rein japanischen Ethik in Asien positionieren wollte.
Am zweiten Tag der Konferenz stellte Anke Scherer (Ruhr-Universität Bochum) ihre kürzlich fertig gestellte Dissertation zur japanischen Auswanderung in die Mandschurei vor. Der Vortrag stellte die staatlich gelenkte Massenauswanderungskampagne vor, mit der zwischen 1936 und 1956 1 Million Haushalte aus ländlichen Gebieten in die Mandschurei auswandern sollten. Zur Umsetzung dieser Pläne wurde unter anderem eine Organisationsform genutzt, bei der rund ein Drittel aller Haushalte aus einem Dorf gemeinsam auswandern und eine neue Siedlung auf dem Festland gründen sollten. Dies wurde dann „Dorfteilung“ genannt. Am Fall des bekanntesten „geteilten“ Dorfes Ôhinata in der Präfektur Nagano, das für die Propagierung der Dorfteilung eingesetzt wurde, lässt sich zeigen, dass die Massenauswanderung die wirtschaftliche Situation nicht wie von den Planern auf zentraler Ebene vorgesehen verbessern konnte. Dies war unter anderem darauf zurückzuführen, dass die Planer davon ausgingen, dass sich durch die Reduktion der Bevölkerung in den teilnehmenden Gemeinden die von den zurückbleibenden Haushalten genutzte Ackerfläche vergrößern würde. Da allerdings meist fast besitzlose Haushalte an der Auswanderungskampagne teilnahmen, verbesserte sich die wirtschaftliche Situation in den Dörfern kaum. Die Planer der Kampagne berücksichtigten nicht, dass die sehr ungleiche Verteilung des Ackerlandes in den ländlichen Gebieten und die Verschuldung vieler Bauern durch den Preisverfall für ländliche Produkte wie Rohseide und Holzkohle die Hauptgründe für die ländliche Armut waren. Die Diskussion ging weiter auf die ideologischen Hintergründe der Auswanderungskampagne ein. Wie auch bei der Industrialisierung der Mandschurei stand bei der Besiedlung das politische Ziel der Beherrschung des Gebietes im Vordergrund.
Den Abschluss des Treffens bildete ein Diskussionsbeitrag von Thomas Büttner (Universität Heidelberg) zu „Möglichkeiten quantitativer Methoden in der historischen Japanforschung. Ein neuer Blick auf die (Politik-)Geschichte“. Ausgangspunkt der Überlegungen war das Beispiel des Kido Kôichi nikki, das von der historischen Japanforschung zu unkritisch als private Quelle genutzt werde, um Aussagen über Kidos Handlungsintentionen zu machen. Da Büttner einen Brief Kidos an Arima Yoriyasu gefunden hat, in dem Kido Arima bittet, Teile dieses nikki zu redigieren, argumentierte er, dass dieses nikki hier keinesfalls mit einen unverfälschten Tagebuch gleichzusetzen sei. Vielmehr müssten Historiker in Betracht ziehen, dass auch diese scheinbar ungefilterten Äußerungen Kidos bewusst redigiert wurden. Qualitative Forschung, die sich auf diese Art von Quellen stützt, läuft häufig Gefahr, zu sehr von der Selbstdarstellung der politischen Akteure beeinflusst zu sein, zumal diese Akteure oft die wichtigsten Bücher über ihre Aktivitäten selbst verfasst und entsprechend editiert haben. Um dieser Gefahr entgegenzuwirken, verwendet Büttner in seiner Dissertation über die Taisei Yokusankai (Gesellschaft zur Unterstützung der Kaiserherrschaft) den Ansatz der Netzwerkforschung. Diese versucht soziale Beziehungen zu quantifizieren und Netzwerke abstrakt abzubilden. Durch Datenbanken mit biografischen Daten lassen sich so Schlüsse darüber ziehen, wie gemeinsame Herkunft oder gemeinsamer Bildungshintergrund Akteursverhalten und Entscheidungsprozesse beeinflusst haben könnten.
Die anschließende Diskussion befasste sich mit der Frage, welche neuen Erkenntnisse durch diesen Ansatz gewonnen werden könnten. Zwar generierten quantitative Verfahren nicht mehr Informationen, aber sie strukturierten sie besser. Für den Fall der Taisei Yokusankai bietet eine auf der Grundlage der Netzwerkanalyse durchgeführte quantitative Untersuchung zum Beispiel die Möglichkeiten, entweder Entscheidungsprozesse und Entscheidungsträger durch Einbeziehung der Netzwerkstruktur neu zu analysieren, oder durch eine Untersuchung der sozialen Hintergründe der Entscheider neue Erkenntnisse über die Funktionsweise der Taisei Yokusankai zu erhalten. Wolfgang Seifert (Universität Heidelberg) schlug ein Modell vor, das davon ausgeht, dass die Taisei Yokusankai eine Elite bildete, zu der Personen aus verschiedenen sozialen Schichten gehörten. Eine Untersuchung der Herkunft verschiedener Teile der Elite könnte die soziale Zusammensetzung und die verschiedenen Interessenvertretungen innerhalb der Elite klären. Die Diskussion warf allerdings auch Probleme hinsichtlich der Datengrundlage für solche Netzwerkstudien auf. Nicht alle Interaktion sei verschriftlicht, Komponenten wie Intensität und Wertigkeit von Beziehungen lassen sich schwer quantifizieren. Weitere Probleme sind die Dynamik und Stabilität von Netzwerken. Da Methoden in der Regel nach dem jeweiligen Erkenntnisinteresse gewählt werden, wurde vorgeschlagen, quantitative Methoden wie die Netzwerkanalyse in Zusammenwirkung mit bzw. zur Kontextualisierung persönlicher Quellen wie nikki u.a. einzusetzen.
Hans Martin Krämer erinnerte an die von ihm aufgebaute Online-Datenbank von Quellen in Übersetzung. Diese läuft im Probebetrieb unter http://dbs.rub.de/japanquellen/home.php. Ziel ist, bibliographische Angaben zu japanischen historischen Quellen in westlichsprachiger Übersetzung (derzeit Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch) in einer Datenbank mit Suchfunktion verfügbar zu machen. Die Datenbank ist so konzipiert, dass jeder Beiträge leisten kann. BesucherInnen des Treffens und LeserInnen dieses Berichtes sind wieder aufgerufen, in diese Datenbank Einträge einzuspeisen und Hinweise zu geben, wie die Kategorien (insbesondere für Schlagwörter und Quellentyp) weiter verbessert werden können.
(Protokoll: Anke Scherer)
8. Treffen am Ostasiatischen Institut /Japanologie der Universität Leipzig am 4. und 5. November 2006
Anwesend in Leipzig waren: Thomas Büttner (Heidelberg) , Marco Gerbig-Fabel (Erfurt), Steffi Richter (Leipzig), Fabian Schäfer (Leipzig), Anke Scherer (Bochum), Jan Schmidt (Bochum), Tino Schölz (Halle), Michael Schultz (Leipzig), Maik Hendrik Sprotte (Heidelberg), Detlev Taranczewski (Bonn), Anneli Wallentowitz (Bonn), Reinhard Zöllner (Erfurt);
Im ersten Vortrag behandelte Michael Schultz (Leipzig) die Instrumentalisierung von historischen Ereignisse für den Revisionismus, wie sie in den letzten Jahren vor allem in Bezug auf die Schulbuchdebatte und auf Fragen des zweiten Weltkriegs in Japan vorgekommen ist. Als thematisches Feld war dabei der Russisch-Japanische Krieg abgesteckt, der sich als abweichendes Beispiel nicht nur aufgrund des gerade zurückliegenden hundertjährigen Jubiläums, sondern auch, da er große Teile der Bevölkerung betrifft und zudem der letzte Krieg war, aus dem Japan als eindeutiger Sieger hervorgegangen ist. Als Quellenmaterial lagen mit der Untersuchung das Shin rekishi kyôkasho der Atarashii rekishi kyôkasho o tsukuru kai, dem Manga Sensôron von Kobayashi Yoshinori und einer Sammlung von Zeitschriftenartikeln Texte aus verschiedenen Genres zugrunde. Trotz der Verschiedenartigkeit der Texte gab es personelle Überschneidungen der Autorenschaft, so ist. z.B. Kobayashi auch Mitglied der Tsukuru kai.
Die revisionistische Behandlung des Russisch-Japanischen Krieges zeichnet sich durch die Negation von Verantwortung für kritikwürdige Akte wie den Angriff auf Port Arthur noch vor einer offiziellen Kriegserklärung und durch gezielte Auslassung von problematischen Themenkomplexen wie der Verletzung der Souveränität Koreas aus. Vor allem werden dem Krieg jedoch verschiedene positive Attribute zugeschrieben. So wird er durch die Darstellung als Überlebens- und Verteidigungskampf als „notwendiger Krieg“, durch die Darstellung als durch das Völkerrecht und internationale Übereinkünfte gedeckter Kampf als „legaler Krieg“, durch die Darstellung der Alltäglichkeit von Kriegen in der Geschichte als „normaler Krieg“ und schließlich durch die Darstellung vermeintlicher positiver Impulse für Asien und seine Befreiung von der Kolonialherrschaft als „positiver Krieg“ stilisiert. Dadurch soll (früher) herrschende Geschichtsbilder im Diskurs über den Russisch-Japanischen Krieg aufgebrochen und ein positiver Bezug zur japanischen Vergangenheit hergestellt werden. Darüber hinaus zeichnet sich der revisionistische Diskurs über verschiedene „Zentrismen“ aus; er blendet u.a. die Rolle der anderen asiatischen Länder aus und ist so japanzentriert — auch wenn die angewandte Herangehensweise als eurozentrisch charakterisiert werden könnte und ist in der Darstellung von heroischen Männern und ihren Taten androzentrisch.
Die anschließende Diskussion drehte sich bis auf einige Anmerkungen bezüglich der etwas zu kausal dargestellten Beziehung zwischen den Folgen der bubble economy und dem aktuellen Revisionismus und dem Hinweis von J. Schmidt, dass die Historisierung des Konfliktes bereits in den 20er Jahren begann, um Fragen der „Produktionsprozesse und ‑verhältnisse von Geschichte“ (Taranczewski). Zum Abschluss wurde von M. Gerbig-Fabel allgemein darauf hingewiesen, wie problematisch die Perspektive bei einer Diskussion über Fachgrenzen hinweg ist.
Im zweiten Vortrag des Tages stellte Marco Gerbig-Fabel sein Dissertationsprojekt zu photographischen Artefakten des Russisch-Japanischen Krieges 1904/05 vor. Inhaltliche Punkte standen im Hintergrund, stattdessen wurde versucht zu klären, in welcher Weise Historiker Zugriff auf visuelle Quellen haben und den Rahmen der Möglichkeiten im Umgang damit abzustecken. Die Arbeit geht von der These aus, dass Fotografien nicht als historischer Beweis, sondern vielmehr selbst als das Historische zu betrachten sind, und entwirft auf dieser Basis eine kulturgeschichtliche Deutung der japanischen Moderne. Fotografische Abbildungen suggerieren eine nicht vorhandene Eindeutigkeit und generieren dadurch Ereignisse. Da sie immer in einem Kontext von Beschriftungen, Beschreibungen, anderen Bildern etc. stehen sind Fotografien nicht mehr als ein mediales Artefakt im foucaultschen Sinne und repräsentieren nicht den Krieg als solchen authentisch, sondern konstruieren eine mediale Repräsentation desselben. Um diese der historischen Analyse zu öffnen, müsse der visuelle Oberflächenzusammenhang zerstört werden und die medialen Logistiken, die die Repräsentation des Russisch-Japanischen Krieges organisierten, rekonstruiert werden. Die fotografischen Spuren werden daher nicht als authentisches Abbild, sondern als Evidenz generierende Repräsentationen verstanden. Die Studie soll auf dieser Basis methodisch wie empirisch fundiert die Geschichte des Russisch-Japanischen Krieges als transregionales Phänomen und transregionalen Ereigniszusammenhang beschreiben.
In der anschließenden Diskussion die Frage aufgeworfen, ob und wie weit Fotographien als Quellengattung tatsächlich qualitativ anders zu behandeln sind als „herkömmliche“ schriftliche Quellen, die ja auch mit methodischer Sorgfalt zu behandeln sind. Als Ansatzpunkt dafür wurde Droysens Unterscheidung zwischen Quellen und Überresten eingebracht sowie die Intention der Fotographen, zu dokumentieren (Zöllner).
Als letzter Tagesordnungspunkt für den Samstag stand die Diskussion darüber, welche Möglichkeiten Visual History und Diskursanalyse in der historischen Japanforschung eröffnen, an. In einem Input-Referat stellte Fabian Schäfer (Leipzig) kurz dar, welche Positionen dazu von Paul und Sarasin (Quellenangaben) vertreten werden. Die darauf folgende Diskussion ließ die Visual History weitgehend außer acht und konzentrierte sich auf die Kritik von Diskursanalytikern an der „klassischen“ historischen Forschung, die versuche, Aussagen über Dinge zu treffen, wo nur Aussagen über die Konstruktion der Dinge möglich sei. Marco Gerbig-Fabel berichtete dabei über Erfahrungen im Erfurter Graduiertenkolleg, wo regelmäßig historische Forschung diskursanalytisch dekonstruiert und die Möglichkeit historischer Forschung generell in Frage gestellt wird.
Letztendlich lief die Diskussion auf die üblichen verhärteten Fronten und das Argument von T. Schölz, 50 Millionen Tote im zweiten Weltkrieg könnten nicht nur Konstruktion sein, hinaus.
Im einzigen Vortrag am Sonntag stellte Jan Schmidt (Bochum, vormals Heidelberg) Ergebnisse aus seiner Magisterarbeit zur Bewertung und „Nutzung“ des ersten Weltkriegs in Texten des Militärs und der politischen Parteien unter dem Kabinett Hara (1918–1921) dar. Ausgangspunkt war die Frage, ob militaristische Positionen wie die Forderung nach einem „hochgradigen Wehrstaat“ (kôdo kokubo kokka) und der Ausrichtung des Staates auf einen totalen Krieg (sôryokusen), wie sie in den dreißiger und frühen vierziger Jahren in Japan vertreten wurden, nicht möglicherweise schon früher, in einer Zeit, die als „Taishô-Demokratie“ oftmals dazu komplementär als liberal und demokratisch dargestellt wird. Die Arbeit zeigte auf der Basis von Tagebüchern, Briefen, Ausschussprotokollen und vor allem Texten aus den Organen der großen Parteien (insb. der Seiyû), dass die Bedeutung des ersten Weltkrieges für die japanische Geschichte nicht ausreichend gewürdigt wird, da er nicht bloß große wirtschaftliche Auswirkungen hatte, sondern die Aufmerksamkeit in Japan auf verschiedene zukünftige Fragen lenkte. So richteten sowohl das Heer als auch die Marine Untersuchungskommissionen ein, die Material zum Kriegsverlauf sammelten. Dieses bezog sich anfangs zwar vornehmlich auf die oberflächlichen Ereignisse, doch schon bald richtete sich das Augenmerk auf Fragen der Mobilisierung, was zum Vorläufer der „Mobilisierung der ganzen Nation“ (kokka sôdôin) in den späten dreißiger Jahren wurde. Dabei lag die Annahme zugrunde, dass Japan über kurz oder lang mit einem totalen Krieg rechnen — wobei sich schon früh die USA als der projizierte Gegner herausbildeten — und sich auf diesen vorbereiten müsse. Dieser Gedanke wurde u.a. in sogenannten sawakai (Teegesellschaften) der Seiyûkai verbreitet, auf denen Militärs oder Fachleute Vorträge vor der versammelten Parteiführung hielten. Tatsächlich wurden auch in der praktischen Politik bald Konsequenzen gezogen. Einer der vier großen Reformpunkte der Seiyûkai unter Hara war die „Vervollkommnung der Landesverteidigung“ (kokubô no jûjitsu), und kriegswichtige Industrien wurden gezielt gefördert. So warb auch der Lastwagenhersteller Isuzu Endkunden mit dem Argument staatlicher Förderung an. So begannen schon lange vor der „Mobilisierung der ganzen Nation“ militärische Argumentationsmuster auch über die Politik hinaus auszubreiten.
In der anschließenden Diskussion wurde erneut die diskursanalytische Dekonstruktion aufgegriffen, da das Projekt „klassische“ historische Forschung darstellt, ohne dass jedoch prinzipiell neue Argumente aufgeworfen wurden.
(Protokoll: Thomas Büttner)
9. Treffen an der Sektion Geschichte Japans, Fakultät für Ostasienwissenschaften der Ruhr-Universität Bochum am 5. und 6. Mai 2007
Anwesend in Bochum waren: Markus Berner (Bochum), Brigitte Bonn (Bochum), Heinrich Born (Bochum), Thomas Büttner (Heidelberg), Cho Sung-Yeon (Bochum), Dietmar Ebert (Berlin, Bochum), Anna Ernst (Bochum), Oly Firsching-Tovar (Dortmund), Judith Fröhlich (Zürich), Holger Funk (Pader-born), Sarah Görlich (Bochum), Nina Holzschneider (Bochum), Jinno Miyoko (Bochum), Pierre Kemper (Bochum), Arne Krauß (Bochum), Tobias Krutschek (Bochum), Romina Malandrino (Bochum), Regine Mathias (Bochum), Michael Mattner (Bochum), Simone Müller (Zürich), Lisa Nye (Sheffield), Sven Osterkamp (Bochum), Erich Pauer (Marburg), Heinrich Reinfried (Zürich), Fabian Schäfer (Leipzig), Anke Scherer (Köln), Benjamin Schmalofski (Bochum), Jan Schmidt (Bochum), Tino Schölz (Halle), Michaela Seibel (Bochum), Barbara Seyock (München), Naoko Shimazu (London), Daniel Staab (Bochum), Martin Stroschein (Bochum), Robin Weichert (Heidelberg), Yu Myoung In (Bochum), Yu Yueh-Chen (Düsseldorf), Matthias Zachmann (München), Nora Zesling (Bochum), Reinhard Zöllner (Erfurt);
Den ersten Vortrag am Samstag hielt Frau Barbara Seyock „Zum Stellenwert der Archäologie in Japan“. Sie ging darin der Frage nach, in welchem Rahmen und unter welchen Bedingungen man sich innerhalb der Archäologie in Japan bewegt. Viele Museen, Publikationen mit großer Themenbreite und hohen Auflagen sowie eine im Vergleich z.B. zu Deutschland große Grabungstätigkeit belegen dabei, dass die Archäologie einen hohen Stellenwert nicht nur in akademischen Kreisen sondern auch in der allgemeinen Öffentlichkeit in Japan hat.
Ein markantes Beispiel für das öffentliche Interesse an Archäologie in Japan ist ein Skandal im November 2001, bei dem der Archäologe Fujimura Shin’ichi überführt wurde, vermeintliche Funde, die er bzw. seine Grabungshelfer machten, zuvor heimlich selbst vergraben zu haben. Die Aufdeckung dieser Fälschungen führte zu einem enormen Medienecho, Strafverfahren und sogar zum Selbstmord eines Archäologen. Durch den Skandal muss eine große Anzahl von Grabungsfunden, die den Zeitpunkt der ersten menschlichen Besiedlung Japans bestimmen sollten, in Zweifel gezogen werden. Die Ereignisse führten darüber hinaus zu einer kontroversen Diskussion über die Medialisierung des Grabungsbetriebes und des Umgangs der Forscher mit dem großen Medieninteresse an Archäologie in Japan im Allgemeinen. Als Antwort auf die dem Vortrag zu Grunde liegende Frage nach dem Stellenwert der Archäologie wies Barbara Seyock deshalb darauf hin, dass in dieser Wissenschaft die Grenze zwischen Akademie und Öffentlichkeit fließend sei und die Verbindung der Archäologie mit den japanischen Identitätsdiskursen einen Erwartungsdruck erzeuge, dem die Wissenschaftler und die Stellen, welche die archäologischen Ausgrabungen administrierten, durch mediale Aufbereitung und die Einrichtung von z.B. Archäologieparks nachkommen müssten.
Der zweite Themenblock widmete sich der Diskussion über Gegenwart und Zukunft der historischen Japanforschung in Deutschland. In einführenden Statements wurde dabei zunächst vor allem die Frage der institutionellen Anbindung historischer Japanforschung thematisiert. Regine Mathias plädierte dabei aus verschiedenen Gründen nachhaltig für eine Fortsetzung der historisch gewachsenen institutionellen Einbindung in die Japanwissenschaften. Nur hier seien die handwerklichen Voraussetzungen (Sprachkenntnisse, theoretisch-methodisches Wissen, Wissen über japanische Geschichte sowie Allgemeinwissen zu Japan) umfassend vermittel- bzw. erlernbar und damit Nachwuchsrekrutierung wie auch die Sicherung eines möglichst breiten Basiswissens zu Japan, auf dem künftige Forschung aufbauen könnte, möglich.
Reinhard Zöllner verstärkte in seinem Statement den Eindruck, dass eine Einbindung in die allgemeine Geschichtswissenschaft zum gegenwärtigen Zeitpunkt eher kritisch zu bewerten sei, was er — neben Defiziten in der Fähigkeit von Japanhistorikern in der Vermarktung ihrer Erkenntnisse und der Generierung von Aufmerksamkeit — nicht zuletzt auf die Zustände in der allgemeinen Geschichtswissenschaft zurückführte. Interesse sei hier durchaus vorhanden, bleibe jedoch meist sporadischer Natur; weiterhin zeige sich die Geschichtswissenschaft kaum bereit, die notwendige institutionelle Infrastruktur durch die Schaffung von Lehrstühlen bereitzustellen.
Erich Pauer schließlich kritisierte in einem mit vielen Beispielen gesättigten Beitrag Defizite der Untersuchung der technischen Entwicklung als wesentlichem Bestandteil einer Analyse der Geschichte Japans, insbesondere vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Technologiemacht Japan. In der Vergegenwärtigung technologischer Grundlagen des Fortschritts in der Vor- und Frühmoderne liege eine zentrale Chance und Aufgabe für die Japanforschung, medial geprägten romantisierenden Klischees in der deutschen Öffentlichkeit entgegenzutreten.
In der sich an diese einführenden Statements anschließenden Diskussion wurde einerseits gefragt, inwiefern neue Paradigmen in der Geschichtswissenschaft — etwa die transnationale Geschichte oder die weltregionale Geschichte — oder auch die Entwicklung von gemeinsamen Forschungsprojekten Chancen für ein stärkeres Einbringen der historischen Japanforschung in die allgemeine Geschichtswissenschaft bieten, andererseits ob die Strukturveränderungen an den Universitäten (Einführung der gestuften Studiengänge usw.) faktisch Verbesserungen der Ausbildungsbedingungen mit sich bringen könnten.
Der letzte Programmpunkt des Samstags brachte mit dem Vortrag von Yu Myoung In über „Die Keijô-Reichsuniversität der Zeit der japanischen Kolonialherrschaft: ein Erzählstoff im zeitgenössischen gesellschaftlichen und späteren wissenschaftlichen Diskurs in Korea“ die koreanische Perspektive auf die japanische Kolonialherrschaft in Korea ein. Mit dem in der koreanischen Fachwelt weit verbreiteten Narrativ über die Anfänge der koreanischen Literaturwissenschaft, aus dem die Keijô-Periode schlicht ausgeschlossen ist, illustrierte Yu My-oung In den problematischen Umgang von Koreanern mit ihrer Vergangenheit. Des Weiteren betonte er anhand des Werdegangs verschiedener Absolventen die Bedeutsamkeit der Universität in der Geschichte der koreanischen Literaturwissenschaft.
Der zweite Tag des Treffens wurde dieses Mal in Englisch durchgeführt. Unter dem Titel „Disease and Punishment: The Fujimoto Trials and the Politics of Leprosy in Post-War Japan“ stellte zunächst Robin Weichert das Thema seiner Magisterarbeit vor. Ausgehend von dem konkreten Fall des leprakranken Bauern Fujimoto Matsuo, der zu Beginn der 1950er Jahre als Mörder verdächtigt, angeklagt und zum Tode verurteilt wurde, befasste sich der Vortrag mit der Situation von Leprakranken und der Behandlung der Krankheit durch Staat und Gesellschaft im Nachkriegsjapan. Dabei zeigen sich zum einen, trotz medizinischer Fortschritte, starke gesetzliche und institutionelle Kontinuitäten zur Vorkriegszeit, insbesondere die Fortsetzung der totalen und zwangsmäßigen Isolierung der Kranken. Zum anderen traten die Patienten jedoch mit eigenen politischen Forderungen auf, und setzten sich u.a. für den Angeklagten Fujimoto Matsuo ein. Anhand des Gerichtsfalls, der auch von medizinischen Autoritäten zu eigenen Zwecken benutzt und von Intellektuellen rezipiert wurde, und anhand des Lebens von Fujimoto Matsuo selbst, will die Arbeit daher nachvollziehen, welche verschiedenen Bedeutungen und politischen Implikationen die Lepra in der japanischen Gesellschaft der 1950er und 1960er Jahre trug, durch welche medizinisch-hygienischen Institutionen und judiziellen Prozesse ein Individuum oder eine bestimmte Gruppe als „Leprakranke®“ definiert wurden, und wie die Betroffenen selbst mit dieser Definition interagierten.
Der danach folgende Vortrag von Naoko Shimazu befasste sich mit der Frage, welche Rolle den im Russisch-Japanischen Krieg gefallenen japanischen Soldaten in einer nationalen Kontext zukommen sollte. Dadurch dass dieser Krieg eine um ein Vielfaches höhere Zahl von Gefallenen produziert hatte — ca. 74.000 von einer Million japanischen Soldaten — hatte die japanische Regierung erstmals in der Moderne das Problem der Behandlung einer großen Anzahl von Gefallenen und führte in diesem Prozess den Begriff des „ehrenwerten Kriegstoten“ ein. Die Zentralregierung verpflichtete die Lokalregierungen, große Begräbnisse für diese Toten zu veranstalten, überließ die Finanzierung dieser Begräbnisse allerdings den lokalen Eliten. Aus ideologischen Gründen sollten die Soldaten nach Shintô-Ritus beerdigt werden, aber da die meisten Familien buddhistische Begräbnisse wünschten, wurden schließlich Regularien für beide Begräbnisformen herausgegeben. Aus diesen Begräbniszeremonien wurden aber rasch offizielle Veranstaltungen mit lokalen Funktionären bei denen die Familienangehörigen in der Minderheit waren und kaum eine Rolle spielten. Dadurch wurden diese Veranstaltungen wichtige Elemente einer lokalen Politik, bei der die Nation kaum eine Rolle spielte. Da bei diesen Veranstaltungen und den von offiziellen Stellen wie dem Kaiserlichen Reservistenverband errichteten Gefallenendenkmälern aber die Bedürfnisse der Familien zu kurz kamen, begannen diese daraufhin zusätzlich private, zum Teil sehr große Denkmäler für ihre gefallenen Angehörigen zu bauen. Später wurden die Gefallenen des Russisch-Japanischen Krieges dann in den Yasukuni-Schrein aufgenommen. Anlässlich dieser Einscheinungen wurden viele Familienangehörigen zu Zeremonien geladen, bei denen diesen Menschen wiederum das Gefühl gegeben werden sollte, dass die Angehörigen für eine nationale Sache gefallen sind. An diesem Beispiel lässt sich zeigen, welche verschiedenen vor allem lokalen Akteure und welche verschiedenen Interessen in der Schaffung einer Erinnerungskultur für die Gefallene des Russisch-Japanischen Krieges eine Rolle spielten und wie die nationalen Riten und das Prozedere für japanische Kriegstote entstanden, die im Zweiten Weltkrieg dann weit verbreitet waren.
In der Rubrik der Kurzvorstellung laufender Forschungsarbeiten berichtete Lisa Nye über den Stand Ihrer geplanten Doktorarbeit, in der sie sich mit dem Thema „Was ist Behinderung bzw. was wurde wie als Behinderung in Japan wahrgenommen?“ vorwiegend für die Taishô- und frühe Shôwa-Zeit befassen wird. Holger Funk berichtete über seine Recherchen zu einem Text über den japanischen Wolf, der im Umkreis von Philipp Franz von Siebold entstanden ist und der Aufschluss darüber geben könnte, ob es so etwas wie einen „japanischen“ Wolf überhaupt gegeben hat.
Zum Abschluss des Treffens gab Naoko Shimazu noch einen Bericht über die Forschung zur Geschichte Japans in Großbritannien. Da die dortigen Universitäten mehr und mehr Stellen über Stiftungen und Fundraising finanzieren müssten, sei der Verbleib solcher Stellen, wenn sie denn mit einem/einer Japanhistoriker/in besetzt würden, nach Weggang des/der Stelleninhaber/in innerhalb der historischen Japanforschung nicht gesichert, da diese Art von Stellen dann häufig an Vertreter anderer Forschungsschwerpunkte übergingen. Genau wie in Deutschland gibt es in Großbritannien wenige auf Japan ausgerichtete Stellen innerhalb der Geschichtswissenschaften; diejenigen, die innerhalb der Geschichtswissenschaft ostasiatische Themen besetzen, werden häufig als Randerscheinung bzw. Zusatz betrachtet. In Großbritannien finden alle sieben Jahre Evaluierungen aller Forschung jeder einzelnen Universitätsabteilung statt. Diese Evaluierungen führen zu einem Ranking von Universitäten, die Spitzenforschung produzieren. Von diesem Ranking ist die Vergabe von Drittmitteln, die auch in Großbritannien immer wichtiger werden, abhängig. Die meisten Japanhistoriker beschränken sich bei der Beantragung von Drittmitteln allerdings auf japanspezifische Finanzierungsmöglichkeiten, nur wenige beantragen Gelder aus den allgemeinen Disziplinen.
Aus den genannten Phänomenen lässt sich die Beobachtung ableiten, dass ähnlich wie in Deutschland die Verbindung zwischen Japanhistorikern und Allgemeinhistorikern in Großbritannien nicht sehr eng ist. Diese Feststellung, die als Topos bereits in der Paneldiskussion am Samstagabend aufgetaucht war, war bereits mehrfach Gegenstand der Diskussion innerhalb der Initiative für historische Japanforschung und wird uns auch sicherlich weiterhin beschäftigen.
(Protokoll: Tino Schölz & Anke Scherer)
10. Treffen am Japan-Zentrum der Ludwig-Maximilians-Universität München am 3. und 4. November 2007
Anwesend in München waren: Tobias Altenbeck (München), Thomas Büttner (Heidelberg), Katja Ferstl (München), Christian Fietzeck (München), Simone Fischer (Heidelberg), Judith Fröhlich (Zürich), Veit Hammer (Halle), Hideto Hiramatsu (Halle), Nina Holzschneider (Bochum), Pierre Kemper (Bochum), Hans Martin Krämer (Bochum), Michael Mattner (Bochum), Heinrich Reinfried (Zürich), Susanne Röska (München), Daniela Schaaf (Heidelberg), Anke Scherer (Köln), Benjamin Schmalofski (Bochum), Jan Schmidt (Bochum), Katja Schmidtpott (Marburg), Wolfgang Seifert (Heidelberg), Marisa Sperlich (München), Maik Hendrik Sprotte (Heidelberg), Martin Stroschein (Bochum), Detlev Taranczewski (Bonn), Klaus Vollmer (München), Torsten Weber (Leiden), Robin Weichert (Heidelberg), Urs Matthias Zachmann (München), Jessica Zier (Bochum);
Auf dem Programm des Treffens stand nach der Begrüßung durch Matthias Zachmann (München) zunächst ein Vortrag von Torsten Weber (Leiden), der unter dem Titel »Vergessene Aspekte des Asianismus? Konzept, Diskurs und Transnationalität in der Taishô-Zeit« Thesen aus seiner in Arbeit befindlichen Dissertation — eine zur Diskursgeschichte erweiterte kontextualisierte Begriffsgeschichte — vorstellte. Webers historiographiekritischer Vortrag nahm seinen Ausgang an dem Befund, dass zum Asianismus der Taishô-Zeit wenig bekannt ist. Demgegenüber betonte Weber, dass der Asianismus um 1914 in gewisser Weise aus der Peripherie (Kyûshû und Ôsaka, wo er in der späten Meiji-Zeit ein Anliegen der politischen Opposition gewesen war) ins Zentrum (Tôkyô, wo nun das politische Establishment sowie die politische Journalistik des Mainstreams sich mit ihm intensiv und öffentlich beschäftigten) ankam. Als konkrete Beispiele verwies Weber auf zahlreiche Affirmationen des Asianismus in Chûô Kôron und Taiyô sowie Schriften des Parlamentariers Kodera Kenkichi, auf den Sven Saaler in einem jüngst erschienenen Artikel als einen Ausgangspunkt des Asianismus-Diskurses der Taishô-Zeit hingewiesen hat.
Das Konzept des Asianismus (Ajiashugi) während der Taishô-Zeit charakterisierte Weber als konkret genug, um angreifbar zu sein, aber zugleich allgemein genug, um verschiedene Positionen zu umfassen. So habe es unterschiedliche Auffassungen dazu gegeben, ob Asianismus bedeute, China und Japan müssten zusammen gleichberechtigt gegen die Vorherrschaft des Westens kämpfen oder ob dies unter japanischer oder chinesischer Führung geschehen solle. Permanenten Widerspruch gegen das Konzept überhaupt habe es sowohl von den Vertretern der Taishô demokurashii gegeben als auch von eher konservativer Seite, die argumentierte, Japan mache sich damit zum eigenen Schaden die Position der Schwachen in Asien zu eigen.
Ein weiterer von Weber gesetzter Schwerpunkt war die transnationale Betrachtungsebene. Er verwies dabei auf China als Hauptfokus des japanischen Asianismus-Diskurses und unterstrich dies anhand zentraler Werke von Kodera, Ukita Kazutami und Sawayanagi Masatarô. Ins Chinesische übersetzt, gaben sie den Anstoß zu komplexen Stellungnahmen chinesischer Diskutanten wie Li Dazhao und Sun Wen. Diese wiederum gewannen sowohl in China als auch in Japan (Sun) an Einfluss. überdies zeigt eine transnationale Betrachtung, dass auch die yellow-peril-Diskurse des Westens die japanische Asianismus-Diskussion der Taishô-Zeit direkt und wesentlich beeinflussten. Weber hofft mit seiner Arbeit, das gängige Bild des Asianismus als entweder »gutem«, solidarischen Asianismus »von unten« während der Meiji-Zeit oder »schlechtem«, imperialistischen Asianismus »von oben« während der frühen Shôwa-Zeit mithilfe seiner Betrachtung der Taishô-Zeit als konstitutive Phase des Asianismus-Diskurses überwinden zu können.
Die auf hohem Niveau geführte Diskussion kreiste um mehrere zentrale Themen. So ging es zunächst um die Frage des Stellenwertes, den Korea für den Asianismus-Diskurs der Taishô-Zeit einnimmt. Korea taucht in den von Weber untersuchten Schriften fast kaum auf. Aufgrund des Mangels an entsprechender japanischer, deutscher und anglophoner Forschung zur modernen koreanischen Geschichte ist nicht klar, welchen Stellenwert in Korea selbst in den 1910er Jahren etwaige Diskussionen zum Asianismus hatten, obwohl dies für eine Einschätzung der japanischen Diskussionen wichtig sein könnte.
Ein weiterer Diskussionsstrang betraf die Chronologie bzw. die breiteren Zeitumstände. Das Aufkommen neuer Diskussionen zum Konzept des Asianismus in Japan seit etwa 1914 steht in Zusammenhang mit der Annexion Koreas 1910, der Xinhai-Revolution in China 1911 und der Infragestellung der Bedeutung Europas durch den Ersten Weltkrieg. Des Weiteren wurde die Rolle rassischer Vorstellungen bei der Herausbildung des japanischen Asianismus betont: Rassische Kriterien und die Einflusszone der chinesischen Schrift dienten als einzige zur Verfügung stehende immanente einigende Kriterien für »Asien«. Dazu kommt, dass viele der Protagonisten des Diskurses um 1900 in Europa gewesen waren. Dort mit rassistischen Vorurteilen konfrontiert, sind sie — in Webers Worten — gleichsam „von Japanern zu Asiaten geworden“. Darüber hinaus war der japanische Asianismus auch eine Reaktion auf die Monroe-Doktrin und konstituierte sich zunächst als asiatische Monroe-Doktrin.
Schließlich stellte sich die Frage nach der Anschlussfähigkeit der taishô-zeitlichen Diskurse an asianistische Diskussionen der Gegenwart. Dieser findet zwar auch noch in Japan, aber verstärkt in China statt, das sich als neuen potenziellen Führer eines geeinigten Asiens sieht, wie Japan zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Treibende Kraft sind heute freilich nicht Vorstellungen von Rasse und Kultur (außer bei Nativisten wie Ishihara Shintarô), sondern ist ein ökonomischer Regionalismus.
Im zweiten Block am Nachmittag des 3. November referierte Hans Martin Krämer (Bochum) in Anschluss an den Vortrag von Naoko Shimazu zur Situation in England beim letzten Treffen in Bochum zum Thema »Geschichte und gegenwärtiger Zustand der historischen Japanforschung in den USA«. Krämer verglich zunächst die relative Bedeutung der japanischen Geschichte innerhalb der jeweiligen Hochschullandschaften. In den USA forschen von insgesamt etwa 18.000 HistorikerInnen an Hochschulen 180 zu Japan; in Deutschland sind es etwa 30 von 2.000, damit überraschenderweise relativ anderthalb mal so viel wie in den USA.
Krämer zeichnete dann die Entwicklung der historischen Japanforschung in den USA von den Anfängen unter Hugh Borton (Columbia) und Edwin O. Reischauer (Harvard) nach. Insbesondere letzterer hatte zahlreiche Schüler, darunter die der sog. Kriegsgeneration, die aber unerwartet klein ist: An Historikern bestand sie lediglich aus Thomas C. Smith, John W. Hall und Marius B. Jansen. Hall war es, der zunächst ab 1948 in Michigan und später dann in Yale am fleißigsten SchülerInnen um sich scharte, die später selbst ProfessorInnen werden sollten. Hier sind u.a. zu nennen: Harry Harootunian, Irwin Scheiner, Susan B. Hanley, Harold Bolitho, Jeffrey P. Mass, James McClain. Alle Genannten sind außer Mass immer noch aktiv und haben zum Teil selbst wiederum eine große Zahl an SchülerInnen hervorgebracht.
Institutionell entwickelte sich die historische Japanforschung in den USA ähnlich langsam wie personell: Noch 1965 gab es erst an 13 Universitäten Lehrstühle für japanische Geschichte. Zum Wachstum während der 1960er Jahre trug die gezielte finanzielle Förderung durch die Ford Foundation bei, die auch die Conferences on Modern Japan finanziell ermöglichten. Seit 1968 war es v.a. das Joint Committee on Japanese Studies unter dem Dach des Social Science Research Council, das Konferenzen, langjährige Forschungsvorhaben und Stipendien für den Nachwuchs finanzierte. Thematisch waren die 1960er Jahre von der Modernisierungstheorie geprägt, die innerhalb der USA kaum umstritten war. In der ersten Hälfte der 1990er Jahre führte ein Wechsel der Förderpolitik des Social Science Research Council zur Auflösung des Joint Committee on Japanese Studies. Inspiriert von der rational-choice-Theorie wurden auf intensiven Sprach- und Kulturkenntnissen basierende area studies nicht mehr für förderungswürdig gehalten, was eine intensive Diskussion innerhalb der Japanese studies über die Sinnhaftigkeit des bisher verfolgten Ansatzes auslöste. Gegenwärtig, so Krämer, könne man einen Konflikt zwischen area studies und postcolonial theory in der Japanforschung ausmachen, der nunmehr aus endogenen Motiven die area studies in Frage stelle.
Krämer stellte dann die quantitative Auswertung einer Datenbank der etwa 180 derzeit in den USA an Hochschulen tätigen JapanhistorikerInnen vor. Demzufolge gab es noch 1990 nur 50 % der heute (2007) bestehenden Lehrstühle für japanische Geschichte. Ferner ergab eine Auswertung der akademischen Herkunft der derzeitigen LehrstuhlinhaberInnen, dass über 90 % von diesen AbsolventInnen von nur 13 verschiedenen Ph.D.-Programmen sind (an der Spitze Harvard, Columbia, Chicago, Stanford und Princeton mit über 60 % Anteil). Etwa zwei Drittel der japanhistorischen Lehrstühle sind modern ausgerichtet, von letzteren wiederum über die Hälfte mit Schwerpunkt im 20. Jahrhundert. Krämer schloss seinen Vortrag mit einem kurzen Hinweis auf die Ausbildung von Ph.D.-Studierenden in den Spitzenprogrammen. Von ihnen wird für eine Prüfung in z.B. moderner japanischer Geschichte nach den ersten zwei Jahren die Lektüre von ca. 100 Monographien erwartet. Durch dieses Verfahren findet die intensive Bildung eines Kanons statt, der stark von US-amerikanischen AutorInnen dominiert wird.
In der Diskussion spielte die Ausbildung der Ph.D.-Studierenden eine große Rolle. Häufig haben diese zu Beginn ihres Ph.D.-Programms noch gar keine Japanischkenntnisse, was die Abwesenheit japanischer Titel im Kanon erklärt. Institutionell führt wie bei den noch größeren Chinawissenschaften der hohe Stellenwert von Japan für die US-amerikanische Geschichte und Gesellschaft zu einer stabileren universitären Verankerung, die weniger von (z.B. wirtschaftlichen) Konjunkturen abhängig ist als in Europa.
Abschließend wurde die Bedeutung eines USA-Aufenthaltes bzw. die Attraktivität des Arbeitsmarktes US-Hochschule für deutsche JapanologInnen diskutiert. In deutschen Berufungskommissionen spielt bislang ein USA-Aufenthalt an sich keine Rolle bei Entscheidungen, so die Erfahrung mehrerer Teilnehmer des Treffens. Die Situation an den US-Hochschulen muss differenziert betrachtet werden: Etwa die Hälfte sind kleinere regionale Hochschulen, in denen die Lehre stark dominiert, während die gerüchteweise bekannten paradiesischen Arbeitsbedingungen mit wenig Lehre, (v.a. für jüngere assistant professors) wenig Verwaltungsverpflichtungen und somit viel Gelegenheit zu Forschung nur an wenigen Spitzenuniversitäten anzutreffen sind.
Ein ganzer Block war am Vormittag des 4. November für den Austausch über aktuelle Forschungsprojekte und andere Informationen reserviert. Von dieser Gelegenheit wurde intensiv Gebrauch gemacht. Wolfgang Seifert (Heidelberg) berichtete von einem in Planung befindlichen Forschungsprojekt zu »ostasiatischer Gemeinschaft« in historischer Dimension und unter dem Gesichtspunkt gegenwärtiger regionalistischer Integrationsbemühungen sowie seinem Interesse an der Frage, warum die Idee der Moderne in Japan nach 1945 so viel wichtiger war als in Deutschland. Katja Schmidtpott (Marburg) berichtete von ihrer Mitarbeit an einer Firmengeschichte für die 1859 in Nagasaki gegründete Handelsfirma Illies sowie von ihrem Habilitationsprojekt zur Arbeiterkultur in Japan. Christian Fietzeck (München) schreibt derzeit seine Magisterarbeit zu den US-japanischen Beziehungen zwischen 1907 und 1912. Anke Scherer (Köln) berichtete vom Nachfolgeantrag für die derzeit in Tübingen und Bochum laufende Forschergruppe »Monies, Markets und Finance in East Asia«; in dem jetzt zu beantragenden assoziierten Projekt soll es um den übergang von vormoderner zu moderner Industrie im Bergbau in Akita gehen.
Detlev Taranczewski (Bonn) hatte 2004 in Bonn eine Tagung zum Vergleich des Mittelalters in Japan und Westeuropa organisiert. Der japanische Tagungsband nähert sich der Fertigstellung, eine deutsche Übersetzung soll folgen. Heinrich Reinfried (Zürich) war vor einigen Jahren Mitglied einer Gruppe Schweizer JapanologInnen, die sich mit japanischen SchweizforscherInnen zu zwei Treffen in Tôkyô und Zürich zusammenfand. Die Resultate dieser Treffen wurden 2004 in »Asiastische Studien« und in einem japanischen Sammelband veröffentlicht. Er berichtete ferner von einer in Arbeit befindlichen Studie zur Rezeption der Evolutionslehre in Japan. Katja Ferstl (München) hat vor Kurzem ihre Magisterarbeit zu Alltagsfotografie in Japan eingereicht. Thomas Büttner (Heidelberg) arbeitet an seiner Dissertation zu Eliten in Japan am Beispiel der Taisei Yokusankai. Er erzählte außerdem von einer Fortbildung, die der Verband der Geschichtslehrer in Hessen zum Thema Japan wenige Tage vor dem Treffen veranstaltet hatte. Maik Hendrik Sprotte (Heidelberg), der ebenfalls an dieser Tagung teilgenommen hatte, berichtete von einer Konferenz in Kaunas (Litauen) zum Thema »Image of Japan in Europe«. Ferner versprach er das baldige Erscheinen des Tagungsbandes zum Russisch-Japanischen Krieg und erinnerte an die Bibliographie zur historischen Japanforschung.
Hans Martin Krämer (Bochum) stellte den teilweise aus Diskussionen auf Treffen der Initiative hervorgegangenen Sammelband Geschichtswissenschaft in Japan vor. Er berichtete ferner vom Internationalen Kolleg für Geisteswissenschaften »Dynamiken der Religionsgeschichte zwischen Asien und Europa«, welches das Bundesministerium für Bildung und Forschung ab nächstem Jahr mit 12 Millionen Euro fördern wird und an dem auch der Lehrstuhl Geschichte Japans in Bochum beteiligt ist. Er stellte schließlich die bibliographische Online-Datenbank »Japanische Quellen in Übersetzung« vor, für deren Aufbau die Universität Bochum eine Anschubfinanzierung zur Einstellung einer wissenschaftlichen Hilfskraft zur Verfügung gestellt hat.
Veit Hammer (Halle) stellte das Internationale Graduiertenkolleg »Formwandel der Bürgergesellschaft«, das an den Universitäten Halle und Tokyo durchgeführt wird, vor. Es gibt je zehn KollegiatInnen auf deutscher und japanischer Seite, die aus den Fachbereichen Geschichte, Politik, Theologie und Japanologie kommen. Die Arbeitsthemen der deutschen KollegiatInnen sind vielfältig und reichen von der Analyse des europäischen Japanbildes des 18. Jahrhunderts über vergleichende Sozialpolitik im Kaiserreich und der Meiji-Zeit bis zu integrationspolitischen Themen. Judith Fröhlich (Zürich) wies auf den Züricher Arbeitsverbund »Asien und Europa« hin, in dessen Rahmen auch Nachwuchsförderungsangebote zu Japan existieren. Fröhlich selbst überlegt, zur Rezeption der Mongoleninvasion in Japan zu habilitieren. Simone Fischer (Heidelberg) plant eine Magisterarbeit zu Uchimura Kanzô und dem Majestätsbeleidigungsvorfall von 1891. Torsten Weber (Leiden) berichtete vom Leidener Projekt »Historical Consciousness and the Future of Modern in China and Japan«, das noch etwa ein Jahr laufe. Jan Schmidt (Bochum) stellte kurz sein Promotionsprojekt zu während des Ersten Weltkrieges für das japanische Kaiserreich entwickelten Zukunftsvisionen vor und berichtete von einer im nächsten Jahr in Speyer stattfindenden Ausstellung »Samurai. Ritter des Ostens«. Er wies überdies auf das aktuelle Problem hin, dass ein Teil der staatlichen Universitäten in Japan keine DAAD-StipendiatInnen mehr aufzunehmen bereit ist, solange diese noch keinen Bachelor-Titel erworben haben. Dazu kommt eine Senkung des Stipendiensatzes, der jetzt für Japan bei nur noch 550 Euro monatlich für Studierende liegt.
Im letzten Block am 4. November stellte Daniela Schaaf (Heidelberg) ihre in Bearbeitung befindliche Magisterarbeit mit dem Titel »Joseph Goebbels, der „totale Krieg“ und Japan. Der nationalsozialistische Propagandaminister und seine Kundgebung im Berliner Sportpalast am 18. Februar 1943 im Spiegel zeitgenössischer japanischer Nachrichten und Kommentare« vor. Die Arbeit behandelt die Person Joseph Goebbels?, das Goebbels-Bild in Japan, die Rede im Berliner Sportpalast und die Rezeption der Rede in Japan. Existierten um 1934/35 noch heterogene Darstellungen Goebbels? in der japanischen Presse, die häufig auf seinen Charakter und seine Physiognomie abhoben, so dominierte nach 1940 ein positiv-neutrales Bild ohne offene Wertungen. Seine Sportpalast-Rede ist von Bewunderung und Respekt charakterisiert; im Mittelpunkt der Zeitungsartikel steht die Bedeutung der von Goebbels für Deutschland vorgenommenen Charakterisierungen für Japan, dass also etwa Japan genauso kampfeswillig sei wie das Deutschland im totalen Krieg.
Zu den zahlreichen Hinweisen, zu welchen weiteren Möglichkeiten die Arbeit anregt, zählte die Frage nach der Bedeutung der Betonung von Goebbels? physischem Äußeren; der Völkerrechtsdiskurs um 1942/43, der sich mit der Legitimität von totalen Kriegshandlungen beschäftigte; der Unterschied zwischen der eigenen Wahrnehmung der Journalisten und dem, was sie in der Zeitung schrieben bzw. schreiben konnten; der Unterschied zwischen den Publikationsbedingungen 1934 und 1943 (Zensurproblem); dass die auffällige Betonung der »Ehrlichkeit« Goebbels? auch als ein versteckter Seitenhieb auf die Unehrlichkeit der eigenen (japanischen) Politiker verstanden werden kann; dass man anhand von veröffentlichten Oral-History-Quellen die Wirkung der Rede auf breitere Kreise der Bevölkerung untersuchen könnte; sowie dass die starke Betonung der von Goebbels beschworenen bolschewistischen Gefahr in der japanischen Berichterstattung angesichts der Interessen des japanischen Militärs, dem nicht an einer Provokation der Sowjetunion gelegen war, nicht selbstverständlich war.
(Protokoll: Hans Martin Krämer)
11. Treffen am Internationalen Graduiertenkolleg „Formwandel der Bürgergesellschaft“ Halle-Tokyo, Universität Halle Wittenberg, am 3. und 4. Mai 2008
Anwesend waren in Halle: Akiyama Yoko (Halle), Biontino, Juljan (Heidelberg), Born, Heinrich (Bochum), Büttner, Thomas (Heidelberg), Foljanty-Jost, Gesine (Halle), Fröhlich, Judith (Zürich), Gmür, Christian (Halle), Graul, Susanne (Halle), Hammer, Veit (Halle), Hedinger, Daniel (Berlin), Heé, Nadin (Berlin), Hiramatsu Hideto (Halle), Holzschneider, Nina (Bochum), Kirchner, Bernd (Heidelberg), Krämer, Hans Martin (Bochum), Pomsel, Anne (Halle), Reinfried, Heinrich (Zürich), Scherer, Anke (Köln), Schmalofski, Benjamin (Bochum), Schmidt, Jan (Bochum), Schölz, Tino (Halle), Schumann, Mandy (Halle), Seidel, Anne (Halle), Sprotte, Maik Hendrik (Heidelberg), Steffen, Franziska (Halle), Stroschein, Martin (Bochum), Wandt, Martin (Halle), Zachmann, Urs Matthias (München);
Den ersten Vortrag hielt Heinrich Reinfried von der Universität Zürich zum Thema „Woher kommt der Mensch? Zur Rezeption der Evolutionslehre im Bildungswesen Japans und der Schweiz“. Reinfried untersucht darin wie sich die unterschiedlichen Herangehensweise an Religion auf die Rezeption der Evolutionslehre von Charles Darwin im 19. Jahrhundert in der Schweiz und in Japan auswirkten.
Während die Präsentation der Evolutionslehre in akademischen Kreisen in Zürich zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Vertretern einer auf der Bibel basierenden Weltsicht und den Verfechtern einer empirischen Welterklärung führte, wurden die ersten Vorlesungen des Biologen Edward Morse in Tôkyô zu diesem Thema begeistert aufgenommen. Reinfried erklärt dies mit einem anderen Umgang mit Religion in Japan, der dazu führte, dass die Elite der Meiji-Zeit Bildung als nicht vereinbar mit Religion ansah und der darwinschen Evolutionslehre daher keine religiösen Vorbehalte entgegenbrachte.
In der Schweiz gingen die Diskussionen über die Deutungshoheit über die Welt zuerst zu Gunsten der Tradition aus, so dass die Evolutionslehre nicht in die Lehrpläne der Schulen aufgenommen wurde — die Schüler sollten die neuen Erkenntnisse erst in den höheren Schulstufen kennen lernen. In Japan hingegen siegte zuerst die Empirie. So wurde zum Beispiel Katô Hiroyuki stark von der Evolutionstheorie beein-flusst und nannte später Spencer, Darwin und Haeckel — einen der Protagonisten der Auseinandersetzung über die Evolutionstheorie in der Schweiz — als seine wichtigsten Quellen für den Sozialdarwinismus, mit dem er 1893 das Recht des Stärkeren rechtfertigte und zum Befürworter japanischer Kolonialanstrengungen wurde.
Problematisch wurde die japanische Hinwendung zur Empirie erst mit Kume Kunitake, der auf empirischer Basis die Historizität des Kojiki anzweifelt; denn damit griff er die Legitimierung des Kaiserhauses an. In der Folge wurde die vorher begeistert propagierte Empirie für dieses Thema ausgeklammert, da eine Untersuchung der Ursprünge des japanischen Kaiserhauses mit den gleichen wissenschaftlichen Methoden wie die Suche nach dem Ursprung des Menschen nicht zur Tennô-Ideologie passte, die sich in den letzten Dekaden des 19. Jahrhundert entwickelte. [Die diesem Vortrag zugrunde liegende Publikation von Heinrich Reinfried befindet sich in der Zeitschrift Asiatische Studien 2008: LXII, 1.]
Den zweiten Teil des Samstagnachmittag bildete eine Diskussion über das Verhältnis der Global History und der historischen Japanforschung. Eingeleitet wurde die Diskussion durch ein Inputreferat von Urs Mathias Zachmann (LMU München), in dem er zuerst die Begriffe World History und Global History erklärte. Der ältere Begriff World History entstand in Reaktion auf die Kritik an der eurozentristische Betrachtungsweisen und der Konzentration auf Nationalgeschichtsschreibung. Gefordert wurde demgegenüber eine stärkere Betonung nicht-europäischer Entwicklungen so-wie die Ausweitung des Fokus auf größere geografische Räume und längere Zeitab-schnitte. Diese Betrachtung sollte übergreifende Interdependenzen untersuchen und sichtbar machen. Idealerweise sollte so die „ganze Geschichte der ganzen Welt“ geschrieben werden, im engeren Sinne sollte die Geschichte der Interaktion von Akteuren in einem zeitlich oder räumlich weit gespannten historischen Prozess erforscht werden.
Der Begriff Global History ist eine neuerer Begriff, der die Darstellung und Analyse von historischen Vorgängen benennt, die sachgemäß nur in ihrer globalen Dimension (lokal, national, regional) erfasst werden können. Global History zeigt die Synchronität und Interdependenz von Aktionen auf der ganzen Welt und trägt damit einer neuen Lebenswirklichkeit in einer globalisierten Welt Rechnung. Der Zustand, in dem Raum und Zeit durch moderne Kommunikations- und Transporttechnik komprimiert werden und neben Nationalstaaten und internationalen Organisationen eine Vielzahl anderer Akteure berücksichtigt werden müssen, wurde allerdings erst nach dem zweiten Weltkrieg erreicht, so dass eine Ausdehnung einiger Ansätze der Global History auf andere Epochen methodisch fragwürdig ist.
Praktisch umgesetzt wird der Anspruch der Global History durch Interdisziplinarität, Öffnung der Disziplinen (insbesondere der Geschichtswissenschaft) und die Schaffung und Pflege von Forschungsnetzwerken. Zachmann stellte einige dieser Netzwerke, zum Beispiel The New Global History, sowie ihre Publikationsorgane, zum Beispiel das Journal of Global History, vor.
In der anschließenden lebhaften Diskussion ging es unter anderem um die Frage wie sich Japanhistoriker in dem durch den Ansatz der Global History hervorgerufenen Spannungsfeld von Genauigkeit versus Verallgemeinerung positionieren können. So wurde angemerkt, dass durch die für die Diskussion großer Zusammenhänge notwendige Abstraktion sprachliche und kulturelle Feinheiten verloren gingen oder dass durch die Vorgabe möglichst alle globalen Zusammenhänge in Betracht ziehen zu wollen unverhältnismäßige Vergleiche versucht würden. Der Ansatz der Global History konkurriert dabei mit anderen Konzepten wie der transnationalen Geschichte und dem Ansatz der interkulturellen Vergleiche, die ebenfalls versuchen von traditioneller Nationalgeschichtsschreibung wegzukommen. Kritisch angemerkt wurde weiterhin, dass neben der Betrachtung der großen Zusammenhänge auch weiterhin kleinschrittige Erforschung als Grundlage für die übergeordnete Betrachtungsweisen unabdingbar sei. Eine Rückkehr zum Ideal des Universalgelehrten, wie es im Extremfall der Ansatz der Global History notwendig macht, wurde als Anachronismus bezeichnet.
Der Sonntagmorgen begann mit der Vorstellung zweier Disserationsprojekte und des Internationalen Graduiertenkollegs in Halle, in dessen Räumlichkeiten das Treffen der Initiative stattfand.
Zuerst stellte Daniel Hedinger (Humboldt-Universität Berlin) den Sonderforschungsbereich „Repräsentationen sozialer Ordnung im Wandel“ vor, in dem es nicht nur um die Widerspiegelung sozialer Ordnungen geht, sondern auch darum, wie die Darstellung solcher Ordnungen sich auf ihre Schaffung auswirkt. Innerhalb des Teilprojektes „ ‚Zeremonielle Pädagogik‘ in post-revolutionären Gesellschaften. öffentliche Inszenierung und soziale Mobilisierung in Meiji-Japan, in der frühen Sowjetunion und im Mexiko der 1920er-1930er Jahre.“ beschäftigt sich Hedinger dabei mit der zeremoniellen Indoktrinierung des Volkes außerhalb von Schulen und Kasernen, zum Beispiel durch Feste am Yasukuni-Schrein. Für seine Dissertation untersucht er Ordnungsvorstellungen im Japan der Meiji-Zeit, die sich in der Konzeption von Ausstellungen ausdrücken. Diese Ordnungsvorstellungen analysiert er unter folgenden thematischen Schwerpunkten: Erziehung und Wissen, Zivilisation und Zukunft, Kunst und Kommerz, Architektur und Konsum, Kaiser und Nation sowie Kolonialismus und Krieg. Um seine Ergebnisse mit den Analysen zur UdSSR und zu Mexiko vergleichen zu können, ist es allerdings notwendig dies auf einer sehr hohen Abstraktionsebene mit Meta-Begriffen wie zum Beispiel „Inszenierung“ oder „politische Repräsentation“ zu tun, da die sehr unterschiedlichen Verhältnisse in den drei untersuchten Ländern keine Vergleiche institutioneller Strukturen zulassen. Das Dissertationsprojekt „Wissenschaft und Gewalt: Japans koloniale Herrschaft in Taiwan 1895–1945“ von Nadin Heé (Freie Universität Berlin) ist im Teilprojekt „Wissen und Herrschaft: Scientific Colonialism in deutschen und japanischen Kolonien“ des Sonderforschungsbereiches „Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit“ angesiedelt. Sie untersucht darin die Verschränkung von wissenschaftlichem Kolonialismus und die Ausübung physischer Gewalt als Herrschaftspraxis am Beispiel Taiwans. Ihre zentralen Fragestellung lauten: Inwiefern hingen wissenschaftlicher Kolonialismus und Formen von physischer Gewalt in der kolonialen Herrschaft zusammen? Verlief die Handlungsmacht der Akteure, die physische Gewalt ausübten, entlang wissenschaftlicher Zuschreibungen? Inwiefern wurden sie entweder als Ressource genutzt oder in Frage gestellt und unterlaufen? Um diese Fragen zu beantworten untersucht sie verschiedene Formen von Gewalt im Rahmen der japanischen Kolonialherrschaft, z. B. Guerillakriege, Bestrafungen, alltägliche Gewalt, Aufstände oder die Gewalt im Zusammenhang mit medizinischer Forschung und versucht aufzuzeigen, inwiefern diese an „wissenschaftliche“ Klassifizierung der taiwanesischen Bevölkerung einerseits und Legitimationsdiskurse der Ausübung von Gewalt andererseits gekoppelt ist. Zentral dabei ist, nicht nur „japanische“ Gewalt zu untersuchen, sondern zu analysieren, Angehörige welcher Bevölkerungsgruppen geregelte physische Gewalt im Rahmen von Bestrafungsinstitutionen der Regierung ausübten und wer beispielsweise in Aufständen der taiwanesischen Bevölkerung gegen die kolo-niale Herrschaft agierte Anschließend gab Tino Schölz, der Wissenschaftliche Koordinator des Internationalen Graduiertenkollegs Halle-Tokyo „Formenwandel der Bürgergesellschaft Japan und Deutschland im Vergleich“ einen Einblick in die Konzeptionalisierung und die Arbeitsweise dieses einzigartigen Graduiertenkollegs. Getragen wird das Gemeinschaftsprojekt von der Graduate School for Arts and Science der Universität Tôkyô und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Seine Laufzeit ist auf viereinhalb Jahre angelegt mit einer möglichen Verlängerung auf insgesamt neun Jahre. Beteiligt sind die Fächer Japanologie, Deutschlandstudien, Geschichte, Politikwissenschaften, Geschichte, Philosophie und Theologie. Sowohl in Halle als auch in Tôkyô arbeitet jeweils eine Kollegiatengruppe von circa zehn Doktoranden, die sich auf folgende fünf Forschungsteilbereiche verteilen: Begriffsgeschichte, Akteure und Selbstorganisation, Bürger-Staat-Beziehungen, Bürgergesellschaft in transnationalen Bezügen und Gegenbewegung zur Bürgergesellschaft. An beiden Universitäten finden forschungsbezogene interdisziplinäre Lehrveranstaltungen statt. Studienaufenthalte, der Austausch von Lehrenden, ein System des Co-Teachings mit dem Lehrende beider Institutionen in den Lehrbetrieb der jeweils anderen Institution integriert werden können, sowie Symposien, Workshops und halbjährliche stattfindende Akademien in Halle und Tokyo bilden die organisatorische Grundlage für den Forschungsaustausch. Ziel des Graduiertenkollegs ist es unter anderem einen Beitrag zur Internationalisierung der Bürgergesellschaftsforschung zu leisten, die Teilnehmer für transdisziplinärer Forschungskooperation zu qualifizieren sowie neue Formen internationaler Betreuung und interkulturelle Fähigkeiten in unterschiedlichen Wissenschaftskulturen einzuüben. Im letzten Vortrag des Treffens stellte Juljan Biontino (Universität Heidelberg) seine geplante Magisterarbeit zum Thema „General Utsunomiya Tarô (1861–1922) und die Bewegung vom 1. März 1919 in Korea“ vor. General Utsunomiya sammelte vor seiner Versetzung nach Korea 1918 Erfahrungen in Indien und galt durch Reisen in China und Korea als Spezialist für diese Länder. Er war während der Unabhängigkeitsbewegung im März 1919 als Kommandant der japanischen Army in Seoul stationiert. Ende 2007 erschienen die Tagebücher des 1922 verstorbenen Utsunomiya in drei Bänden, von denen der dritte Band die Jahre 1918 bis 1921 abdeckt. Angeregt durch die Möglichkeiten, die diese nun erstmal zugängliche Quelle bietet, plant Biontino eine Analyse der Perzeption der 1.-März-Bewegung durch den Tagebuchschreiber. Durch die Auswertung der Tagebucheinträge und deren Einordnung möchte Biotino die Rolle Utsunomiyas bei der japanischen Reaktion auf die koreanische Unabhängigkeitsbewegung sowie dessen Einfluss auf die japanische Sichtweise der Ereignisse untersuchen. In der anschließenden Diskussion wurde vor allem die Verwendung einer solchen Quellen wie die lange nach dem Tode des Verfassers herausgegebenen Tagebücher kritisch hinterfragt. Das Verfassen dieser Tagebücher geschah in der Regel mit der Absicht, der Nachwelt bestimmte Sichtweisen des Autors zu vermitteln, was ihre Verwendung als Primärquellen sehr problematisch macht.
Den Abschluss des Treffens bildete eine Kurzvorstellung der vielen studentischen Teilnehmer, die von ihren derzeitigen Studienvorhaben berichteten. Weiterhin wies Maik Hendrik Sprotte (Universität Heidelberg) darauf hin, dass der Tagungsband der 2005 zum 100. Jahrestag des Russisch-Japanischen Krieges abgehaltenen Konferenz nun erschienen sei: Sprotte, Maik Hendrik / Seifert, Wolfgang / Löwe, Heinz-Dietrich (Hrsg.) Der Russisch-Japanische Krieg 1904/05. Anbruch einer neuen Zeit? Wiesbaden: Harrassowitz. ISBN 978–3‑447–05707‑3, 302 Seiten, 39,80 Euro.
(Protokoll: Anke Scherer)
12. Treffen am Japan-Zentrum der Universität Marburg am 1. und 2. November 2008
Anwesend waren in Marburg: Anja Batram (Bochum); Juljan Biontino (Heidelberg); Thomas Büttner (Heidelberg); Michael Facius (Berlin); Cynara Frobel (Bochum); Nuri Gökduman (Bochum); Teelka Groeneveld (Bochum); Daniel Hedinger (Berlin); Nadin Heé (Berlin); André Hertrich (Marburg); Jan Paul Hoga (Marburg); Nina Holzschneider (Bochum); Michael Jürgens (Marburg); Thomas Jürgens (Marburg); Sebastian Karach (Marburg); Pierre Kemper (Bochum); Bernd Kirchner (Heidelberg); Alexander Knaak (Marburg); Till Knaudt (Bochum); Hans Martin Krämer (Bochum); Matthieu Leinweber (Marburg); Romina Malandrino (Bochum); Regine Mathias (Bochum); Michael Mattner (Bochum); Heinrich Reinfried (Zürich); Mathias Rockel (Marburg); Anke Scherer (Köln); Benjamin Schmalofski (Bochum); Fabian Schmidt (Bochum); Jan Schmidt (Bochum); Merlin Schmidt (Bochum); Katja Schmidtpott (Marburg); Martin Stroschein (Bochum); Detlev Taranczewski (Bonn); Niko Tillmann (Bochum); Chie Warashina (Marburg); Anna Wiemann (Marburg);
Im ersten Vortrag des Samstagnachmittags „Die Batavia-Prozesse und ihre Rolle in der Comfort Women Thematik“ thematisierte André Hertrich (Center for Conflict Studies/Universität Marburg und Internationales Graduiertenkolleg Halle-Tôkyô) die Batavia-Prozesse, in denen als einzige Kriegsverbrecherprozesse der Allierten Fälle von Zwangsprostitution durch die japanische Armee verhandelt wurden. Dazu stellte André Hertrich zuerst die Hintergründe des so genannten Semarang-Falles vor: Im 1942 von Japan besetzten Indonesien wurde der größte Teil der dort ansässigen Niederländer in Lagern interniert. In den Frauenlagern in und um Semarang rekrutierte die japanische Armee 1944 junge Frauen mehr oder weniger offen für die Prostitution, manchmal unter Vorspiegelung falscher Tatschen, meist aber unter Zwang.
Nach einigen Monaten wurden die Bordelle in Semarang, in die die Frauen verschleppt worden waren, wieder aufgelöst. Die Zwangsprostituierten wurden zusammen mit ihren Angehörigen in andere Internierungslager verbracht und bedroht, dass sie nichts über die Geschehnisse erzählen durften. Laut Quellen gab es in Indonesien insgesamt 200 bis 300 europäische Prostituierte, davon ca. 65, die von der japanischen Armee unter Zwang rekrutiert worden waren.
In den Kriegsverbrecherprozessen nach dem Zweiten Weltkrieg klagten die Niederländer als Kolonialmacht in Indonesien mehr als 1.000 Menschen an, ca. 93% von ihnen wurden verurteilt. Im Semarang-Fall fanden drei Prozesse im Februar und März 1948 bzw. Februar 1949 statt. Major Okada, der direkt mit der zwangsweisen Rekrutierung der Frauen befasst war, wurde zum Tode verurteilt, sein Vorgesetzter erhielt eine Gefängnisstrafe, weil er die Kontrolle seines Untergebenen versäumt hatte. Die Verurteilten wurden allerdings nach dem Verfahren ins Kriegsverbrechergefängnis nach Sugamo (Tôkyô) gebracht, von wo sie nach drei oder vier Jahren entlassen wurden.
Der Semarang-Fall gilt für die einen als Beleg dafür, dass die japanische Armee Frauen in die Prostitution gezwungen hat. Japanische Konservative argumentieren aber demgegenüber, dass der Semarang Fall ein Einzelfall sei. Er zeige zudem, dass Zwangsprostitution die Schuld einiger Individuen wie Okada sei, der von seinem Hauptquartier gestoppt wurde, weil er das vom Hauptquartier anfangs ausgegebene Gebot der Freiwilligkeit missachtete und Frauen gegen ihren Willen verschleppte.
In der Diskussion wurde neben dem in einigen Lagern gezeigten Widerstand gegen die Zwangsrekrutierung die Thematik der „Freiwilligkeit“ derjenigen, die sich bewusst für die Arbeit in japanischen Militärbordellen anwerben ließen, diskutiert. Wie auch die Gerichte später feststellten, kann in einer Situation, in der ein von der Ernährungslage, Hygiene, etc. her ausgesprochen schlechtes Lagerleben gegen ein Leben als Prostituierte eingetauscht wurden, nicht von Freiwilligkeit gesprochen werden. Dennoch entstand aus der Klassifizierung in „freiwillige“ und „zwangsrekrutierte“ Frauen später eine Unterscheidung in „gute“ (zwangsrekrutierte) und „schlechte“ (freiwillige) Prostituierte.
Eine Schwierigkeit, die für die Untersuchung vieler Kriegsverbrechen gilt, ist die Abwesenheit schriftlicher Befehle, hier zur Zwangsrekrutierung von Frauen für Militärbordelle. Schuld kann und wird deshalb hier auf Individuen abgewälzt. In den Batavia-Prozessen mussten sich die Niederländer aus Mangel an Dokumenten auf Zeugenaussagen verlassen. Generell besteht die Notwendigkeit, die Zwangsprostitution in Indonesien einzuordnen in die Problematik der Zwangsprostitution in Asien allgemein während des Zweiten Weltkrieges um sinnvolle Aussagen über die Verstrickung des japanischen Militärs zu machen.
Anschließend leitete Hans Martin Krämer (Ruhr-Universität Bochum) mit einem Inputreferat die Diskussion zum Thema „Der Einfluss von Großforschungsprojekten auf die Geisteswissenschaften“ ein. Derzeit gibt es fünf Großprojekte in den Geisteswissenschaften mit Beteiligung von Japanologien, nämlich in Berlin, Bochum, Halle und Heidelberg. Durch die Einbindung in ein Großprojekt steigt der Aufwand für die Kommunikation der am Projekt beteiligten Forscher untereinander stark an. Dies ist nicht nur sehr zeitaufwendig, sondern führt auch dazu, dass die Kommunikation in anderen Zusammenhängen reduziert wird.
Ein besonders intensiv diskutiertes Thema war der Aspekt der Einschränkung bzw. Lenkung und Kanalisierung von Forschung durch die Vorgaben von Großprojekten. Durch die Ausrichtung auf Interdisziplinarität und die notwendigen thematischen Vorgaben durch Projektanträge müssen sich mehr und mehr Forscher mit Themen befassen, die sie sich nicht selbst ausgesucht haben. Professoren stellen Anträge nach eigenen Interessen und vor allem danach, dass die Anträge in größere Zusammenhänge passen und Erfolg versprechend sind. Die Nachwuchsforscher, die die Projekte dann tatsächlich bearbeiten, müssen sich dann auf diese Themen einstellen. In der Diskussion wurde der gegenwärtige Trend vergleichend einer gegenläufigen Entwicklung im Tierschutz gegenübergestellt: Während in der Tierhaltung der Trend weg von der Käfig- zur Freilandhaltung gehe, führe die „Projektisierung“ der Forschung in den Geisteswissenschaften dazu, dass die individuell durch die Forschungslandschaft streifenden Nachwuchswissenschaftler mehr und mehr in die wohlgeordneten Boxen der Drittmittelforschung eingegliedert würden, wo man die Früchte ihrer Arbeit leichter ernten, verpacken und verkaufen könne.
Ein weiteres Diskussionsthema waren die Bedenken, dass durch die in den Forschungsanträgen vordefinierten Begrifflichkeiten, die dann innerhalb der Forschungsarbeiten zu verwenden sind, Zirkelschlüsse zustande kommen, da die Ergebnisse wiederum den im Antrag geäußerten Erwartungen zu entsprechen haben. Dazu wurde weiterführend diskutiert, dass die Forschung im Rahmen großer Projekte, die Erfolg haben, weil sie Mainstream-Themen behandeln, andere Themen an den Rand drückt. Dies hat vor allem negative Folgen für Innovation und unkonventionelle Herangehensweisen.
Der letzte offizielle Programmpunkt des Samstags war der Besuch aller Teilnehmer im Forschungs- und Dokumentationszentrum für Kriegsverbrecherprozesse (ICWC = International Center for War Crimes). Der Leiter des Zentrums Wolfgang Form hatte sich bereit erklärt, einen generellen Einblick in die Quellenbestände und die Arbeit des Zentrums zu geben. Dabei stellte sich heraus, dass durch das Zentrum, seine weltweite Vernetzung und seine technischen Möglichkeiten viele Quellen für die Bearbeitung japanischer Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg genutzt werden können. Alleine im asiatischen Raum sind mehr als 5.500 Verfahren wegen Kriegsverbrechen bekannt. Form stellte einige ausgewählte Quellen in seinem Vortrag vor, einige handschriftlich, andere in editierter Form (z.B. aus China). Diese Quellen werden in eine recherchierbare Datenbank aufgenommen, so dass Forscher bestimmte Personen, Verfahren, Regionen, etc. recherchieren können. Der erste Programmpunkt am Sonntagmorgen war die Vorstellung eigener Projekte und Arbeiten. Da hier auch auf Seiten der zahlreich anwesenden Studierenden viele interessante Themen vorgestellt wurde, entstand der Vorschlag über die Homepage der Initiative zur historischen Japanforschung die Themen studentischer Abschlussarbeiten in Bearbeitung zu sammeln um so die Kommunikation zwischen Bearbeitern ähnlicher Themen zu verbessern. Zudem stellte Heinrich Reinfried sein gerade erschienenes Lehrwerk für den Japanischunterricht vor, dass derzeit in der Schweiz mit großem Erfolg eingesetzt wird. Interessenten am Konzept des Lehrbuches empfiehlt er die Website http://www.asiaintensiv.ch/asiaintensiv/kompaktlehrgang.htm. Weitere Hinweise folgten auf die Bibliographie zur deutschsprachigen historischen Japanforschung, für die jeder seine deutschsprachigen Publikationen zur japanischen Geschichte melden sollte, und die Datenbank von Übersetzungen japanischer Quellen in europäische Sprachen , zu der ebenfalls jeder Hinweise auf entsprechende Übersetzungen beitragen kann.
Im abschließenden Vortrag befasste sich Daniel Hedinger mit dem Thema „Die Welt als Ausstellung: Ordnungsvorstellung im Japan der Meiji-Zeit (1868–1912)“, seinem Dissertations-projekt im Rahmen des Sonderforschungsbereichs „Repräsentationen sozialer Ordnungen im Wandel“. Hedingers Dissertation geht der Frage nach, welche Ordnungsvorstellungen sowohl japanische Teilnahmen an Weltausstellungen als auch in Japan durchgeführte nationale Ausstellungen transportierten und wie diese sich wandelten. Zu Beginn wies er auf die Gefahr der Exotisierung bzw. Orientalisierung der japanischen Ausstellungskonzepte im Erforschungsprozess hin, die besonders dann gegeben ist, wenn wie bislang in der Forschung bevorzugt die japanische Teilnahme an großen, internationalen Ausstellungen im Fokus steht.
Um dieser Problematik zu begegnen untersucht Hedinger neben Weltausstellungen auch die innerjapanischen, nationalen Industrieausstellungen sowie die zahllosen regionalen Ausstellungen der Meiji-Zeit. Im Zentrum der Arbeit steht die Entwicklung und Umsetzung eines modernen Ausstellungskonzeptes in Japan, das in der Auseinandersetzung mit den westlichen Konzepten der Weltausstellungen entstand. Die Dissertation ist in zwei Teile unterteilt, von denen der erste einen chronologischen Überblick über die Ausstellungen der Meiji-Zeit enthält. Der zweite Teil geht davon aus, dass es die Aufgabe von Ausstellungen ist, Ordnung zu schaffen. Er untersucht deshalb die Ausstellungskonzepte hinsichtlich ihres Beitrages zu drei großen Themenkomplexen: Visionen einer zivilisierten Zukunft (Kapitel „Erziehung und Wissen“; „Zivilisation und Zukunft“), Konsumvisionen (Kapitel „Kunst und Kommerz“; „Architektur und Konsum“) und nationale bzw. imperiale Visionen (Kapitel „Kaiser und Nation“; „Kolonialismus und Krieg“).
In den ersten Ausstellungen in Japan fand eine Konfrontation des neuen Konzepts Ausstellung mit der überkommen, durch den Konfuzianismus vorgegebenen Ordnung statt, so bei einer Ausstellung 1872 im Yushima-Schrein in Tokyo, deren Konzeption viele zeitgenössische Beobachter verstörte. Bei der ersten Industrieausstellung 1877 im Ueno-Park wurden dann bereits das Ausstellungsgelände nach westlichen Ordnungsvorstellungen in Pavillons unterteilt, eine Konzeption, die bei den weiteren Industrieausstellungen beibehalten wurde. Eine weitere Problematik der Anfangszeit war die Frage, ob die Güter nach Herkunftsprovinzen oder nach Güterkategorien präsentiert werden sollten. Beobachter bezeichneten den frühen japanischen Ausstellungsaufbau als chaotisch und konzeptlos, dies änderte sich aber durch einen starken Wandel in der Präsentation der Ausstellungsstücke in den ersten Jahrzehnten der Meiji-Zeit rasch. So trugen die Ausstellungen dazu bei, das Bild einer zivilisierten Zukunft in Japan zu verbreiten.
Ein weiterer Beitrag der Ausstellungen fand auf dem Gebiet der Vorstellungen von Konsum statt. Anfangs führte die Ausstellung von goldenen Fischen, die als sakrale Symbole in der Tokugawa-Zeit auf den Giebel öffentlicher Gebäude platziert worden waren, zu heftigen Reaktionen von Besuchern, die diese Ausstellungsstücke noch immer als sakrale Symbole ver-ehrten. Bei der Ausstellung solcher Symbole im internationalen Kontext der Weltausstellungen wurden diese Gegenstände hingegen schnell als verkäufliche Kunstwerke betrachtet und von japanischer Seite als Einnahmequelle entdeckt. Japan nutzte das westliche Interesse für seine Selbstrepräsentation aus und prägte damit das Bild dessen, was auch heute noch als japanische Kunst gilt. Ein weiterer Zusammenhang zwischen Ausstellungen und Kommerzialisierung zeigt sich darin, dass Produkte, die bei Ausstellungen Preise gewonnen hatten, danach mit diesen Preisen beworben wurden.
Der dritte Aspekt betrifft die Verbreitung nationaler und imperialer Visionen durch die Ausstellungen. So wurden alle Landesausstellungen vom Kaiser persönlich eröffnet, dieser wurde in den Ausstellungen zusammen mit anderen nationalen Symbolen sichtbar. Weltausstellungen präsentierten „das Fremde“, und Japaner stellten sich dabei auch selbst als „Fremde“ aus. Später wurde von japanischer Seite das eigene „Fremde“ in Form von Menschen aus Hokkaido oder der Kolonie Taiwan ausgestellt. So trugen Ausstellungen dazu bei „Zivilisation“ bzw. den Grad der Zivilisiertheit zu definieren und durch die Darstellung von Exotischem den Anspruch auf die eigenen Kolonien zu manifestieren. So präsentierte sich Japan außerhalb des Landes als eine zivilisierte und moderne Nation, im Landesinneren dienten die Ausstellungen der Verbreitung von Ordnungsvorstellungen über Kultur, Konsum und nationale Identität.
(Protokoll: Anke Scherer)